Politik | SVP

Gerupftes Edelweiß

Die 600-Euro-Bonus-Affäre hat innerhalb der SVP tiefe Risse hinterlassen. Die Kollateralschäden für die Partei sind dabei weit größer als derzeit sichtbar ist.
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Foto: zukunvt/Fabian Leitner
Die Szene ist surreal.
Die Parteileitung ist zusammengetreten, um über die Sanktionen zu entscheiden, die gegen jene drei Mandatare verhängten werden sollen, die um den 600-Euro-Corona-Bonus angesucht haben. Die Stimmung ist mehr als nur ernst.
Am Ende kommen die schwersten Sanktionen heraus, die die SVP in den vergangenen zwei Jahrzehnten gegen eigene Landtagsmandatare verhängt hat. Selbst im SEL-Skandal hat es keine solchen Strafen des obersten Parteigremiums gegeben.
Dann aber folgt der Auftritt von Franz Locher. Der Sarner Landtagsabgeordnete erzählt im breiten Sarner Dialekt, dass auch er um den Corona-Bonus angesucht hatte. Er habe aber am Computer auf den falschen Knopf gedrückt und der Antrag sei deshalb nicht hinausgegangen. Am nächsten Tag habe er vergessen das Gesuch abzuschicken und so sei der Termin verfallen.
Die Reaktion im großen Sitzungssaal am Bozner SVP-Sitz ist in lautstarkes Lachen der meisten Anwesende. Auch am Präsidiumstisch wird breit gegrinst.
Dabei waren nur wenige Minuten zuvor Gert Lanz, Helmuth Tauber und Arnold Schuler dort im wahrsten Sinne des Wortes auf der Anklagebank gesessen, um wegen einer groben moralischen Verfehlung abgeurteilt zu werden.
Und bei Locher lacht man?
 
 
Besser kann man die Schizophrenie einer ganzen Partei wohl kaum einfangen als in diesem Bild. Es mag eine Episode sein, die aber zeigt, wie sehr die alte Dame Volkspartei im Sommer 2020 strauchelt.
Selbst im SEL-Skandal hat es keine solchen Strafen des obersten Parteigremiums gegeben.
Man hat es am Dienstag mit Not und Mühe geschafft auf der entscheidenden Sitzung in der Parteileitung eine Kompromisslösung zu finden. Am Ende stehen aber nur Verlierer da. Denn dieses politische Mittsommergewitter hat in der SVP zu Kollateralschäden geführt, die noch lange anhalten werden.
 

Die Tränen von Lanz

 
Fast alle Medien berichten am Mittwoch, dass Gert Lanz bei seiner Anhörung vor der Parteileitung so emotional war, dass er sogar geweint habe. Den Grund für den Gefühlausbruch legte der SVP-Fraktionssprecher im Saal offen dar.
Er habe bereits am vergangenen Donnerstag der Parteispitze alle Dokumente übermittelt, die beweisen, dass das Ansuchen ohne sein Wissen durch ein Fehlverhalten seines Steuerberaters gestellt worden war. „Dennoch wurden ich und meine Familie fünf Tage lang durch den Dreck gezogen“, sagte Lanz wörtlich mit einem Zusatz: „wie ein Mörder“.  Man habe erst von ihm abgelassen, als die angebliche Leiche plötzlich wieder lebend aufgetaucht sei, beschreibt ein Mitglied der Landesregierung den Vorgang.
 
 
 
Der Adressat dieser emotionalen Botschaft ist vor allem einer: Philipp Achammer. Es war der SVP-Obmann, der auch Kraft seines Amtes, durch eine sehr energische öffentliche Ankündigung von persönlichen Konsequenzen, der Bonus-Affäre am vergangenen Wochenende die Schubkraft eines politischen Skandals gegeben hatte.
Aber nicht nur Gert Lanz ist über diese Gangart des SVP-Obmannes empört.
 

Erzürnte Wirtschaft

 
„Es waren Achammers Interviews auf RAI Südtirol, die die Stimmung kippen ließ“, sagt ein hoher Vertreter der SVP-Wirtschaft. Der SVP-Obmann eigentlich bekannt eher für seine ausgleichende Art und einer, der die Kunst perfekt beherrscht, wunderbar zu reden aber nichts zu sagen, war in diesem Fall so deutlich und energisch wie selten zuvor.
Philipp Achammer hatte die Glaubwürdigkeit einer Partei zu verteidigen, die in fünf Wochen einen wichtigen Wahlgang zu bestreiten hat und deren Basis sich ob der Verfehlungen von drei Landtagsabgeordneten empört.
Achammers Pech ist es aber, dass weite Teile der SVP ihm diese lauteren Gründe für seine plötzliche Aggressivität nicht abkaufen. Viele gehen davon aus, dass der Obmann den Kreuzzug gegen das Trio dazu nutzt, um alte persönliche Rechnungen zu begleichen.
 
 
Zudem hat es mit Lanz, Tauber und Schuler gleich drei Vertreter der Wirtschaft getroffen. Auffällig dabei, dass sich die SVP-Wirtschaft aber auch der Südtiroler Bauernbund in dieser Affäre nobel zurückgehalten haben. Nach Informationen von Salto.bz waren bereits mehrere Stellungnahmen als Solidarität für die drei Landtagsabgeordneten geplant. Sie wurden am Ende aber nicht verschickt.
Weil Philipp Achammer auch Landesrat für Wirtschaft ist, wäre das ein indirekter Misstrauensantrag gegen den eigenen Landerat gewesen. Soweit wollte man doch nicht gehen.
 

Der Riss

 
Aber auch ein zweiter Graben ist in den vergangenen sechs Tagen deutlich größer geworden.
Es ist bekannt, dass es innerhalb der SVP zwei große Lager gib. Jenes um Landeshauptmann Arno Kompatscher, zu dem neben Arnold Schuler und Gert Lanz, SVP-Senatorin Julia Unterberger sowie SVP-Vizeobmann Karl Zeller zählen. Und jene Gruppe um SVP-Obmann Philipp Achammer, zu der SVP-Senator Meinhard Durnwalder, die SVP-Abgeordnete Renate Gebhard, Parteisekretär Stefan Premstaller, sowie der JG-Vorsitzende Dominik Oberstaller gehören. Mit dem Athesia-Konzern im Rücken kann dieses Lager auf eine breite publizistische Feuerkraft zurückgreifen, die man auch weidlich nutzt.
Seit langem ist das Verhältnis zwischen Philipp Achammer und Arno Kompatscher angespannt. An der Ernennung von Arnold Schuler zum stellvertretenden Landeshauptmann vor eineinhalb Jahren wurde der Konflikt augenscheinlich. Achammer hat Kompatscher diesen Schachzug lange nicht verziehen.
 
 
Das persönliche Verhältnis zwischen Landeshauptmann und Parteiobmann hat sich – laut Aussagen beider gegenüber Salto.bz  - im vergangenen Jahr zwar deutlich gebessert, dennoch bleibt ein tiefe, politische Rivalität. Das zeigte sich auch in der Coronakrise. Während Landeshauptmann Arno Kompatscher die täglichen offiziellen Pressekonferenzen (meistens mit Gesundheitslandesrat Thomas Widmann) im Internet absolvierte, hielt Philipp Achammer jeden Tag auf Facebook eine Art Schattenpressekonferenz ab, mit der er die eigene Medienpräsenz hochhalten wollte.
Auf der Parteileitungssitzung am Dienstag zelebriert Philipp Achammer diese Spaltung noch einmal. Als er davon spricht, dass die Parteiführung auch zu härteren Schritten bereit wäre, fügte er einen Satz hinzu, der die Stimmung perfekt wiedergibt: „Dabei bin ich sogar mit meinem Stellvertreter Karl Zeller einig, was nicht oft der Fall ist“, sagte der Parteiobmann.
Auch Arno Kompatscher verkneift sich in seiner Rede am Dienstag einen ordentlichen Seitenhieb auf Achammer nicht. „Man kann in der Politik nicht jeder Stimmung nachlaufen“, meinte der Landeshauptmann in die Runde. Gemeint war aber vor allem einer: Der SVP-Obmann.
 

Verlierer und Gewinner

 
Vor diesem Hintergrund wird die gesamte Bonus-Affäre innerhalb der SVP als klarer Versuch von Philipp Achammer & Co gesehen, dem Kompatscher-Lager nachhaltig zu schaden und gleichzeitig damit den Landeshauptmann politisch zu schwächen.
Diese Lesart ist dann auch der Grund, für den Stimmungsumschwung in der SVP. Die einflussreiche Gruppe um Philipp Achammer wollte ursprünglich wirklich Arnold Schuler aus der Landesregierung schießen.
Am Ende dürfte dieser Schuss aber nach hinten losgegangen sein. Denn die Kompromisslösung wird jetzt als Niederlage für den Parteiobmann gesehen.
Nach dieser Vorgeschichte ist klar, dass Philipp Achammer das ihm angebotene Amt des Landeshauptmannstellvertreters keinesfalls annehmen konnte. Der Fall Elmar Pichler-Rolle hat gezeigt, was passierte kann. Anfang 2013 haben Luis Durnwalder & Co bewusst das geplante Nachrücken von Arnold Schuler in die Landesregierung boykottiert. Elmar Pichler-Rolle nahm als Ersatzkandidat das Amt an. Es war sein politischer Tod.
 
 
Aber auch Kompatscher & Co wissen, dass das Angebot in Wirklichkeit eine Falle war. Hätte Achammer angenommen, hätte sich der Kreise der Vorwürfe geschlossen. Aus einer moralischen Empörung wäre dann ein Rachefeldzug geworden, an dessen Ende ein persönlicher Vorteil des SVP-Obmannes steht.  Philipp Achammer ist zu gescheit, dass er dieses Spiel nicht durchschaut hat. Deshalb musste er das Angebot, Schulers Amt zu übernehmen, ablehnen.
Der SVP-Obmann steht damit als Verlierer da. Er ist mit Furore in die Schlacht gezogen und am Ende mit einer lauwarmen Semmel nach Hause gekommen.
Aber auch Arno Kompatscher kann sich nicht glücklich schätzen. Zwei seiner Vertrauten sind ziemlich angeschlagen und seine Autorität ist nicht unbedingt gewachsen. Einziger Trost für Kompatscher: Nach der SAD-Affäre ist innerhalb weniger Monate der zweite Anlauf seiner Gegner gescheitert, ihm ernsthaft am Zeug zu flicken .
Als einzige Kriegsgewinnlerin steht Waltraud Deeg da. Sie wird unerwartet zur Landeshauptmannstellvertreterin befördert.
Mit diesem Amt wird wenigsten eine weitere, politische Leiche unterm Edelweiß wieder künstlich beatmet werden: Die SVP-Arbeitnehmer.