Umwelt | Verkehr

"Glauben Sie, wir fragen dauernd in Wien nach?"

Ab Donnerstag gilt auf Tirols Autobahnen Tempo 100. Warum Fritz Gurgiser vom Transitforum Austria-Tirol damit nicht genug hat und Michl Ebner nicht versteht.

Herr Gurgiser, ab Donnerstag gilt auf der Inntalautobahn und der Brennerautobahn eine permanente Tempo-100-Beschränkung. Ein Freudentag für das Transitforum?
Fritz Gurgiser: Für uns im Transitforum ändert sich damit überhaupt nichts, denn wir fahren freiwillig seit über 15 Jahren mit Tempo 100. Wir predigen schließlich nichts, was wir nicht selber machen, und außerdem haben wir nichts zu verschenken. Denn wer Tempo 100 fährt, lässt an der Tankstelle weniger liegen. Aber das nur nebenbei. Generell würde ich sagen: Man ist jetzt wieder dort, wo wir bereits 2007 standen. Damals gab es bereits ein halbes Jahr lang eine permanente Tempo-100-Beschränkung. Doch die wurde dann durch diesen technischen Firlefanz von IG-L-Hunderter ersetzt.

Also einer flexiblen Tempo-100-Beschränkung, die je nach Schadstoffwerten zum Einsatz kam...
Das war aber von Beginn an ein Blödsinn. Wenn die Grenzwerte im Durchschnitt um 50 bis 100 Prozent überschritten werden, brauche ich nicht mehr lange herumzumessen, sondern muss die Geschwindigkeit einfach herunterfahren. Diese Lösung hat nichts außer Ärger und Frust gebracht. Die Leute haben sie auch nie verstanden, oft wurde bei wenig Verkehr plötzlich Tempo 100 vorgeschrieben, dann wieder bei viel Verkehr nicht.. Dennoch ist für mich am morgigen Donnerstag aber etwas ganz anderes noch viel wichtiger.

Und das wäre?  
Dieser erste Schritt der Tempo-Beschränkung ist die letzte Chance, dass eine Verlagerung auf die Schiene gelingen kann. Denn eines ist klar: Mit Tempo 100 allein kommen wir nicht auf die Grenzwerte herunter. Jetzt müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, um zumindest einen Teil der Transitfahrten auf die Schiene oder eine andere Transitroute zu bringen. Wenn das in diesem Anlauf nicht gelingt, schaffen wir es nie mehr.

"Jeder der sich gegen Maßnahmen zur Luftreinhaltung wehrt, ist gegen das eigene Land, gegen die Gesundheit und gegen die eigene Wirtschaft. Solch eine Haltung ist an Dummheit und Verantwortungslosigkeit nicht zu überbieten."

Wie hängt Tempo 100 mit der Verlagerung auf die Schiene zusammen?
Heute stammen rund 45 Prozent der Stickstoffdioxide auf der Autobahn von PKW. Vor 20 Jahren waren es noch 20 Prozent, doch die Transitflotten haben sich in diesen Jahren sehr verbessert hinsichtlich Lärm und Emissionen. Der Europäische Gerichtshof hat das Sektorale Fahrverbot 2011 unter anderem auch deshalb gekippt, weil wir kein konstantes Tempo-Limit mehr hatten, trotz des hohen PKW-Anteils an den Emissionen.

Sprich, man hat gesagt, beschränkt zuerst einmal die PKW-Emissionen – und dann schauen wir weiter, ob es mehr braucht?
Genau. Doch wir wissen schon heute, dass es mehr brauchen wird. Überschreitungen von 50 bis 100 Prozent der Mittelwerte – die übrigens genauso für Südtirol gelten – kriegt man, wie gesagt, nicht mit Tempo 100 weg. Damit kommt man auf eine Reduzierung von rund fünf bis sechs Prozent, was schon viel ist heute, aber eben nicht ausreicht.

Auch dank dieser permanenten Geschwindigkeitsbeschränkung soll die EU also nach zwei Anläufen überzeugt werden, dass die Verbannung bestimmter Güter von der Straße auf die Schiene notwendig ist? Das soll mit der Wiedereinführung des Sektoralen Fahrverbots bereits im Herbst 2015 geschehen...
Schauen Sie, wir haben allein in Tirol ohne Brennertunnel bereits 3 Milliarden Euro in die Schiene investiert. Doch die Nutzung ist total rückläufig. Wenn man jetzt nicht endlich etwas macht, kann man die Verlagerung vergessen. Deshalb ist es wichtig, dass die entsprechende Verordnung so bald wie möglich vorbereitet wird und im März fix und fertig ist. Denn ein halbes Jahr Übergangsfrist braucht es für die LKW, aber auch die Planung der Bahnkapazität.

Wie ist es eigentlich in Tirol gelungen, notorische Gegner von Tempo 100 wie die ÖVP doch noch von der permanenten Geschwindigkeitsbeschränkung zu überzeugen?
Das ist ganz einfach. Es gibt keine Alternative dazu. Es gibt Richtlinien, die seit 1999 in Kraft sind, wir sind seit 2002 als Luftsanierungsgebiet ausgewiesen, das heißt, diese Maßnahmen sind einfach zu setzen. Warum sich die ÖVP so lange dagegen gewehrt hat, habe ich nie verstanden, weil in Wahrheit ist es so: Jeder der sich gegen Maßnahmen zur Luftreinhaltung wehrt, ist gegen das eigene Land, gegen die Gesundheit und gegen die eigene Wirtschaft. Solch eine Haltung ist an Dummheit und Verantwortungslosigkeit nicht zu überbieten.

"Offenbar fährt man bei Ihnen nur nach Rom, um Geld und Posten zu beschaffen. Ihr ehemaliger Landeshauptmann Durnwalder hat mir das sogar einmal ins Gesicht gesagt: für die Maut fahre ich keinen Meter."

Das gilt jetzt aber sicherlich nicht für Südtirols Handelskammer-Präsident Michl Ebner, der vehement gegen Tempo 100 und Sektorales Fahrverbot auftritt?
Ich kann nur immer wieder sagen: Ich verstehe solch seltsame Vertreter der Wirtschaft überhaupt nicht. Die agieren gegen die eigenen Betriebe – und wie ich Ihnen unterstelle – versteckt für die Transitlobby. Ich kann versichern: Die Wirtschaft in Tirol profitiert letztendlich von allen Beschränkungen, die gemacht werden. Ich bin seit zehn Jahren in Großbetrieben unterwegs, und bin immer verstanden worden. Nur wenn man den Leuten Tempo 100 immer als Streitthema präsentiert statt ihnen zu sagen, warum es das braucht, hetzt man sie eben auf. Dabei braucht man bei uns nur am Berg oben zu stehen und ins Tal zu schauen, um zu verstehen, worum es geht.  

In den Großbetrieben kommen Sie mit Argumenten zur Luftreinhaltung und Gesundheit durch?
Da komme ich nicht nur durch. Schon vor zehn Jahren ist mit uns ein Manfred Swarovski auf der Autobahn gestanden. Denn, wie er gemeint hat: Es kostet uns ein Vermögen, wenn uns die Luftreinhaltung vorgeschrieben wird und de facto keine Verbesserung da ist, weil wir ständig mehr Druck von der Autobahn bekommen.

Wie wichtig wäre es für Tirol, dass Südtirol bei solchen Maßnahmen auch mitzieht?
Hier haben wir tatsächlich das Problem, dass an der Brennerroute von Rosenheim bis Verona vier Länder beteiligt sind, und nur bei uns Maßnahmen gesetzt werden. Die andere drei schauen dagegen zu und freuen sich, dass der Verkehr rollt. Das heißt, es bringt tatsächlich nur beschränkt etwas, wenn LKW auf dem kurzen Stück von Kufstein bis Brenner mit rund 70 Cent genauso viel zahlen wie in der Schweiz. Denn dort müssen sie zu dem Preis durch das ganze Staatsgebiet fahren. Auf der Brennerroute sinkt der Preis dagegen ab dem Brenner bis Verona auf 12 Cent. Doch auch in Südtirol wird man irgendwann um die Frage nicht mehr herumkommen, ob man was für die Leute und Wirtschaft tun will oder weiterhin den internationalen Transit forcieren will. Oder ich weiß nicht, wie man der Südtiroler Bevölkerung langfristig erklären will, warum es wichtig ist, dass der Müll aus Neapel auf der Autobahn vor ihrer Haustür transportiert wird.

Diesbezüglich gibt es hierzulande aber immer den Verweis auf Rom....
...ach, die sollen endlich selber was machen. Glauben Sie, wir fragen dauernd in Wien nach? Für das eigene Land sind zuallererst eine Landesregierung, ein Landeshauptmann und der Landtag verantwortlich. Doch offenbar fährt man bei Ihnen nur nach Rom, um Geld und Posten zu beschaffen. Ihr ehemaliger Landeshauptmann Durnwalder hat mir das sogar einmal ins Gesicht gesagt: für die Maut fahre ich keinen Meter. Für’s Geld war er sich aber nie zu schade. Nur: mit Geld kann man die Gesundheit nicht kaufen.