Chronik | Corona-Screening

Was bringt der Massentest?

Sehr viel, sagt der Biostatistiker Markus Falk. Allerdings nur, wenn sich viele beteiligen und die Gefahren und Schwachstellen des Screenings ernst genommen werden.
Corona-Test
Foto: LRV Weißes Kreuz

Ab morgen, Freitag, sind 350.000 Südtiroler aufgerufen, sich an drei Tagen am landesweiten Corona-Screening zu beteiligen. Auch die Listen der Hausärzte und Apotheken, die sich beteiligen, sind inzwischen veröffentlicht. Die Massentests laufe unter dem Slogan “Südtirol testet”. Was aber können sie bewirken, wie das Infektionsgeschehen beeinflussen? Wo liegen die Gefahren? Auf diese Fragen antwortete der Biostatistiker Markus Falk am Donnerstag Vormittag im Rahmen einer Zoom-Pressekonferenz.

Falk hat im Auftrag der EURAC, mit der er seit Jahren zusammenarbeitete, eine Analyse und verschiedene Szenarien erstellt – unter anderem, wie sich die epidemiologische Situation verändert, je nachdem, wie viele Menschen sich an den Massentests beteiligen. Bei der Pressekonferenz anwesend waren auch EURAC-Präsident Roland Psenner und EURAC-Geschäftsführer Stephan Ortner.

Die Massentests seien eine Gelegenheit, die Südtirol wohl nur ein Mal haben werde und die es zu nutzen gelte, so Falk. “Es ist die einzige Chance, die Fallzahlen innerhalb kürzester Zeit drastisch zu senken. Ansonsten steht uns ein langes, nicht mehr aufhörendes Leiden bevor.”

 

Szenario ohne Massentest

 

Wenn der Teil-Lockdown so wie er seit Anfang November in Südtirol gilt, fortgesetzt und keine Massentestungen stattfinden würden, werden, so Falks Prognose, bis März rund 31.000 neue Corona-Fälle dazukommen, “die das Gesundheitssystem aushalten müsste”. Erst Anfang/Mitte März würde der Reproduktionswert, also die Anzahl der Personen, die ein Corona-Positiver ansteckt, auf unter 1 und die Anzahl der Infizierten pro Tag auf 40 fallen. Wenn man davon ausgeht, dass ein Prozent der Infizierten auf der Intensivstation landen, wären bis März 310 Covid-19-Intensivpatienten zu versorgen.

 

Szenarien mit Massentest


Die Massentests würden es ermöglichen, innerhalb kurzer Zeit nicht Infizierte zu ermitteln und asyptomatische Infizierte, die laut Falk einen Großteil der Neuinfektionen verursachen, zu identifizieren und zu isolieren. Denn rund 40 Prozent der mit dem Coronavirus infizierten Personen würden keine Symptome entwickeln und daher unbemerkt andere anstecken. Um die Infektionsketten zu unterbrechen und die Infektionskurve schnell und deutlich abzuflachen, sei allerdings eine hohe Teilnahme am Massentest wichtig.

Wenn sich 50 Prozent, also 175.000 Personen beteiligen, könnte der Reproduktionswert bis Mitte Jänner auf 0,8 und die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf 40 gesenkt werden. Aber es sei immer noch mit 11.210 neuen Fällen zu rechnen, meint Falk.

 

Beteiligen sich 70 Prozent, also 245.000 Personen, würde die Trenwende bis Anfang/Mitte Dezember erfolgen, der Reproduktionswert auf 0,5 fallen und viel weniger Fälle dazukommen. Laut Falks Berechnungen 3.632. Das würde den Effekten eines strengen Lockdowns gleichkommen, wie es jener im Frühjahr war.

Diese “optimale Situation” sei durchaus realistisch – wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt sind, erläutert Falk: wenn sich tatsächlich 70 Prozent an dem Corona-Screening beteiligen; wenn sich die positiv Getesteten streng an die Isolation halten; wenn auch negativ Getestete weiter, aber zumindest für eine weitere Woche, vorsichtig bleiben und sich streng an die Hygieneregeln halten. Denn, das unterstreicht Falk mehrmals, Antigen-Schnelltests, wie sie am Wochenende in allen 116 Gemeinden durchgeführt werden, bieten keine 100-prozentige Sicherheit. Anhand einer Simulation veranschaulicht der Biostatistiker, wo die Schwachstellen liegen.

 

Keine falsche Sicherheit

 

Die eingesetzten Antigentests – sie stammen von den zwei Herstellern Relab und Abbott – weisen eine Sensitivität von 96 Prozent auf. Sprich, 96 Prozent der laufenden Infektionen, bei denen der Virenträger bereits ansteckend ist, werden angezeigt. Das aber ist erst nach ein paar Tagen der Fall. “Wer sich erst kurz bevor er den Antigentest macht, angesteckt hat, etwa zwei Tage vorher, bei dem wird der Test nicht funktionieren”, erklärt Falk. Es sei also davon auszugehen, dass nur 70 Prozent der tatsächlich Positiven festgestellt werden können. Die anderen, sehr wohl Infizierten, aber durch den Antigentest nicht erfassbaren, werden also falsch negativ getestet.

Die Spezifität der verwendeten Antigentestst liegt bei 99 Prozent. 99 Prozent der zum Zeitpunkt des Tests nicht Infizierten werden auch negativ getestet. Die restlichen ein Prozent werden falsch positiv getestet.

Zur Veranschaulichung liefert Falk eine Simulation für den (unrealistischen) Fall, dass sich alle 350.000 Personen testen lassen: Von 10.000 tatsächlich Infizierten würden nur 7.000 auch positiv getestet werden, 3.000 wären falsch negativ. Von den 340.000 nicht Infizierten würden 336.000 tatsächlich negativ getestet werden, 3.400 wären falsch positiv.

 

Was also bringen die Massentests, wenn 30 Prozent der Infizierten nicht ermittelt werden, also fälschlicherweise negativ aufscheinen, und ein Prozent der positiv Getesteten es gar nicht ist und daher ungerechtfertigt in Isolation muss? Sehr viel, ist der Biostatiker überzeugt.

 

Disziplin und Strategie gefragt

 

“Die Annahme, dass die Massentests nichts bringen würden, ist nur dann richtig, wenn die falsch Negativen frei herumlaufen würden”, sagt Falk. Sein Appell daher: Auch wer negativ getestet wird, soll sich nicht in falscher Sicherheit wiegen und zumindest eine Woche Kontakte weitgehend meiden und die Hygieneregeln beachten. Denn nach einer Woche sei man, sollte man tatsächlich unentdeckt infiziert sein, nicht mehr ansteckend. Und die falschen Positiven? “Dass die sozusagen ohne Schuld verurteilt werden und für 10 Tage in Isolation müssen, ist der Preis, den wir zahlen müssen”, meint Falk. “Aber positiv ist, dass die Wahrscheinlichkeit sich anzustecken, sehr gering ist, wenn man isoliert ist.” Natürlich könne man auch alle – laut Simulation 10.400 – Positiven einem PCR-Test unterziehen, um die falschen Positiven herauszufiltern. “Das wäre in Südtirol schon schaffbar, allerdings würde es mindestens eine Woche dauern, bis das Ergebnis da ist – und da ist die Isolation auch schon wieder fast zu Ende.”

Den Positiven rät er, zu einem späteren Zeitpunkt einen Antikörpertest zu machen, “damit sich die falsch Positiven nicht in falscher Sicherheit wiegen”. Ein flächendeckendes Nachtesten hält er nicht für sinnvoll. Weitere Testreihen sollten nur dort stattfinden, wo sich Hotspots zeigten, “zum Beispiel in Gemeinden mit einer niedrigen Test-Beteiligung, aber vielen Positiven”.

 

Falks Fazit: Bis 29. November Vorsicht walten lassen, egal ob das Testergebnis vom Wochenende positiv oder negativ ausfällt, und sich an die Hygienemaßnahmen halten – “auch wenn wir es nicht mehr hören können”. Und was dann? Was, wenn der Massentest erfolgreich verläuft, sich genügend Menschen testen lassen und die Zahl der Infizierten, im besten Fall bis Mitte Dezember, deutlich reduziert werden kann? “Dann können wir die Aktivitäten wie im Sommer wieder aufnehmen, aber es braucht eine klare Strategie, wie die Neuinfektionen, die es sicher weiter geben wird, eingegrenzt werden können – um das Infektionsgeschehen in Schach zu halten. Solange es nicht wieder ein kritisches Niveau erreicht, können wir mit dem Virus leben.”

 

N.B.: Die Materialien zur Pressekonferenz gibt es auf der Seite der EURAC zum Download.