salto.music | Essay

Das Diktat der Single

Warum die „Hauptsache Singles“-Strategie für Bands und MusikerInnen nicht unbedingt förderlich ist, weil sie sich letztlich weder für sie selbst noch für die Fans eignet.
Graffiti
Foto: rhd
Summer Stained: „Don't Forget Me“ (Official Music Video)

 

Beginnen wir mit einem unbestreitbaren Tatbestand: Es war noch nie so viel Musik verfügbar wie heute. Die Vielfalt war noch nie so groß, die (Audio-)Qualität noch nie so gut, der Zugang noch nie so einfach und so kostengünstig. Nicht nur die großen digitalen Plattformen – Spotify, YouTube, Apple Music – haben diese Türen aufgerissen, auch kleine Dienste wie bandcamp.com oder soundcloud.com sind für die Vermittlung von Musik unterschiedlichster Richtungen von großer Bedeutung.

Für die kleinen, unbekannten Bands und MusikerInnen bedeutet dies, dass sie die Möglichkeit haben, ohne große technische oder finanzielle Hürden an ein breites Publikum zu gelangen. Theoretisch, denn die „Konkurrenz” hat exponentiell zugenommen. Zudem bemühen sich auch die großen Labels mit ihren Stars um die beschränkte Aufmerksamkeit jener, die Musik hören wollen. Es herrscht also ein beträchtliches Gedränge in der digitalen Musikwelt.

Aber das ist gut, denn, und das ist die wirklich gute Nachricht, die wir gerne wiederholen: Es war noch nie so viel Musik verfügbar wie heute. Und die Reaktion auf diese Unmenge an Musik ist unterschiedlich: Da es ein aktives Publikum, das sich seine Musik sucht, und es gibt ein bequemes Publikum, das sich mit gern mit Musik versorgen lässt. Für beide ist es eine gute Zeit.

 

Zelda Mab: „Facile preda” (Official Video)

 

Es soll hier nicht darum gehen, die generelle Sinnhaftigkeit von Singles infrage zu stellen, Singles hat es immer gegeben und sie sind ein wichtiger Motor für die Pop-Musik. Es sollen auch nicht die gemeinhin bekannten negativen Seiten von Streaming-Plattformen diskutiert werden, wie die geringe Vergütung der Musik.

Es soll darum gehen, warum die „Hauptsache Singles“-Strategie für die kleinen und unbekannten Bands (und MusikerInnen) nicht unbedingt förderlich ist und warum Singles für jemanden, der (oder die) sich etwas intensiver mit Musik beschäftigt, letztlich unbefriedigend sind.

Wir möchten zwei Aspekte hervorheben, die diese allgemeine Tendenz nach sich zieht.

Beginnen wir mit den Bands bzw. Musikerinnen und Musikern. Die Stilrichtung ist nicht wichtig, wichtig ist, dass sie am Anfang stehen, dass sie den sogenannten Durchbruch noch nicht geschafft haben.

Es gibt jede Menge YouTube-Tutorials und „Coaches”, die Tipps an die jungen aufstrebenden KünstlerInnen weitergeben, die zum Beispiel Checklisten für die optimale Abwicklung einer Veröffentlichung vorrätig haben: Preview-Video, Countdown oder Vorankündigung mit Infos zum Song im Vorfeld; der Release selbst – natürlich an einem Freitag – und im Nachgang, ein eventuelles „Making Of“ zum Videoclip oder zum Studiobesuch. Mit dem Material zu einem Song – Audio und Video – kann in etwa ein Zeitraum von einem Monat abgedeckt werden.

Das ist durchaus spannend, anfangs. Nach einiger Zeit wird es aber ermüdend und ist nur mehr ein Spielchen, bei dem die Fans bestenfalls mitspielen. Der Freitag als Release-Tag ist überfüllt, man nimmt sich gegenseitig die Aufmerksamkeit der eh schon flüchtigen digitalen Welt.

 

Laeds: „The Light Shedder“ (Official Video)

 

Das gilt auch für die Musik selbst: Durch die ständige Optimierung und die ständige Orientierung an dem zurzeit gültigen allgemeinen Geschmack, wird zwar einerseits ein gutes bis sehr gutes Niveau in der Präsentation, im Klangbild, im Arrangement, in der Produktion erreicht, aber das geht andererseits auf Kosten der Originalität. Neues kommt gar nicht erst hoch, weil Bewährtes, bereits Bekanntes und Funktionierendes von den verschiedenen Coaches weitergegeben wird.

Dadurch, dass der Schwerpunkt auf die vermeintliche Perfektion und organisatorische Kontrolle gelegt wird, verlieren die Bands, die Musiker und Musikerinnen ihren Fokus: Es geht nicht mehr um den Kern der ganzen Sache, der eigentlich darin bestehen sollte, neue, eigene, bestenfalls wiedererkennbare Musik zu schaffen. Und es geht auch nicht mehr unbedingt darum Spaß zu haben, sondern darum eine Checklist abzuarbeiten.

Sie sind praktisch abgelenkt und gleichzeitig gefangen von der eigenen Oberfläche, von den selbst gesetzten Zielen. Das zieht sich ein, zwei, vielleicht sogar drei Jahre hin, weil ja alles fein säuberlich vorausgeplant sein will, und es ist ja an sich auch gut, einen Plan zu haben, aber dieser Plan sollte nicht der Kreativität und der eigenen künstlerischen Entwicklung im Wege stehen. Die Konzentration auf regelmäßig erscheinende Singles hat aber genau das zur Folge.

Singles werden veröffentlicht und dann, mit ein, zwei neuen, bislang unveröffentlichten Tracks im Nachgang zusammengefasst und als Release ins Netzt gestellt. Der Neuigkeitswert ist nicht mehr gegeben, nicht nur, weil die Singles bereits bekannt sind, sondern auch, weil sich der allgemeine Geschmack vielleicht schon wieder leicht verändert hat.

 

Dead Like Juliet: „Your Song” (Official Video)

 

Es ergibt mehr Sinn, die ganze Geschichte umzudrehen: Zuerst die EP und dann ein, zwei Singles daraus zu veröffentlichen.
Die Band (oder die Musikerin, der Musiker) bringt seine Musik auf den Punkt, fängt diese in drei, vier, fünf Songs ein und schließt damit nicht nur einen Abschnitt ab, sondern hat nun Luft, sich weiterzuentwickeln, mit neuen Ideen zu arbeiten und neue Songs zu schreiben die in die Zeit passen.

Die Fans und all jene, die sich mit der Musik auseinandersetzen wollen, bekommen mit der EP gleich 20 Minuten Musik am Stück an die Hand, und können sich damit auseinandersetzen, was mit den üblichen 3-Minuten-Singles kaum möglich ist, zumal auch die Reihenfolge der Songs auf einem guten Album oder einer guten EP eine sehr große Rolle spielen kann.

Eine gute Single wird erst durch wiederholtes Hören zu einer erfolgreichen Single. Niemand kann wirklich voraussagen, welcher Song erfolgreich sein wird. Auch die großen internationalen Labels können das nicht. Es ist für junge bzw. unbekannte Bands und Musiker/Musikerinnen umso unwahrscheinlicher, dass sie die Aufmerksamkeit des großen Publikums durch ein, zwei, drei Singles erlangen.

Vielleicht lässt sich das bisher Gesagte folgendermaßen auf den Punkt bringen: Was ist, wenn mir die erste Single gefällt? Muss ich tatsächlich drei Monate warten bis zum nächsten Song? Bis dahin ist mit Sicherheit bereits die nächste Band auf dem Radar, mit einem neuen Song, vielleicht sogar mit einer EP oder einem Album.

 

Slowtorch: „The Machine Has Failed“ (Official Video)