Anna Karina: Tod einer Ikone
Was viele nicht wissen und deshalb fälschlicherweise das Gegenteil annehmen, ist die Tatsache, dass Anna Karina keine französische Schauspielerin war. Geboren 1940 in Dänemark zog es sie im Alter von 17 Jahren nach Paris. Die Kindheit war eine zerrissene gewesen, zwischen der beinahe völligen Abwesenheit des Vaters, dem Aufwachsen bei Verwandten und der späten Rückkehr zur Mutter, den rebellischen Versuchen, aus diesem fern von Heil dahin wankenden Alltag auszubrechen... Ihre große Leidenschaft, nämlich das Schauspiel mischte sich in Anna Karinas Jugendzeit in ihr Leben. Früh trat sie bei kleineren Vorstellungen in Kabaretts auf, arbeitete dort und versuchte sich einen Namen zu machen. Der ihre lautete damals noch ganz bürgerlich Hanne Karin Blarke Bayer. Ein Zungenbrecher und in der Branche wohl kaum von großer Zugkraft. Erst als sie nach Frankreich ging und dort als Model für namhafte Unternehmen wie Coco Chanel arbeitete, wurde sie zu jener, die nur wenig später auch auf der Leinwand zu bewundern war. Coco Chanel war es, die Hanne zu Anna, Bayer zu Karina machte. Als junges Model und Werbegesicht tanzte Karina durch den ein oder anderen Spot, ihr Gesicht machte die Runde und erreichte früher oder später die jungen, wilden Filmemacher der neuen französischen Welle, der Nouvelle Vague. Wir befinden uns im Jahr 1960, als es zu einer schicksalhaften Begegnung kommt. Anna Karina trifft auf den damaligen Filmkritiker und Cineasten Jean-Luc Godard, der das junge Model in einigen Werbespots erspäht hatte und allen Anschein nach mit dem Gedanken spielte, sie in seinem ersten eigenen Spielfilm einzubauen. Godard bot Karina eine Rolle in dem heute als Meilenstein geltenden Erstlingswerk „Außer Atem“ (1960) an. Natürlich konnte niemand ahnen, welche Wucht dieser Film haben würde und welchen Einfluss die Nouvelle Vague als Gesamtes. Anna Karina sollte in diesem Film jedoch nicht etwa die Hauptrolle einnehmen und Jean Seberg mit ihrem ikonischen blonden Kurzhaarschnitt ersetzen. Godard hatte die Nachwuchsschauspielerin vielmehr für eine kleine Nebenrolle eingeplant, eine, die voraussetzte, dass Karina nackt sei. Verständlich, dass dies auf wenig Begeisterung stieß. Aus dieser Situation ist uns eine charmante Anekdote überliefert, die an dieser Stelle passenderweise bemühmt werden darf: Nach Karinas Protest, sich nicht für die Kamera ausziehen zu wollen, sagte Godard, dass man sie ja bereits in einem Werbefilm der Firma Palmolive nackt gesehen hätte. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass sich Karina in diesem Spot in einem Schaumbad befindet und bis zum Hals davon bedeckt ist. Passend dazu erwiderte Karina mit großer Schlagfertigkeit: „Spinnen Sie? Bei diesen Werbeaufnahmen habe ich einen Badeanzug getragen – und war bis zum Hals von Seifenschaum bedeckt. Nackt war ich nur in Ihrer Vorstellung.“
So schied Karina aus der Besetzungsliste und kolaborierte erst bei Godards zweitem Film mit dem Visionär. Ungleich wichtig war „Der kleine Soldat“, da er nach dem furiosen Debüt zeigen musste, dass Godard auch auf inhaltlicher Ebene überzeugen konnte. Noch im selben Jahr 1960 spielte Anna Karina in diesem Film ein Fotomodel mit deutlich linker politischer Ausrichtung. Ihr gegenüber steht Michel Subor als Rechter. Schon in Karinas erster Kinorolle zeigt sie ihr nuanciertes Spiel, das oft nur über Mimik funktioniert und an Stummfilmzeiten denken lässt. Der stechende, durchdringende Blick der Karina ist maßgeblich für ihre Performance und ihr Charme derart stark, dass sich ihm kaum jemand entziehen kann. So auch nicht Godard selbst. Die beiden heirateten nur kurze Zeit später im März 1961. Die Ehe hielt nicht lange, bereits 1965 ging die Beziehung wieder auseinander. Die Zusammenarbeit brach jedoch nicht ab, auch wenn sie zwischen Karinas Selbstmordversuchen und zwischenmenschlichen Krisen, sowie den verzweifelten Annäherungsversuchen Godards keine leichte war. Insgesamt drehte Karina acht Filme mit Godard, der wohl wichtigste nach „Der kleine Soldat“ dürfte „Die Außenseiterbande“ von 1964 sein. Ikonisch und unvergessen ist die Tanzszene, die den Geist des französischen Lebensgefühls wunderbar einfängt.
Godard inszenierte Karina zwar als Objekt der männlichen Begierde, doch sexualisierte sie nicht. Deshalb und aufgrund der Fragilität ihrer Gestalt gilt Karina als der europäische Gegenentwurf zur klassischen Sexbombe der 50er und 60er Jahre, wie sie in Hollywood nur zu gerne verwendet wurde. Auch war sie eigenwillig, privat und in ihrer Rollenauswahl. Als die 60er Jahre und damit Godards Hochzeit allmählich endeten, bedeutete das für Karina keineswegs das Ende. Sie emanzipierte sich von ihrem Entdecker und drehte im internationalen Raum Filme, mit Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder („Chinesisches Roulette“, 1976), Volker Schlöndorff („Michael Kohlhaas – der Rebell“, 1969) oder Luchino Visconti („Der Fremde“, 1967). Gut war sie in allen, doch in Erinnerung bleiben wird sie für ihre Arbeit mit Godard. Neben dem Schauspiel war Anna Karina auch als Sängerin tätig. So sang sie beispielweise in Musicals Lieder von Serge Gainsbourg. Außerdem findet man vier Romane von Karina, die zwischen 1973 und 1998 erschienen sind. Ihren letzten Film drehte sie 2008. Keine andere Schauspielerin, ja wohl nicht einmal Brigitte Bardot steht derart für den französischen Geist der 60er Jahre. Ebenso wie die filmische Strömung, in die Karina hineingeboren wurde, war auch sie selbst eine Rebellin, die abseits von Konventionen Neues schaffen wollte. Dabei vergaß sie niemals das unverwechselbare Lächeln, das den Zuschauer wissen lässt, dass sie ihm doch immer einen Schritt voraus ist. Anna Karina starb am 14. Dezember 2019 im Alter von 79 Jahren am Krebs. Dank ihrer verdienstvollen Arbeit für die Kunst wird sie ewig weiterleben.