Kultur | LGBTQIA+

Ballroom trifft Bozen

Am 28. Oktober fand der erste Ball, „The Intro Ball: Everone's a 10“, im Museion statt. Anfang Dezember trafen sich die Teilnehmer:innen in der Radical Queer Library.
Jury des Balls
Foto: Samira Mosca
  • Ende Oktober wurde für die queere Community in Südtirol Geschichte geschrieben. In Bozen fand der erste so genannte „Ball“, organisiert vom Museion Art Club und unterstützt von Centaurus Arcigay Südtirol/ AltoAdige, statt. Nun ließen einige der teilnehmenden Performer das Erlebte nochmals Revue passieren und reflektierten gemeinsam in der Radical Queer Library. Voraus ging diesem Treffen der viertägige Workshop „Werk: Voguing Dance“ unter der Leitung von William Briscoe, der den Tanzstil des Voguing nach Südtirol brachte. Briscoe besuchte die renommierte Julliard School, Konservatorium und Schule für darstellende Künste, in New York. Somit befand er sich direkt an der Quelle der Ballroom culture, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in New York ihren Anfang fand. 

  • Woher kommt Ballroom eigentlich?

    Voguing

    Der Name des Tanzstils Voguing stammt von der international bekannten Modezeitschrift Vogue ab. Die Bewegungen, die den einzigartigen Tanzstil definieren, basieren auf Modellposen aus besagtem Modemagazin. Des Weiteren zog man Inspiration aus verschiedenen Tanzstilen wie Ballett, Kampfkunst und Pantomime. Voguing ist die Erweiterung des sogenannte "Throwing Shade", eine Art nonverbaler Beleidigung. Anstelle von einem körperlich ausgetragenen Kampf, tragen die betreffenden Personen den Konflikt auf der Tanzfläche aus. Wer die besten Moves hat, gewinnt. 

    Der modernere Ursprung liegt in den sechziger und siebziger Jahren im Stadtviertel Harlem von New York. Die Jury bei den Dragballs waren zu dieser Zeit ausschließlich Menschen mit weißer Hautfarbe. Es traten weiße wie schwarze Drag Queens gegeneinander an, den ersten Platz besetzten jedoch fast nur weiße Teilnehmer der Wettbewerbe. Farbige und lateinamerikanische Teilnehmer gründeten in den 1970er Jahren wegen des erfahrenen Rassismus und dem unfairen Umgang ihre eigene Ballroom Szene. Vor allem wichtig zu erwähnen ist, dass bei der Entstehung schwarze Transfrauen eine fundamental wichtige Rolle spielten. Dort fanden junge queere People of Colour und Latinxs (genderneutrale Bezeichnung für den Begriff Latino/a, Anm. d. Red.) in der Ballroom Subkultur eine akzeptierende und willkommen heißende Gemeinschaft, in der sich niemand vor Diskriminierung und Ausgrenzung fürchten musste. 

    Die Menschen dieser marginalisierten Gruppen kämpfen häufiger als andere Menschen mit Problemen wie Rassismus, Homo- und/oder Transphobie, Obdachlosigkeit, Armut und Drogenabhängigkeit. Die Balls bieten die Chance auf eine Besserung, ein Raum, in dem Lösungen für diese Probleme gemeinsam gesucht werden. Jede:r kann auch nur für eine Nacht der- oder diejenige sein, wer man gerade sein möchte. Die Szene ist nach wie vor aktiv und erlebt seit ein paar Jahren eine Art Renaissance. Damals wie heute dient der Ballroom als sicherer Ort, um sich ausleben und einfach man selbst sein zu können.

  • Workshop Teilnehmende: Die Gruppe der Teilnehmer:innen war durch die Reihe bunt gemischt. Foto: Samira Mosca
  • Eine ganz eigene Sprache

    Viele der Teilnehmer:innen des Ballrooms schließen sich in sogenannten „Häusern“ zusammen. Ursprünglich kommt die Idee und Terminologie der Häuser daher, dass das Haus, dem man zugehörig ist, als Alternativfamilie fungiert. Personen, die Teil der LGBTQ+ Community sind, mussten früher und oft auch heute noch ihre Sexualität und Geschlechtsidentität verstecken. Wurden diese offen ausgelebt, drohte vielen die Abweisung durch die eigene Familie. Ein Obdach fanden viele Verstoßene in einem der Häuser. Es sind sozusagen Wohngemeinschaften, (kreative) Kollektive, die eine Familienfunktion einnehmen. Die Häuser sind für viele der Mitglieder der einzige Ort, wo sie richtige Unterstützung, Liebe und Akzeptanz erfahren. Dinge, die ihnen von ihren Eltern nie vermittelt wurden.

  • Alles andere als überflüssig

    Kategorie „Realness“: Die Divise heißt so authentisch wie möglich sein. Foto: Samira Mosca

    Bei Bällen kommen Mitglieder aller Häuser zusammen und konkurrieren in verschiedenen Kategorien. Über die Performance und den Wettbewerben hinaus wurden durch diese Bälle ein sicherer Raum für die queere Gemeinschaft geschaffen und das Gefühl von Zugehörigkeit wurde vermittelt, insbesondere für schwarze und lateinamerikanische junge, queere Erwachsene. Leider hat sich immer noch nicht genug geändert, als dass solche "Safe spaces" nicht mehr nötig wären. Ganz im Gegenteil. Die zunehmende Trans- und Queerfeindlichkeit in Europa führt zu mehr Gewalttaten und lässt solche Veranstaltungen umso wichtiger werden. Neben der Möglichkeit zur Zelebrierung und Auslebung der eigenen Identität stellt die Ballroom Szene eine Option auf eine bessere Zukunft dar. Leider sind permanente Räumlichkeiten selten vorhanden und oftmals nur temporär nutzbar. Ein Saal, der ausschließlich für Balls genutzt wird fehlt vielerorts noch.

  • Im Gespräch mit den Teilnehmer:innen

    Maxie und eine am Workshop teilnehmende Person beim Tanzen Foto: Samira Mosca

    SALTO: Wie war Ihre Erfahrung mit dem Workshop "Werk: Voguing Dance"?

    Maxie, 20

    Vorab möchte ich sagen, dass unglaublich glücklich und dankbar für die Gelegenheit bin, die dieser Ball und der Workshop uns allen gegeben hat. Der Wunsch nach dieser Art von Event war sehr präsent und wurde in den letzten Jahren immer größer. Außerdem war es eine enorme Bereicherung, dass ein professioneller Tanzlehrer in Südtirol nur für uns einen Kurs gegeben hat. Besonders wichtig fand ich auch, dass es jemand aus der Szene ist. 

  • „Der Wunsch nach dieser Art von Event war sehr präsent und wurde in den letzten Jahren immer größer“

     

    Der Kurs war alles andere als einfach. Es wurden ungefähr drei Stunden intensiv getanzt, aber mit der Zeit und durch die Atmosphäre wurde es leichter. Interessant war auch, dass viele Kategorien von Ballroom angeschnitten und erklärt wurden. Durch den Kurs wurde die Ballroom Szene greifbarer, weil man anstelle der trockenen Theorie es selbst erleben und erlernen durfte. Die Zusammenstellung der Teilnehmer war bunt gemischt, dennoch war es sehr harmonisch, da man wusste, dass alle aus ungefähr denselben Gründen hier waren. Beim Ball selbst konnte ich leider nicht dabei sein.

  • William Briscoe: Die dargestellte Pose, in welcher der Tanzlehrer hier abgebildet ist, trägt den Namen „Death Drop“. Foto: Samira Mosca
  • SALTO: Was ist Ballroom für Sie? 

    Daniel, 22

    Da dies mein erster Ball war, wie für viele andere auch, kann ich hierzu noch keine vollständige Antwort geben. Meiner Meinung nach ist Ballroom vor allem eines: ein unterstützendes Umfeld, in dem alle Menschen jeglicher Identität sein können, wie sie sind. Ein weiteres wichtiges Element ist die Selbstauslebung. Auch wenn man selbst nicht an den Kategorien teilnimmt, ist es wichtig und richtig als Zuschauer nicht inaktiv zu sein, denn ein großer Teil des Ballrooms ist die Stimmung. Das applaudierende Publikum, die Rufe. All das gibt einem ein sehr gutes und besonderes Gefühl. 

     

    „Das bedingungslose und unbegrenzte positive Feedback ist unumgänglich“

     

    Die Dynamiken, welche in diesen Momenten entstehen sind unglaublich stark und nehmen einen regelrecht ein. Das bedingungslose und unbegrenzte positive Feedback ist unumgänglich. Jede:r feuert dich an, und das ist ein unglaubliches Gefühl. Aber Ballroom ist nicht nur ein sicherer Ort, sondern auch eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft. Die Offenheit und die Unterstützung, die man während eines Balls erfährt, sollten nicht auf diesen Raum beschränkt sein. In gewisser Weise wird man selbst zum Ball und verkörpert, was Ballroom letztendlich ist. 

  • Sara beim Tanzen: Sich ausleben und ausprobieren nahm eine wesentliche Rolle beim Workshop ein. Foto: Samira Mosca

    Sara, 23

    Für mich ist Ballroom ein Ort, an dem ich mich so kleiden und so sein kann, wie ich es möchte. Die Kategorien, an denen ich hauptsächlich teilnehme, sind modische, weil ich mich durch meine Kleidung und meinen Stil ausdrücke. Ich entdeckte Ballroom vor nicht allzu langer Zeit für mich und besuchte meinen ersten Ball zu Hause in Warschau, wo ich mit Sicherheit sagen kann, dass es für die queere Community ein großer Kampf war, diese Art von Safe Spaces zu kreieren. Es ist ein Umfeld, in dem sich alle gegenseitig unterstützen, aufbauen und motivieren. Da es so viele verschiedene Kategorien gibt, gibt einem das die Möglichkeit eine auszusuchen bei der man der/die Beste sein kann. Ich muss aber auch sagen, dass ich persönlich die weniger kompetitiven Balls bevorzuge. Der Wettbewerb und die Konkurrenz bei den Bällen kann schnell einschüchtern. Deshalb rate ich denen, die gerade erst die Ballroom Szene kennenlernen und vielleicht noch nie in einer Kategorie angetreten sind, bei weniger wettbewerbsorientierten Balls anzufangen.

  • Gerade wird aktiv nach einem permanenten Ort gesucht, den die LGBTQ+ Community für Events und Balls nutzen kann. Auch noch nach dem Workshop wird der Geist von den Teilnehmer:innen des Workshops am Leben erhalten. Es wurde uns ein Raum kostenlos zur Verfügung gestellt. Aktuell trifft sich eine kleine Gruppe einmal pro Woche, um gemeinsam zu trainieren. Wir üben uns in Voguing, wie im Schauspiel und Selbstpräsentation. 

  • Der nächste Ball wird am 27. Jänner in Steinmanwald in der Diskothek Cheope organisiert vom House of Fire stattfinden.