Wirtschaft | Privatsektor

Windeln wechseln und Karriere machen

Der AFI-Bericht zur Gleichstellung in Südtirols Großbetrieben zeigt einen großen Unterschied bei Zuschlägen und Leistungsprämien. Erfreulich: Mehr Väter in Elternzeit.
Windeln
Foto: Harry Grout/Unsplash
  • Der Gender Pay Gap beträgt in der Südtiroler Privatwirtschaft bei zusätzlichen Zuschlägen von Arbeiter*innen 75,2 Prozent. Demnach haben Arbeiter im Jahr 2021 im Durchschnitt einen Zuschlag von 1.670 Euro und Arbeiterinnen nur einen Zuschlag von 414 Euro erhalten. Ebenso die Lohnlücke der Leistungsprämien ist beträchtlich und liegt insgesamt bei 66,9 Prozent. 

    „Obwohl 43,3 Prozent des gesamten Personals Frauen sind, liegt der Anteil der weiblichen Führungskräfte bei nur 10,1 Prozent.“

    „Die Ergebnisse ziegen, dass diese zusätzlichen Lohnelemente doch einen sehr willkürlichen Charakter haben und möglicherweise in den Führungsetagen zum Vorteil von Männern entschieden wird“, erklärt AFI-Forscherin Aline Lupa bei der Vorstellung des siebten Berichts zur Beschäftigungssituation in großen Unternehmen Südtirols aus Genderperspektive.

  • Foto: AFI
  • Die Südtiroler Daten wurden vom nationalen Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik zur Verfügung gestellt, Untersuchungszeitraum waren die Jahre 2020 und 2021. Erstmals wurden im Bericht nicht nur Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten erfasst, sondern auch Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten. Insgesamt haben 543 Südtiroler Unternehmen den Fragebogen des Ministeriums ausgefüllt, sie beschäftigten Ende des Jahres 2021 103.197 Personen

    „Dadurch hat sich die Stichprobe sehr vergrößert und die Vergleichbarkeit mit den Daten aus den Vorjahresberichten ist nur eingeschränkt gegeben“, erklärt Lupa bei der Vorstellung des Berichts heute (19.12.2023) im Repräsentationssaal des Bozner Landtags im Beisein von Gleichstellungsrätin Michela Morandini, AFI-Direktor Stefan Perini und dem Präsidenten des Südtiroler Landtags Josef Noggler. Die Analyse wurde vom Arbeitsförderungsinstitut (AFI) im Auftrag der Gleichstellungsrätin ausgearbeitet.

  • Foto: AFI
  • Wenig Veränderung

    Die Ergebnisse „zeigen bezüglich des Geschlechterverhältnisses eine Realität, die leider nicht viel anders ist als die, die in früheren Berichten beschrieben wurde: Frauen sind immer noch benachteiligt und in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Obwohl 43,3 Prozent des gesamten Personals Frauen sind, liegt der Anteil der weiblichen Führungskräfte bei nur 10,1 Prozent“, erklärt Morandini.

  • Vorstellung der Studie: Sie wurde im Auftrag der Gleichstellungsrätin vom AFI erarbeitet. Foto: Südtiroler Landtag/Werth

    Die vertikale Segregation und die „gläserne Decke", die Frauen den Zugang zu Führungspositionen erschweren, bestehen also fort. „Es kann festgestellt werden, dass die Familien- und Pflegebetreuung immer noch vorwiegend als weibliche Aufgabe angesehen wird. Dies bezeugt der Umstand, dass 83,5 Prozent der Beschäftigten mit unbefristetem Teilzeitvertrag Frauen sind. Der Wartestand wegen Vaterschaft oder Mutterschaft wird ebenfalls mehrheitlich von Frauen in Anspruch genommen“, sagt AFI-Forscherin Lupa. 

    AFI-Direktor Perini plädiert deshalb für eine Neuaufteilung der Arbeitszeit zwischen Frauen und Männern, sowohl bei der unbezahlten Familien- und Pflegebetreuung zuhause als auch bei der Lohnarbeit. „Das Ziel ist es, dass Arbeit – ob unbezahlt oder bezahlt – eine gesellschaftliche Wertschätzung findet und man sich in einer Partnerschaft diese beiden Formen von Arbeit gleichmäßig aufteilt“, so Perini. Konkret heiße das, dass Männer nicht mehr zu 100 Prozent und Frauen zu 50 Prozent einer Lohnarbeit nachgehen, sondern beide 75 Prozent. 

  • Südtirols Unternehmensstruktur

    Die in der Studie untersuchten Daten weichen von der Realität der gesamten Südtiroler Unternehmenswelt ab, die sich hauptsächlich aus Kleinst- und Kleinunternehmen zusammensetzt. Die letzten verfügbaren Daten des ASTAT für das Jahr 2020 zeigen, dass Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten sogar 92,6 Prozent ausmachten und 39,6 Prozent der Arbeitskräfte beschäftigten. 

  • Mehr Männer in Vaterschaft

    Ein Abschnitt des Berichts befasst sich mit dem Wartestand wegen Vaterschaft- und Mutterschaft. Hier fällt auf, dass die Anzahl der Väter in Vaterschaft im Vergleich zu den Biennien vor der Pandemie gestiegen ist: Im analysierten Zeitraum waren von all jenen, die Mutter- bzw. Vaterschaft beantragt haben, 63,6 Prozent Frauen und 36,4 Prozent Männer. Im vorherigen Biennium waren es 92,2 Prozent Frauen und 7,8 Prozent Männer.

    Erstmals enthält der Fragebogen außerdem Informationen zu den Maßnahmen, die von den Unternehmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergriffen wurden. Am weitesten verbreitet in den Unternehmen ist die Gleitzeit, gefolgt vom Arbeitszeitkonto und dem Homeoffice. Dagegen werden Leistungen, die in Zusammenhang mit der Kinderbetreuung stehen, nur von 19,3 Prozent der Unternehmen angeboten.

  • Michela Morandini: „Ein wichtiges Instrument für Südtirol ist der Gleichstellungsaktionsplan, der vom Landesbeirat für Chancengleichheit für Frauen und vom Frauenbüro der Autonomen Provinz Bozen in Auftrag gegeben wurde.“ Foto: SALTO
  • Ausblick

    Ein historischer Vergleich mit früheren Berichten war – wegen der unterschiedlichen Gesamtstichproben – nur für eine einheitliche Stichprobe von 77 Unternehmen möglich. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die verschiedenen Sektoren mit einem oder mehreren geschlechtsspezifischen Merkmalen allmählich für das unterrepräsentierte Geschlecht öffnen. 

    Gleichstellungsrätin Morandini schließt aus den Ergebnissen: „Notwendig ist ein ganzheitlicher Ansatz, der drei Ebenen in Synergie bringt: gesellschaftliche/politische Rahmenbedingungen, unternehmerische Aspekte sowie ein Familienmodell, das durch die Aufteilung der Rollen charakterisiert ist. Ein wichtiges Instrument für Südtirol ist der Gleichstellungsaktionsplan, der vom Landesbeirat für Chancengleichheit für Frauen und vom Frauenbüro der Autonomen Provinz Bozen in Auftrag gegeben wurde. Dieser wurde nach einem partizipativen Prozess im September 2023 vorgelegt, um dieses Ziel anzustreben und entsprechende Maßnahmen vorzusehen.“