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Der Brennerzaun im Container

Der Doku-Film Nikolaus Geyrhalters „Die bauliche Maßnahme“ über den nicht errichteten Brennerzaun ist preisverdächtig. Das hat das Diagonale-Festival in Graz gezeigt.
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Foto: Salto.bz

Viele erinnern sich wie 2016 eine Entscheidung der österreichischen Bundesregierung vor allem auch in Südtirol für Aufregung sorgte: Eine „bauliche Maßnahme“, politdeutsch für Grenzzaun, sollte die nach der Schließung der Balkanroute erwarteten Flüchtlingsströme am Brenner daran hindern, nach Österreich zu gelangen. Regisseur Nikolaus Geyrhalter war vor Ort, um das Entstehen dieses Grenzzaunes zu dokumentieren – doch die Zaunrollen liegen bis heute im Container: Die Flüchtlingsströme blieben aus, der Grenzübergang maschendrahtzaunfrei. Nicht weniger relevant und sehenswert macht das den trotzdem entstandenen Film, in dem Geyrhalter auf sensible Weise die Menschen rund um die Brennerregion zu Wort kommen lässt. Polizisten, Bauern, GastwirtInnen, MautkassiererInnen, Wanderer: Wie stehen sie zum geplanten Grenzzaun? Wie schätzen sie die sogenannte Flüchtlingskrise ein? Wovor fürchten sie sich? Wie können wir das Problem lösen? Der preisgekrönte Dokumentarfilmer bringt die Menschen dazu, von ihren politischen Haltungen, Ängsten und Gedanken zu erzählen, ohne sie dabei vorzuführen. Entstanden ist ein vielstimmiges Porträt in wunderbaren ästhetischen Bildern, das – wie jeder gute Film – mehr Fragen aufwirft, als es Antworten gibt.
Im Interview mit Nikolaus Geyrhalter spricht er unter anderem über seine Faszination für Grenzen, die Möglichkeiten des Dokumentarfilms und über die Hintergründe zu Die bauliche Maßnahme.

salto.bz Herr Geyrhalter, schaut man sich Ihre Arbeiten an, ist die Grenze im weitesten Sinne ein wiederkehrender Topos. Was fasziniert Sie so an Grenzen?
Ich glaube, dass die Welt einfach immer mehr zusammenwächst und Grenzen eigentlich obsolet sein sollten. Im Grunde genommen wird die Welt immer mehr zum Dorf. Und es scheint mir so, dass sich die Menschen mit dem Abbauen von Grenzen sehr schwer tun.

Die meisten Ihrer Filme haben eine politische bzw. gesellschaftliche Relevanz. Muss für Sie der Dokumentarfilm an sich engagiert sein?
Ich glaube schon, dass es für einen Film eine Begründung geben muss. Und im Grunde genommen will ja jeder auf seine Art ein bisschen die Welt verändern – dass das in der Praxis nicht gelingt, ist eine andere Sache. Aber ich habe schon immer den Anspruch, Missstände aufzuzeigen oder irgendwo genauer hinzuschauen, wo es unbequem ist. Was man aber auch nicht vergessen darf, ist ein hoher ästhetischer Anspruch, deshalb geht man ins Kino. Ich mag es, Gesellschaftskritik im weitesten Sinne in ein Bild zu gießen, sodass das Ganze auch als Film einen Wert hat. Und ich sehe meine Filme immer auch als Zeitdokument einer bestimmten Epoche, das man später wieder aktivieren kann.

Wo verläuft da die Grenze zwischen Zeigen und Urteilen? Wie schafft man es, eine bestimmte Haltung zu vermitteln, ohne dem Publikum dabei den Interpretationsspielraum zu nehmen?
Ein Film kann ja doch auf eine gewisse Weise objektiv sein oder sich zumindest einer Wahrheit annähern, aber trotzdem eine Handschrift, eine Haltung haben. Jeder Dokumentarfilm ist natürlich ein subjektiver Blick auf die Welt. Aber meine Filme sind in der Interpretation eh sehr offen. Das Problem mit den Dokumentarfilmen ist meistens, dass die Autoren zu stark Stellung beziehen und die Meinung des Publikums widerspiegeln wollen: Da wird ein Thema angeprangert oder ein Konzern oder irgendwelche Machenschaften, und das Publikum und der Autor sind sich einig, dass es da das Böse und das Gute gibt, und am Ende geht man gut gelaunt aus dem Kino hinaus. Man will unterhalten werden und sich einig sein. Das finde ich zu billig. Ich will schon mehr Fragen stellen als Antworten geben. Ich möchte auch, dass das Publikum innerhalb eines vorgegeben Rahmens über ein Thema nachdenkt und sich eigene Gedanken macht.

Welche Reaktionen erwarten Sie sich konkret auf den neuen Film im aktuellen populistisch angehauchten Klima? Glauben Sie, es wird Kritik von der populistischen Seite geben oder vertreten diejenigen, die tendenziell solche Filme anschauen, wie hier auf Diagonale sowieso eher eine andere politische Meinung?
Es gibt natürlich diese eher populistische politische Meinung, aber die wird im Film auch bedient. Man kann den Film ja auch anders lesen und bestimmte Positionen, die wir auf der Diagonale hier vielleicht weniger teilen, super finden. Das entspricht dann ja auch der Realität.

„Bauliche Maßnahme“ war ja von der Politik als Umschreibung für Grenzzaun verwendet worden...

Eine ganz andere Frage: Gerade aus Südtiroler Sicht springt ins Auge, dass im Film hauptsächlich die Nordtiroler Seite porträtiert wurde. Hat sich das einfach im Laufe des Drehs so ergeben oder gibt es einen Grund dafür?
Der Schwerpunkt liegt insofern auf der österreichischen Sicht, weil die Österreicher den Zaun bauen wollten. Wenn wir Täter und Opfer unterscheiden, dann sind wir Österreicher die Täter. Dieses Selbstbild ist natürlich spannender. Denn es war offensichtlich, dass in Südtiroler wahrscheinlich kaum einer eine Freude mit diesem Zaun hätte. Die Nordtiroler hingegen müssen sich dann ja auch ganz anders damit beschäftigen.

Warum haben Sie sich mit „Die bauliche Maßnahme“ für einen so sperrigen und bürokratisch klingenden Titel entschieden?
Es ging mir darum, genau auf diese Sperrigkeit, auf das Bürokratische zu verweisen, und auch auf die Verlogenheit. „Bauliche Maßnahme“ war ja von der Politik als Umschreibung für Grenzzaun verwendet worden. Das zeugt von einer gewissen Feigheit und Unentschlossenheit.

Stichwort Politik: Im Film geben Sie hauptsächlich den Bewohnern des Brenners das Wort, Stellungnahmen von Politikern hört man nur aus dem Fernsehen, etwa in der Bahnhofbar oder bei den Menschen im Wohnzimmer. Das kann man so interpretieren, dass die Politik irgendwo weit weg Entscheidungen trifft, aber gar nicht vor Ort ist, wo die Lage nochmal ganz anders aussieht. War das tatsächlich auch die Absicht hinter diesen Sequenzen oder liegt dem ein anderes Motiv zu Grunde?
Es war klar, dass wir mit Archivmaterial arbeiten müssen, um den historischen Kontext zu erklären. Wir haben nach einem Weg gesucht, das Material verwenden zu können, ohne dass es klassisch in den Film hineingeschnitten wird. Gleichzeitig fand ich es spannend, zu zeigen, wie dieses Material genau dort ankommt: in den Lokalen, im Wohnzimmer bei den Menschen, die sich dazu Gedanken machen. Das hebt dieses ganze politische Gerede doch nochmal auf eine andere Ebene und gibt ihm einen ganz anderen Beigeschmack.

Im Film gehen Sie mit der Kamera auch immer wieder in die Totale, zeigen die Brennertalsohle und den durchziehenden Verkehr oder etwa das Grenzgebiet oben im Gebirge. Dadurch werden zwei Dinge relativ, einerseits die Grenze als solche, die weder in der Natur noch unten an der Straße sichtbar ist und somit gar nicht zu existieren scheint, sondern nur willkürlich vom Menschen gezogen wurde, und außerdem die Aussagen der Politiker, die die Lage am Brenner als Krisensituation mit gewaltigen Flüchtlingsströmen darstellen, dabei zeigen diese Bilder eine richtiggehende Idylle und Harmlosigkeit. War das beabsichtigt?
Ja sicher, und gleichzeitig ist meistens auch die Autobahn im Bild. Denn es ist eine wunderschöne Landschaft, die gebrochen ist von diesem Verkehrsstrom, was ja auch viel über die Region erzählt. Der Brenner ist eine Transitregion, was die Menschen dort natürlich prägt. Und es ist immer über den Brenner gehandelt und geschmuggelt worden, das hat sozusagen eine lange Tradition.

Es geht nicht darum, schnell zu irgendwelchen Antworten zu kommen, die sich gut verkaufen lassen...

Im Saalgespräch nach der Premiere kam das Stichwort dokumentarische Glücksmomente auf. Sie vermeiden es zwar, einen voyeuristischen Blickwinkel einzunehmen und die ProtagonistInnen auszusetzen, dennoch gibt es im Film Momente, wo man sich als ZuschauerIn fragt: Wie haben Sie es geschafft, genau so einen Moment vor die Kamera zu bekommen? Inwiefern hängt denn das Gelingen eines guten Dokumentarfilms davon ab, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und die Kamera draufhält?
Das sind natürlich die schönsten Momente, die werden einem geschenkt und die kann man auch nicht erzwingen. Man kann sie nur versuchen herbeizuführen, indem man sich Zeit lässt und mit offenen Augen herumgeht. Das war das Gute an dem Film, dass wir von Anfang an wussten, wir drehen einen Film über einen Zaun, der zumindest noch nicht gebaut wurde und wahrscheinlich auch nie gebaut wird, und damit wurde das sehr enggesteckte Thema plötzlich sehr offen. Wir haben suchenden Auges diese ganze Gegend abgegrast. Das geht bei einem klassischen Fernsehteam nicht, weil die gerade mal ein paar Stunden dort sind. Natürlich kann man auch einen Dokumentarfilm ohne diese Momente des Zufalls machen, das ist dann halt konstruiert. Aber nachdem ich mich ja sehr auf Plansequenzen und Bilder verlasse, die eine gewisse Authentizität vorgeben, ist es dann schon sehr schön, wenn innerhalb dieser Plansequenzen eine Wirklichkeit passiert, die man dann eben filmen kann.

Sie stellen den Leuten teilweise sehr direkte und auch polemische Fragen. Gibt es da viel Annäherungszeit, damit sich die Leute Ihnen so öffnen?
Also etwa auf der Berghütte oben an der Grenze waren wir nur zwei halbe Tage, da gab es nicht so viel Annäherung. Aber ich glaube eher, es ist die Art unseres Auftretens und auch die Stresslosigkeit, dass wir ein Interview einrichten und sich daraus dann ein Gespräch ergibt, denn wir haben es nicht eilig und pressieren nicht. Es geht nicht darum, schnell zu irgendwelchen Antworten zu kommen, die sich gut verkaufen lassen, ganz im Gegenteil, wir suchen ja nichts Spezielles, wir wollen uns umhören und einfach etwas übers Leben erfahren, und da interessieren mich diese persönlichen Fragen und die Antworten darauf oft vielmehr.

Ist diese Art Filme zu machen in Zeiten, wo ständig über Zeitoptimierung gesprochen wird, überhaupt rentabel?
Die Frage ist, wie man mit den Drehtagen umgeht, die ja festgelegt sind: Glaubt man, dass man an einem Tag zwanzig Personen filmen muss, und hat dann von jedem zwei Minuten, oder setzt man sich einfach einen ganzen Tag lang etwa in eine Almhütte und schaut, was passiert. Das ist meine Arbeitsweise. Lieber sich entscheiden und dann in Ruhe Zeit verbringen und wenn es nichts ist, ist es halt nichts. Aber falls doch, dann kann natürlich etwas wachsen.

Wie kommen Sie zu den Ideen für Ihre Filme?
Prinzipiell mache ich nur die Filme, die mich interessieren und beschäftigen, wo ich selber Antworten suche. Meistens geben die Filme ja eh keine Antworten, aber sie manifestieren zumindest die Fragen, die ich habe. Manche Ideen setzen sich dann fest und es wird klar, das ist ein Thema, das bleibt. Und dann muss die Idee natürlich finanziert werden. Ich bin da Gott sei Dank in einer relativ privilegierten Lage, weil ich schon einige Filme gemacht habe, die in gewisser Weise funktionieren, aber Automatismus ist es deshalb auch keiner.

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19 amet So., 25.03.2018 - 22:26

Als ich das Bild mit den österreichischen Grenzsoldaten gesehen habe, dachte ich zuerst neben den beiden steht ein schwarzer kleiner Hund. Die österreichischen Gendarmen sind ja schlau, vielleicht haben sie jetzt österreichische Minihunde, die nicht auffallen, aber die Migranten und anderes Gesindel entdecken und den Wachleuten zutreiben. Dann habe ich eine Lupe geholt, und das Tier stellte sich als schwarze Katze heraus. Aha, habe ich mir gedacht, so läuft der Hase. Die Österreicher wissen, dass die Südländer abergläubisch sind. Wenn ihnen eine schwarze Katze über den Weg läuft, kehren sie unverzüglich um, denn der Weg führt dann ins Unglück. Besseres und preiswerteres Abwehrsystem kann es nicht geben. Da kann der Zaun ruhig im Container bleiben, bis man ihn braucht um sich vor einem neuen Anschluss von Norden zu erwehren.

So., 25.03.2018 - 22:26 Permalink