Kultur | Salto Afternoon

Carillon Punkt 12

In der Meraner Pobitzer-Passage nähert sich eine großformatige Installation von Manuela Kerer und Manfred Alois Mayr dem Glockenspiel. Ohne Glocken, aber im Einklang.
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Foto: Kerer/Mayr

salto.bz: Frau Kerer, was war Ihre Inspiration für diese Arbeit?

Manuela Kerer: Vor allem die Zusammenarbeit mit Manfred Alois Mayr. Als Komponistin arbeite ich oft erst spät mit Musiker*innen zusammen, wenn das Stück praktisch fertig ist. Hier war ich zunächst passiv beteiligt, als Zaungast, denn wir haben sehr bald entschieden, dass ich in den Prozess des Auswählens und des Anordnens der Objekte und Fundstücke nicht aktiv eingreife. Sehr gut erinnere ich mich an den Moment, wo ich das Carillon zum ersten Mal als raumplastisches Materialbild wie von Manfred angeordnet gesehen habe und endlich meine aktive Arbeit begann. Damals war es aufgrund der extremen Größe in drei Teile zerlegt. Die Tastatur war  programmiert und ich habe wie ein kleines Kind, völlig frei, drauflosgeklimpert. Keine Ahnung, was bei welcher Taste klingen würde, jedes Mal war es ein Aha-Effekt.


Schließlich kam dann die Panik, wie ich mich aus dieser Fülle an Klängen entscheiden könnte; was für mich Sinn machen würde; was in der Akustik der Pobitzer-Passage funktionieren würde. Es war viel zu bedenken, denn die Objekte klingen laut, wir wollen aufrütteln, aber auch zum Verweilen einladen. Gesetzliche Grenzwerte für Lärmpegel durften wir natürlich nicht überschreiten. Im Endeffekt sind dann mehrere Stücke entstanden, denn das Instrument ist zu reich und vielfältig, um es in 2 Minuten auszuschöpfen. Die Musikstücke ändern sich von Monat zu Monat. Ich habe auch bekanntes zitiert, in den Weihnachtsmonaten zum Beispiel. Einige Klänge klingen in exakten Tonhöhen, aber eben nicht alle. Das herauszuhören war viel Arbeit, die mir aber total Spaß gemacht hat. Sehr inspirierend fand ich den Kontakt mit Ernst Pobitzer, der den Auftrag gegeben hat. Ich finde es großartig, wenn ein Privatier das Vertrauen gibt und den Mut hat, sich auf ein Kunstwerk einzulassen. Noch dazu ein Kunstwerk, das der Allgemeinheit zugänglich ist. Ich würde mir mehr solchen Mut wünschen.

 

Herr Mayr, die Arbeit scheint eine Mischung aus einem exakten Setzkasten und einer Arbeit von Jean Tinguely. Zufall oder Berechnung?

Manfred Alois Mayr: Ich reagierte auf den Ort und hatte das Bedürfnis, den Ort sprich die „tote“ Passage, zu prägen. Es ging mir primär um eine Balance zwischen Ruhe und Störung zu finden. Also galt als Ausgangspunkt, aus den im Recyclinghof vorgefundenen Metall-Objekten ein Carillon zu kreieren. Das sogenannte technisch-statische Gerüst, wo die verschiedenen Objekte pendeln, wurde somit ganz selbstverständlich in eine strenge Einteilung gegliedert und auf dem vorgefundenen Lichthof, den Raum abgestimmt.

 

Welche Rolle spielt die Zahl 12 im Kerer-Mayr-Carillon? 

Manuela Kerer: Um 12 Uhr klingt das Mittagsläuten, das ich oft am Rande wahrnehme, weil in unseren Breitengraden überall die Glocken läuten und man sie in Dorf oder Stadt zu Mittag fast immer hört. Wenn ich am Domplatz in Brixen stehe, finde ich es immer wieder beeindruckend, dass man sein eigenes Wort fast nicht mehr versteht, der Klang aber dennoch angenehm ist. Mir gefällt das, ich fühle mich da eingebettet und es hat eine emotionale Wertigkeit für mich. Diese Tradition des Mittagsläutens hat eine große Rolle für die Arbeit gespielt, denn es hat uns sehr viel Kopfzerbrechen gekostet. Lange haben wir nämlich mit dem Gedanken gespielt, die 12 dezent zu versetzen, also die Stücke um 3 Minuten vor oder um 5 nach 12 Uhr abspielen zu lassen. Manfred und ich hatten uns schon oft für eine solche Variante entschieden, sind dann aber immer wieder zur Punkt-12-Version zurückgekommen.


Welche Farbtöne bestimmen das Projekt? Und: Gibt der Ton die Farbe vor, oder die Farbe den Ton?

Manfred Alois Mayr: Es sind Farbtöne, die in Zusammenhang mit Metall und Legierung stehen: Rost, das durch Korrosion bzw. durch Oxidation mit Sauerstoff und Feuchtigkeit entsteht, die „Farbe“ eines Nickelüberzugs – wenn man so will als Korrosionsschutz-Schutz – bis hin zur galvanischen 24 Karat Gold-Veredelung. Es ist die Farbpalette von Rostbraun bis zur Farbe eines Edelmetalls. Es wirkt also die Aura des Materials – sie kristallisiert sich aus der Funktion heraus.
Zudem ist es eine Verschmelzung von Farbe und Ton, ein Wechselspiel zwischen Installation und Perkussion.
Für mich ist es immer spannend, wenn Zusammenarbeiten zu unerwarteten Ergebnissen führen.

 

"Carillon" ist ja eigentlich ein Glockenspiel. In Eurer Zusammenarbeit wird auf allerdings Glocken verzichtet. Ist es an der Zeit, dass "der Glockenschlag" neu definiert wird?

Manuela Kerer: Die Frage ist, was als Glockenschlag definiert wird. Die Glocke allein reicht nicht, man muss sie auch anschlagen. Unsere gesamte Mechanik ist eigentlich für traditionelle Glocken gemacht, die Megnethämmer, die Hauptuhr mit Funksychronisation. "Nur" die Glocken wurden ausgetauscht. Wobei ein Glockenspiel ja auch etwas anderes als ein normaler Kirchenglockenschlag ist. Wir wollten nichts neu definieren, sondern wir wollten den Blickwinkel etwas ändern, erweitern, über den Tellerrand schauen. Interessant ist, was Carillon in den Zuhörer*innen und Betrachter*innen mit ihrer sehr eigenen Erfahrungswelt auslöst.