Gesellschaft | Fremdbetreuung verhaltensauffälliger Jugendlicher

Jugendgericht: "Entscheidend ist das Wohl des Kindes"

Ab wann verlieren Eltern problematischer Kinder das Recht zu entscheiden, was das Beste für das Wohl ihres Kindes ist? Antworten von der Präsidentin des Jugendgerichts Bozens Brunhilde Platzer.

Pius Leitner nennt es Kindesentzug, in der Fachsprache wird von Fremdunterbringung gesprochen. Tatsache ist, dass der Fall eines 13-jährigen Buben Fragen aufwirft, der gegen das Einverständnis seiner Eltern in einer fast 400 Kilometer entfernten therapeutischen Wohngemeinschaft untergebracht wurde. Einige davon will der Freiheitliche Fraktionssprecher Pius Leitner in einer Anfrage an Landtagspräsident Thomas Widmann beantwortet haben. Andere klärt die Präsidentin des Jugendgerichts Bozen Brunhilde Platzer.

250 Fälle verhaltensauffälliger Jugendliche landen im Schnitt alljährlich auf ihrem Schreibtisch. „Meistens haben die Betroffenen zu dem Zeitpunkt schon einen längeren Prozess hinter sich“, sagt Platzer. Denn Meldungen über Verhaltensauffälligkeiten von Seiten der Schulen gehen zuerst einmal an die Staatsanwaltschaft, die mit Hilfe der Sozialdienste eine Erstüberprüfung macht. „Viele Fälle enden schon in dem Stadium, weil unterstützende Projekte, die durch die Intervention des Sozialdienstes in die Wege geleitet werden, absolut ausreichen“, sagt die Präsidentin des Jugendgerichtes.

Ist dies nicht der Fall, stellt die Staatanwaltschaft einen Antrag an das Jugendgericht. Auch dann würden den Eltern vorerst einmal begleitende Maßnahmen nahe gelegt: von Hausaufgabenhilfen und Nachmittagsbetreuung über psychologische Begleitung bis hin zu erziehungsunterstützenden Maßnahmen. Wenn auch dadurch keine Besserung eintritt, werde als ulmtima ratio eine Fremdunterbringung beschlossen. Dass diese vielfach auch außerhalb der Provinz erfolgt, habe sich in manchen Fälle als durchaus positiv erwiesen. „Denn vielfach schaffen es die Jugendlichen dann aus Gruppen herauszukommen, die einen schädlichen Einfluss auf sie haben, und ab und zu kann auch die Distanz zum Elternhaus hilfreich sein.“ Allerdings würden in allen Fällen von Fremdunterbringung immer auch die Eltern und Jugendlichen selbst angehört, sagt Platzer. „Und die Fälle, in denen wir gegen das Einverständnis der Eltern handeln,  sind die Ausnahme.“

Dass der Fall der Bozner Familie, deren Sohn in Forlì untergebracht wurde, dazu zählt, bestreitet Platzer nicht. „Die Eltern waren zwar nicht prinzipiell gegen eine Fremdunterbringung, doch ihr Wunsch ging klar in die Richtung, dass diese in der Nähe liegen soll.“ Allerdings sei man zum Schluss gekommen, dass es angesichts der Probleme des Jungen wichtiger sei, eine Einrichtung zu finden, die spezifisch auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Doch gibt es in Südtirol tatsächlich keine Struktur, die den Bedürfnissen eines hyperaktiven Kindes gerecht wird? Prinzipiell schon, meint die Präsidentin des Jugendgerichts. „Doch vielfach ist auch das Alter entscheidend, und es kann sein, dass es zum dem Zeitpunkt keine Gruppe in der geeigneten Altersklasse gab.“  Die Bewertung, was für das Wohl des Kindes am geeigneten ist, werde in jedem Fall vom Sozialdienst und der Fachambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie getroffen. „Und laut meinen Informationen hat sie in diesem Fall, in dem das ersthafte Risiko einer Selbst- und Fremdgefährdung vorlag, bereits positive Resultate gezeigt.“

Doch warum dürfen Eltern, die sich nichts zuschulden kommen haben lassen, außer wie es laut Platzer in den meisten dieser Fälle üblich ist „überfordert zu sein“, ihr Kind nur drei Mal in sieben Monaten unter Aufsicht eines Betreuers sehen?  „Damit möchte man in sehr problematischen Fällen vor allem vermeiden, dass es eine negative oder konträre Beeinflussung der Jugendlichen durch die Eltern gibt“, sagt Brunhilde Platzer. So hart die Maßnahmen auch wirken mögen,  die Resultate der Fremdbetreuung sind laut den Erfahrungen des Jugendgerichtes in vielen Fällen positiv. „Das ist auch das Erbauliche“, sagt Präsidentin Platzer, „sonst könnten wie unsere Arbeit gar nicht machen.“