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Foto: zucco.inc
Gesellschaft | Polli der Woche

Beleidigte Leberwürste

Auch wenn einiges an der Kritik der Medizinstudenten nicht stimmen sollte. Nicht sie haben sich im Ton vergriffen, sondern die dünnhäutigen Politiker in ihren Reaktionen.
Vielleicht tue ich einigen unrecht, die auf diesem Foto der Landesregierung zu sehen sind. Weil sie sich zurückgehalten haben oder ihre Widerrede im vorauseilenden Gehorsam lieber für sich behalten haben.
Anderseits müsste man hier zu Arno Kompatscher und Martha Stocker noch ein halbes Dutzend Personen dazustellen. Etwa den SVP-Fraktionssprecher im Landtag Dieter Steger oder den Kurtatscher SVP-Abgeordneten Oswald Schiefer. Aber auch den von mir überaus geschätzten Chef der Südtiroler Primare Hubert Messner.
Sie alle haben sich diese Woche über den offenen Brief der 158 jungen Medizinstudenten und Medizinerinnen echauffiert. „Der falsche Ton“, sei hier gewählt worden. Die jungen Menschen seien „anmaßend“. Und Landeshauptmann Arno Kompatscher ärgerte sich demonstrativ auf seiner wöchentlichen Pressekonferenz über die Wortwahl im offenen Brief. „Da dürften sehr viele Emotionen mit im Spiel gewesen sein”, verteilte Kompatscher eine väterliche Rüge.
In dem Brief der Medizinstudenten mag einiges inhaltlich auch falsch sein. Darauf soll man sachlich und ruhig eingehen.
Es ist ein Satz, der perfekt zu dem Verhalten passt, das die Südtiroler Politiker die vergangene Woche an den Tag gelegt haben. Der offene Brief einiger junger Menschen scheint die Schafherde wie ein streunender Wolf getroffen zu haben. Tagelang rennt man aufgeregt umher. Gesundheitslandesrätin Martha Stocker versteht die Welt nicht mehr und verweist in RAI Südtirol auf ihren regen Kontakt zu den „Südsternen“. Fast so, als sei das Netzwerk aus ambitionierten Muttersöhnchen und verwöhnten Töchtern aus besserem Hause das reale Abbild der Südtiroler Jungakademiker-Welt und nicht eine Bussi-Bussi-Seilschaft mit dem Gesellschaftszweck, Karriere zu machen.
In dem Brief der Medizinstudenten mag einiges inhaltlich auch falsch sein. Darauf soll man sachlich und ruhig eingehen. Was tut man aber? Man kanzelt die Wortwahl ab, die Anmaßung junger Menschen, sich ein Urteil zu bilden. Vor allem aber reißt man einzelne Aussagen aus dem Kontext, um die Kritiker zu diskreditieren. Allein die Bezeichnung, die sich inzwischen offiziell durchgesetzt hat, ist ein Affront: Der Wutbrief.
Es ist eine bewusste Anlehnung an die Wutbürger. Sozusagen dem Mob auf der Straße.
Wenn das ein Wutbrief ist, dann sind 90 Prozent der Wortmeldungen im Südtiroler Landtag Hasspredigten.
Ich bezweifle, dass all jene, die sich jetzt das Maul zerreißen, das Schreiben der 158 Medizinstudenten überhaupt gelesen haben. Denn, wenn das ein Wutbrief ist, dann sind 90 Prozent der Wortmeldungen im Südtiroler Landtag Hasspredigten.
Elisa Reiterer und ihre KommilitonInnen argumentieren in dem zweieinhalb Seiten langen Schreiben durchaus engagiert und hart. Sie verlassen aber in keiner Zeile den guten Umgangston. Das kann nur jemand behaupten, der Kritik mit dem zeitweiligen Stottern der Jungen Generation in der SVP verwechselt.
Einer der Hauptvorwürfe gegen die Kritiker: Sie würden den Südtiroler Primaren unterstellen, nicht auf der Höhe zu sein. O-Ton Arno Kompatscher: „Im Übrigen finde ich es etwas anmaßend, dass sich Studierende ein Urteil über das Ausbildungsniveau unserer Primare erlauben. Hier wurde wohl über das Ziel hinausgeschossen.
Im offenen Brief kommt das Wort Primare nicht einmal vor. Sondern es heißt:
„Die Südtiroler Krankenhäuser erreichen nicht das nötige Niveau, um eine teilweise Ausbildung zu jedwedem Facharzt zu ermöglichen.“
Besteht ein Krankenhaus nur aus Primaren oder Ärzten? Und darf man die Südtiroler Sanität nicht kritisieren?
 
Ein Rute, mit der man in den vergangenen Tagen auf die jungen Leute eindrosch, war genau das: Die Streichung der Facharztausbildung sind nicht Folge des zu niedrigen Niveaus der Südtiroler Krankenhäuser, sondern ein Auswuchs der ach so bösen römischen Bürokratie.
Wenn auch diese Erklärung stimmen mag, ändert das wohl kaum etwas an der Tatsache, dass junge Mediziner seit 2013 keine Facharztausbildung in Südtirol mehr machen können. Fast vier Jahre lang hat sich nichts getan. Deshalb sollten sich die Landespolitik und die Sanitätsführung hier wohl besser auf die eigene Brust klopfen, als die Fehler im Brief der jungen Kritiker zu suchen. (Jetzt scheint plötzlich diplomatische Bewegung in die Sache gekommen zu sein).
Dieses Vorgehen macht all die schönen Sonntagsreden zunichte, mit denen man immer wieder mehr politisches Engagement der jungen Menschen einfordert.
Was die Verantwortlichen in Wirklichkeit aber am meisten ärgert, ist die Tatsache, dass
Elisa Reiterer & Co den Brief an die Medien geschickt haben. Die jungen Mediziner taten damit genau das, was die Politiker eigentlich für ihr Privileg halten. Sie spielten mit viel Geschick auf der Medienklaviatur. Davor hat die Landespolitik am meisten Angst.
Die überzogene Reaktion auf die Kritik von immerhin 158 angehenden ÄrztInnen macht aber auch deutlich, wie dünnhäutig die Südtiroler Regierungspartei inzwischen geworden ist. Was aber wirklich schlimm ist: Dieses Vorgehen macht all die schönen Sonntagsreden zunichte, mit denen man immer wieder mehr politisches Engagement der jungen Menschen einfordert.
Kaum macht jemand dann den Mund auf, bekommt er schon eine aufs Maul.
Konstruktive Kritik sei natürlich immer willkommen. Aber die Wortwahl muss stimmen.
Dass Jungsein gerade darin besteht, dem Sturm und Drang nachzugeben und auch über das Ziel hinauszuschießen, daran erinnern wir alte Esel uns anscheinend nicht mehr.