Kultur | Salto Afternoon

Im Rhythmus von Kafka

Eine bemerkenswerte Vielseitigkeit, feinste Präzision und düstere Musik – das sind die Zutaten für die gelungene Kafka-Premiere im Meraner TIDA.
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Foto: TidA

Ich wäre gerne vorurteilsfrei, unvoreingenommen und freudig gespannt auf das, was kommt. Die Wahrheit aber ist: Ich bin nichts davon. Tatsächlich bin ich grundsätzlich skeptisch, rechne mit dem Schlimmsten und meine Vorurteile ragen wie ein Kirchturm gut sichtbar aus der Dorfidylle heraus. Und mit diesem Kirchturm an Vorurteilen habe ich mich am Dienstag in Torsten Schillings Inszenierung von Kafkas „Prozess“ im Meraner Theater in der Altstadt gesetzt: Ein Klassiker … und das bei so einem jungen Ensemble – ob das gut gehen kann? Und dann auch noch Kafka, zwei Stunden Trübsal … Und Instrumente auf der Bühne, das geht doch nur zu gerne in die Hose … Und außerdem – Was? Warum ich überhaupt irgendwo hingehe? Damit im Idealfall meine Skepsis Begeisterung weichen, das Schlimmste vom Besten übertroffen und der Kirchturm an Vorurteilen radikal gefällt werden kann. Jetzt habe ich es ja oben schon verraten: Der Idealfall ist eingetroffen.

In „Der Prozess“ wird eines Morgens der junge Josef K. (im TIDA klasse besetzt mit Frederick Redavid) verhaftet, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. Der nun beginnende Prozess zieht sich durch sein ganzes Leben und jeder Mensch in seiner Umgebung hat plötzlich eine Verbindung zum Gericht, das wie ein albtraumhaftes Labyrinth einer surrealen Bürokratie scheint, ohne jemals richtig greifbar für ihn zu werden.

Regisseur Schilling packt den Stoff in eine straffe, durchgetaktete Inszenierung (im wahrsten Sinne des Wortes, gibt doch schon in der Eingangsszene die Bassgitarre den Rhythmus für den textlichen Schlagabtausch vor), das vierköpfige Ensemble zieht diese nach einem kurzen Moment des zögerlichen Zusammenfindens mit höchster Energie und Präzision durch. Nur dank dieser bemerkenswerten Präzision ist es möglich, in Sekundenintervallen aus der einen Rolle herauszuschlüpfen, zur Erzählstimme zu werden, dann in die nächste Rolle hineinzuschlüpfen und dazwischen oder gleichzeitig auch noch Kostümwechsel, Kulissenumbau und musikalische Untermalung zu meistern. Wieder einmal gelingt es dabei, die mehr als bescheidene Bühnengröße des Altstadttheaters maximal auszunutzen. Die faden Holzklötze und die vielen Aktenbündel verwandeln sich in Schlafzimmer, Gerichtssäle oder Künstlerateliers und verstärken das klaustrophobische Gefühl der Unausweichlichkeit im Stück. Dass die Aktenbündel gegen Ende immer unordentlicher umhergestapelt werden, kann man – ebenso wie das Entgleiten der anfangs noch ordentlich gescheitelten und geleckten Frisuren – als äußerliche Veranschaulichung der Entgleisung von Josef K.s Leben sehen. Apropos äußerliche Veranschaulichung: Welche köstliche Ironie liegt in dem Moment, als Josef K. von der Last erzählt, die durch diesen undurchschaubaren Prozess auf ihm liegt, und dabei Marlies Untersteiner als Bedienstete seines Anwalts in einer klettenhaften Umarmung an ihm hängt. Mittersteiner beweist sich unter anderem als logopädisch nicht ganz einwandfreie und verführerische Frau des Gerichtsdieners und als Meisterin der Geräuschuntermalung, während Max G. Fischnaller sowohl den heruntergekommenen Künstler als auch den herrischen Onkel mitsamt resoluter Regenschirmchoreografie überzeugend gibt, und der sanfte Daniel Clemente zeigt seine Vielseitigkeit unter anderem als röchelnder, im Schildkrötentempo arbeitender Anwalt, als neugierig-zudringliche Vermieterin und am Keyboard.

Es klingt vielleicht schon durch: Diese absurd-grotesk dargestellten Figuren sorgen für so einige Momente der Heiterkeit, manchmal ist es fast schon erstaunlich, dass man Kafka so viel Komisches abgewinnen kann. Aber immer dann, wenn man das Kafkaeske dem schnellen Lacher geopfert wähnt, holen einen die Schauspieler*innen mit ihren düsteren Liedadaptionen der Einstürzenden Neubauten in die Beklemmung zurück. Toll gelöst das Ende des Stücks.

Fazit: Packen Sie Ihre Vorurteile ein und gehen Sie ins Theater.