Kultur | Salto Weekend

Bozner Architekt

Eine Fotoausstellung und Monografie zum 2022 verstorbenen Architekten Enrico Giovanardi lockte am Wochenende zahlreiche Besucher in die Stiftung Antonio Dalle Nogare.
Enrico Giovanardi Opening Dalle Nogare
Foto: Privat
Über den großen Besucherandrang am Freitagabend zeigte sich der Hausherr selbst positiv überrascht: Im Raum gegenüber der Bibliothek im zweiten Stock stand das Publikum dicht an dicht bis auf den Gang. Familienmitglieder Giovanardis waren für den Abend aus den USA angereist, in einer rund 30 minütigen Gesprächsrunde wurde besonders das Werk des Architekten gewürdigt. Titel der Ausstellung ein schlichtes „Enrico Giovanardi Architetto“, Titel des Buches ein vielleicht augenzwinkerndes, vielleicht bedrohliches „Enrico Giovanardi - Impossibile Sfuggirgli“ aus einem Text des Architekten Carlo Calderans entlehnt.
Landeskonservatorin Karin Dalla Torre, Neffe und Architekt Augusto Visentini (Kurator der Publikation), Calderan, Direktionsassistentin von Kunst Meran Anna Zinelli, sowie Architekturfotograf Davide Perbellini trafen im vom Journalisten Paolo Campostrini moderierten „Talk“ aufeinander. Tief schürfen konnten sie am Abend nicht, es wäre dann wohl auch die Luft im Saal noch knapper geworden. Die Unterhaltung war sanft, es kamen wenig kritische Punkte zur Sprache, nachdem sich in der Einleitung Campostrini noch ein solcher Satz fand: „Mir scheint, dass wir voller urbanistischer Debatten und leer an architektonischen Debatten sind.“ Gemeint war der Stand der Dinge in Südtirol, es wurde zurückgerudert und das Problem auf die Landeshauptstadt eingeengt. Dem festlichen Anlass entsprechend, blieb man unkritisch, den Gästen wurde die Möglichkeit gegeben mehr oder minder ihren Text aus dem Vorwort-Teil des Buches zu paraphrasieren. Zu den Worten der Gäste gesellen sich im Buch noch vier von Visintini eingefangene „Testimonianze / Zeugnisse“ - Kurzinterviews mit fünf konstanten Fragen an Christof Oberrauch, Alberto Pasquali, Luciano Vincenzi und Ferrucio Tomasi, Freunden und Kollegen Giovanardis. Am Abend selbst war es vor allem Visentini, der über die Arbeit hinaus den Menschen nahbarer werden ließ.
 
 
Aufschlussreich die Bezüge zu den prägenden Einflüssen Giovanardis (vor allem Frank Lloyd Wright) und Perbellinis, welcher den Werken des Architekten in Fotografien eine, wie Zinelli es formulierte, „geschichtliche Erinnerung“ schuf. Perbellinis analog entwickelte Fotografien, in einer Auswahl von 60 Bildern aus dem Raum Bozen (das Buch blickt etwas weiter) ausgestellt, zeigen Einflüsse Marco Intorinis, des Assistenten von Gabriele Basilico, wenngleich Perbellinis Bilder weniger akribisch und, sofern ein solcher Ausdruck in Architekturfotografie sinnig ist, belebter erscheinen, etwas wie jene Luigi Ghirris, denen sich der Fotograf anzunähern bekundete.
 
 
 
Kennzeichnend für Bilder und Bauten ist dabei neben dem Abrücken von Symmetrien (die somit in zweifacher Weise gebrochen werden) das prominente Element des, in Corona-Zeiten kurzzeitig so wichtig gewordenen Balkons. Mit den Mitteln der Provinz - weswegen ein Vergleich zu Wright nur auf einer Ebene der angepeilten und geteilten Ideale erfolgen kann - sind die von Giovanardi entworfenen Gebäude zu einem nicht unwesentlichen Teil Zweckbauten und Kondominien. Sehr gut erkennt man dabei, dass hier praktische und wohnliche Überlegungen den Vorzug gegenüber architektonischer Formsprache erhalten, welche in Ein-Parteien-Häusern vorrangig ist. Die Ästhetik tritt in den Hintergrund, doch nicht ganz aus dem Bild, wie es die Gebäude selbst tun, wenn man sie nicht bewusst wahrnimmt, im Alltag auf den Straßen Bozens. Am bekanntesten sind sicher die (eher untypische) SVP-Parteizentrale und das Gebäude der Banca d’Italia, aber der „Claim“ des Buches bewahrheitet sich: Bei der Bildauswahl fällt es schwer, nicht zu entdecken, dass man im Raum Bozen näher an Giovanardis Vermächtnis lebt, als man denkt. Den Menschen Enrico Giovanardi selbst suchen im Ausstellungsraum zum einen sein Zeichentisch mit - wie könnte es anders sein - einer Detailstudie zu einem Süd-Balkon, wie auch ein Schaukasten mit Skizzen, historischen Fotographien und persönlichen Gegenständen greifbarer zu machen.
 
 
Nicht alles, was in der Schau auf Fotos festgehalten wurde, hat einen besonderen ästhetischen Wert, aber alle Gebäude in Summe prägen das Bozner Stadtbild und das auf wohl vergleichbarer Fläche, wie es etwa die Lauben tun. Den Bewohnern der Stadt empfiehlt sich damit die Ausstellung zur Schärfung des Blickes für die eigene Stadt. Die Zeit wird zeigen, wie viel vom Einfluss Giovanardis in den Straßen der Landeshauptstadt bleibend ist.