„Sonst haben wir keine Chance“
salto.bz: Herr Messner, der Primar der Inneren Medizin Christian Wiedermann bezeichnet die Sanität als krankes System, für das sein Fall exemplarisch ist. Stimmen Sie Ihrem nun scheidenden Kollegen zu?
Hubert Messner: Mir tut es wirklich sehr leid für Christian Wiedermann, wie diese Geschichte gelaufen ist. Es ist offensichtlich, dass dieses Forschungszentrum, das für uns alle ein sehr wichtiges Projekt darstellt, ein wenig auf der Strecke geblieben ist. Ich habe mich erst vergangene Woche noch einmal mit der Politik kurz geschlossen und vor zwei Wochen eine Anfrage an Dr. Schael geschickt, um zu unterstreichen, dass dieses Projekt ganz oben auf die Prioritätenliste gehört.
Hat man in der Generaldirektion die Bedeutung eines Zentrums für klinische und Versorgungsforschung also bislang nicht verstanden?
Der Prozess dorthin ist sicher etwas langsam und schleppend gewesen. Derzeit findet zwar definitiv die Auswahl der Kandidaten statt, aber das alles dauerte jemandem mit Perspektiven wie Christian Wiedermann zu lange. Ich denke, wir brauchen bei solchen Projekten eine andere Kultur. Klar ist es in Italien so, dass solche Auswahlverfahren wirklich sehr schwerfällig sind, weil man sich in alle Richtungen absichert. Doch es braucht einfach Prioritäten und ich habe noch nicht wirklich verstanden, wo bei uns im Betrieb die Prioritäten liegen.
Verlassen auch deshalb immer mehr Primare das sinkende Schiff Sanitätsbetrieb?
So viele verlassen den Betrieb nicht. Wir haben ein, zwei Primare, die in die Privatmedizin gegangen sind, aber mehr waren es nicht. Vielleicht kommt noch jemand dazu in diesem Jahr, wenn in Bozen eine neue Klinik eröffnet wird. Aber darüber hinaus stehen wir vor allem mitten in einem Generationswechsel. Das Gleiche haben wir bereits in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre erlebt, als viele alte Primare in Pension gingen.
Wie viele sind es diesmal?
Wir haben ungefähr 110 Primar-Stellen, von denen derzeit zwischen 90 und 100 besetzt sind. Und ich schätze, allein im Laufe dieses Jahres werden 15 Primare in Pension gehen.
Und die gehen nicht aus Frust?
Der Großteil nicht. Es gibt sicher Einzelne, die noch etwas länger arbeiten hätten können, aber nun dennoch in Pension gehen, weil sie sich in diesem Betrieb nicht wertgeschätzt fühlen.
Sie fühlen sich dagegen wertgeschätzt und haben nie daran gedacht, die erste Chance zu nutzen, um zu gehen?
Ich könnte schon gehen, wenn ich gehen möchte. Aber ich muss sagen, dass ich im Betrieb die Möglichkeit sehe, gut zu arbeiten. Das sage ich auch immer wieder den Primaren bei den Sitzungen. Ich habe hier den Spielraum, mich zu entfalten, und ich bin überzeugt, dass auch alle anderen Primare diesen Spielraum haben. Auch wenn es in den vergangenen Jahre wegen des Personalstopps schwierig war. Viele von uns haben zu wenige Ressourcen, um die Arbeit, die verlangt wird und die wir auch machen wollen, umzusetzen. Wir bieten eine gute Grundversorgung, aber wir brauchen mehr Ressourcen, um attraktiver zu werden und das System zu verändern.
"Wir haben Jahrzehnte lang ein viel zu starkes Kirchturmdenken gepflegt. Nicht nur zwischen den Bezirken. Jeder hat für die eigene Abteilung seinen Weg gesucht, jeder hat seinen eigenen Garten gepflegt. Und wenn vom Betrieb dafür nicht genügend Unterstützung kam, versuchte man es eben über die Politik."
Was am System muss am dringendsten verändert werden?
Primär schon einmal die Einsicht, dass dieses Gesundheitssystem wirklich eine Veränderung braucht, um künftig das heutige Niveau der Versorgung aufrecht zu erhalten. Wir müssen mehr im Netzwerk zusammenarbeiten, sei es intern, sei es auf nationaler und internationaler Ebene. Und wir müssen sicherlich stärkere Synergien schaffen, zwischen den einzelnen Bezirken, zwischen den einzelnen Abteilungen.
Wie viel davon muss nun ohnehin dank der Sanitätsreform passieren?
Vieles ist schon in der Reform drinnen, auch wenn wir noch auf den definitiven Beschluss warten, weil das Gesetz zur Neuausrichtung ja noch im Landtag herumhängt ...
... und von Abgeordneten wie Andreas Pöder als Spielball benutzt wird ...
Was da gemacht worden ist, ist nicht akzeptabel, muss ich ehrlich sagen. Diese Reform ist ja durch 100 Kommissionen gegangen, da gab es eine Mitbeteiligung an dem Prozess, der für mich schon fast an Selbstzerfleischung grenzt.
Was braucht es über die Reform hinaus?
Es braucht vor allem eine viel bessere Information von Seiten des Betriebes an uns Ärzte. Mehr Information, mehr Kommunikation, mehr Einholen von Verständnis für den Veränderungsprozess. Das ist wichtig, denn die Ärzte reagieren oft sehr emotional.
Nur die Ärzte?
Nein, das ganze Land reagiert sehr emotional. Hier braucht es noch viel mehr Bewusstsein, dass diese Veränderung im Gesundheitssystem einfach notwendig ist.
"Diese Reform ist ja durch 100 Kommissionen gegangen, da gab es eine Mitbeteiligung an dem Prozess, der für mich schon fast an Selbstzerfleischung grenzt."
Es gibt immer wieder die Kritik, dass die Ärzteschaft in diesen Veränderungsprozess zu wenig einbezogen wird – sei es von der Verwaltung, sei es von der Politik.
Hier haben vor allem wir Ärzte selbst große Fehler gemacht. Wir haben Jahrzehnte lang ein viel zu starkes Kirchturmdenken gepflegt. Nicht nur zwischen den Bezirken. Jeder hat für die eigene Abteilung seinen Weg gesucht, jeder hat seinen eigenen Garten gepflegt. Und wenn vom Betrieb dafür nicht genügend Unterstützung kam, versuchte man es eben über die Politik. Und so haben wir dann über die Jahrzehnte klarerweise jeglichen Einfluss verloren und wurden zum Spielball zwischen Betrieb und Politik.
Wie kommt man aus dieser Sackgasse wieder heraus?
Die letzten zwei Jahre habe ich das zu meiner Hauptaufgabe gemacht: die Rolle des Arztes nicht nur als Arzt zu stärken, sondern auch in ihrer sanitätspolitischen Funktion, also sie in der Betriebsführung neu zu definieren. Und ich habe den Eindruck, dass zumindest in der Neuausrichtung des Gesundheitswesens viele Positionen vorgesehen sind, die nun von Ärzten besetzt werden können. Wir müssen jetzt nur die Leute dafür finden.
An welche Positionen denken Sie dabei besonders?
Speziell an die Bezirksdirektionen. Ärzte sollten nicht nur in der Generaldirektion, sondern auch auf Bezirksebene stärker in die Programmierung und Planung einbezogen werden. Und zwar in dem Sinne, dass sie an erster Stelle mitarbeiten dürfen. Wir Ärztinnen und Ärzte sind schließlich im Front Office und wissen, wo es langgeht. Doch derzeit haben wir einfach eine viel zu große Kluft zwischen Verwaltung und Ärzteschaft. Die, nochmals, großteils auf unsere eigene Schuld zurückgeht.
Doch ist eine solche stärkere Mitbestimmung der Ärzteschaft überhaupt unter einem Generaldirektor möglich, der sich, wie Thomas Schael nachgesagt wird, vor den meisten seiner Mitarbeiter abschirmt und auch Primaren Termine verweigert?
Ich kann nur sagen, wir arbeiten dran. Wir haben zum Beispiel eine Resonanzgruppe entwickelt, in der Ärzte und Verwalter sitzen. Das ist eine Art kritische Drehscheibe, die von einem Coach begleitet wird. Man trifft sich einmal im Monat, um der Betriebsleitung Informationen zu geben und die Infos der Betriebsleitung nach unten weiterzuleiten. Das finde ich zum Beispiel einen wichtigen Ansatzpunkt, um das Verhältnis von Betriebsdirektion, Dr. Schael und Mitarbeitern auf eine neue Ebene zu bringen.
"Ich habe hier den Spielraum, mich zu entfalten, und ich bin überzeugt, dass auch alle anderen Primare diesen Spielraum haben. Auch wenn es in den vergangenen Jahre wegen des Personalstopps schwierig war."
Sie sind optimistisch, dass das gelingt?
Ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch, sonst könnte ich den Job lassen. Ich hoffe vor allem, dass der Übergang für die scheidenden Primare schon jetzt geplant und strukturiert wird. Damit die Neuen schon vor der Tür stehen, wenn die Leute uns verlassen, und ein Wissenstransfer möglich ist. Doch generell sehe ich den Spielraum und es liegt jetzt an uns, ihn zu füllen. Zur Zeit habe ich eher das Problem, dass ich die Bereitschaft, die ich mir unter den Ärzten vorstelle, noch nicht so sehr sehe.
Man goscht also lieber als mitzugestalten?
Das haben jetzt Sie gesagt, nicht ich. Ich glaube, wir brauchen dafür noch mehr Unterstützung und vor allem eine andere Betriebskultur. Denn Ärzte arbeiten viel, sie sind für ihre Patienten da, und dafür wollen sie zumindest ein Mindestmaß an Wertschätzung. Wenn diese Wertschätzung von Seiten des Betriebes gegeben ist, bringen sich die Leute viel lieber ein und können sich auch besser einbringen.
Doch bislang fehlt es noch an der Wertschätzung?
Wir haben sicher schon Schritte gemacht. Im Hintergrund passiert relativ viel. Ich verbreite das jetzt nur nicht mehr so stark über Mails, weil die dann immer in der Presse landen. Das Wichtigste ist, dass wir endich wieder aus dieser Unzufriedenheit herauskommen, diesem disagio, wie die Italiener sagen.
Der disagio der Sanität ...
Ja, und diese Unzufriedenheit erhält sich meiner Meinung nach selbst, oft verstehe ich nicht einmal wieso. Und da müssen wir uns selbst herausziehen als Ärzte und wieder ein ganz klares Rollenverständnis entwickeln, was wir in diesem Betrieb haben wollen. Sonst haben wir keine Chance.