Kultur | Salto Afternoon
Der letzte Winter
Foto: Privat
Zu Beginn des Konzerts war Naked Lunch Sänger Oliver Welter etwas neben der Spur. Kein klassisch gebildeter Sänger, gehörte das Abkippen seiner Singstimme - auch im Kontrast mit Frühstücks nach konventionellen Maßstäben „schöner“ Stimme, zum Konzept. Gerade Eingangs zeigte sich am Sonntagabend aber, dass Welter nicht in Bestform war, wofür er sich am Ende des Abends entschuldigte, da er am Vortag noch mit 39 Grad Fieber zu kämpfen gehabt hätte.
Dass sich Welter nach den ersten drei Liedern fing und Ton- und Textsicherheit zunahmen - wenngleich sich letztere durch die Übertitel immer wieder als Abweichungen von Wilhelm Müllers Texten zeigte - war das Glück des Abends. Welter bewegte sich dabei tänzelnd durch den Bühnenraum, tanzte für ein Publikum welches dies nicht konnte, markierte mit großem Pathos Frühstücks Anschläge und Takt.
Anstelle des nicht ganz an den selbstgestellten Anspruch heranreichenden Gesangs trat eine fast manische Versunkenheit. Es trug ihn am Klavier und als zweite Singstimme eine Clara Frühstück in Höchstform in diese hinein. Die zwanzig - nicht vierundzwanzig - Lieder reihte man dicht an dicht, mit wenigen Ausnahmen wurden Stille und Leerlauf unterbunden. Live ließ das nicht zu, dass die einzelnen „Songs“ mit ihrer Mischung aus E-Gitarre und Effekt-Pedalen, Flügel (live-präpariert oder naturbelassen), sowie Noise erzeugendem elektronischem Piano sacken konnten und führte zu Reibung zwischen sanfteren und aufbrausenderen Klängen, zwischen gefrorenen und heißen Tränen. Das Saallicht blieb dabei unveränderlich kalt und blau, ob es nun passte oder der Musik entgegen lief.
Die klanglichen Experimental-Interventionen Frühstücks markierten Höhepunkte des Konzertabends, welcher sich zwischen Pop im weitesten Sinne und strömendem Rauschen bewegte, in „Rückblick“ schon mal mit je einer Hand pro klassischer und moderner Klaviatur. Da war „Ein Licht tanzt“, zu welchem das präparierte Klavier blechern, rhythmisch den Takt angab und das sich scheinbar ins Unendliche fortsetzen ließe - der Ohrwurm den man mit nach Hause nahm - oder das hochdramatische „Rückblick“ und „Letzte Hoffnung - Im Dorfe“, welche den atypischen Refrain des Abends stellten, mit großem digitalem Lärmen und der Rückkehr der Zeile: „Es ist nichts als der Winter, der Winter kalt und wild.“, aus dem Müllerschen Gedicht „Der Stürmische Morgen“. Sie markierten jeweils einen Punkt größter Trostlosigkeit, an welchem der Tod nichts, wie sonst häufig am Abend, Tröstliches mehr für das auf der Bühne manifeste lyrische Ich hatte.
Dabei war klar, dass der Zugang zu Schubert über den Text erfolgt war und sich in der musikalischen Ausgestaltung alle Freiheit genommen wurden. Auch die chimären-haften Zusammenstellungen verschiedener Lieder, welche einige der weniger relevanten Lieder aus dem Abend kürzten, beziehungsweise zu einem verschmolzen, was das Ganze straffte.
Weniger stark - weil wohl schon am häufigsten rezipiert - war als Stück „Der Lindenbaum“, den man sanft und lieblich präsentierte, fast hörte man noch etwas vom Original in Welters kratzender und eigensinniger Stimme. Es machte auch wenig mit dem Lied, dass hier Welter, wie an anderen Stellen, eine Wiederholung einfügte, was andernorts für Spannung oder größeren Pop-Charakter sorgte.
Mit einem starken Finale - drei der vier letzten Lieder, „Der Wegweiser“, „Nebelsonnen“ und „Der Leiermann“, waren herausragend - baute man den Klang immer weiter in Richtung eines unhaltbaren Crescendo auf, welches in die Verzweiflung abstürzen musste und ganz am Ende in die Leere. Zuvor war die Begegnung mit dem Leiermann, dem personifizierten Tod, denn es fällt schwer etwas anderes in der Figur zu lesen, mit glockenschlagartigen Gitarren-Akkorden eingeleutet worden. Das Klangbild, von einer modernen E-Gitarre hervorgebracht und sich auf die Zeiten überdauernde Kirchenglocken verweisend, könnte sinnbildlich für den Abend stehen: Aus einem kohärenten und hintergründigem Liederzyklus hat man ein Konzeptalbum gemacht, welches sich zwischen gestern und heute wohl fühlt, trotz gewisser Schwierigkeiten bei der Aufführung. Es gab dafür andauernden Applaus.
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