Chronik | Referendum

Unerwünschte Einladung

Hat Matteo Renzi gegen das Gesetz verstoßen, als er dazu aufrief, nicht am Referendum vom 17. April teilzunehmen? Und was hat das mit dem Bozner Flughafenprojekt zu tun?

Hat sich Ministerpräsident Matteo Renzi strafbar gemacht, als er die Italiener im Vorfeld des Referendums über die Einstellung der Öl- und Gasbohrungen vor den italienischen Küsten zur Nicht-Teilnahme aufgerufen hat? Es sind nicht wenige, die dieser Meinung sind. Manch einer hat bereits Anzeige gegen den Premier erstattet. Und im Internet werden Unterschriften gesammelt, um zu erwirken, dass sich die italienische Gerichtsbarkeit des Falles annimmt. Auch in Südtirol regt sich Widerstand gegen “derartige politische Verhaltensweisen”, auch bei uns.


Kein Problem mit Nichtwählern

Es ist kurz nach Mitternacht, als sich Matteo Renzi in der Nacht von Sonntag auf Montag mit einer Videobotschaft an die Italiener wendet. Er spricht von “ausgezeichneten Ergebnissen, die alle Erwartungen übertreffen”. Kurz vorher haben die Wahllokale geschlossen, in denen über 46 Millionen Italiener ihre Stimme zum so genannten “No-Triv”-Referendum abgeben konnten. Wie dieses ausgegangen ist, ist hinlänglich bekannt: Zu wenige Menschen machten von ihrem Stimmrecht Gebrauch, das Beteiligungsquorum von 50 Prozent wurde nicht erreicht, das Abstimmungsergebnis von 86,44 Prozent für das Ja ist nicht gültig. Zur Genüge bekannt ist auch, wie Matteo Renzi zu diesem Referendum steht. In den vergangenen Wochen und Tagen hat der Ministerpräsident mehrmals öffentlich Stellung bezogen und dabei die Stimmberechtigten mehr oder weniger direkt aufgefordert, nicht am Referendum teilzunehmen. Eine Stimmenthaltung sei “verfassungsrechtlich legitim”, hatte Renzi in seinem Newsletter noch am 14. April geschrieben. Und weiter: “Sia chiaro: ogni scelta è legittima. Chi vuole che il referendum passi deve votare sì, chi vuole che il referendum non passi può scegliere tra votare no o non andare a votare.

Im selben Schreiben zitiert Renzi den ehemaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano, nennt dessen Äußerung in einem Interview mit La Repubblica – “non andare a votare è un modo di esprimersi sull'inconsistenza dell'iniziativa referendaria” – “vorbildhaft”. Für seine Aussagen wurde Renzi innerhalb seiner Partei, des PD und insbesondere dessen Minderheit, kritisiert. “Es wäre weiser gewesen, wenn die führende Regierungspartei Italiens keinen Appell zur Enthaltung ausgesprochen hätte”, meinte Gianni Cuperlo, “è inaccettabile che Renzi faccia il capo del partito dell’astensione”, sagt Leader Roberto Speranza, der gleichzeitig von einem “schwerwiegenden Fehler spricht”.


Von Steuerung absehen

“In seiner Funktion als Regierungschef und somit als demokratische Institution wäre es sein Auftrag, den Mehrheitswillen umzusetzen, ohne ihn im Vorfeld zu beeinflussen”, heißt es auch in Südtirol. Die Bezirksgruppe Vinschgau der Initiative für mehr Demokratie wirft Renzi vor, ein “gefährliches Spiel” zu betreiben und demokratische Grundregeln zu missachten. “Ähnliches gilt übrigens auch im Falle des Bozner Flugplatzprojektes”, meint man im Vinschgau. Die Bezirksgruppe zieht folgenden Vergleich zwischen Matteo Renzi und Arno Kompatscher: “Ein Landeshauptmann als Amtsträger und somit im Dienste der gesamten Bevölkerung stehend, solle sich neutral verhalten, den Mehrheitswillen zur Kenntnis nehmen und umsetzen, ohne sich im Vorfeld in den Dienst einer Interessengruppe zu stellen und das Abstimmungsverhalten zu steuern.”


Ein Urteil des Kassationsgerichts von 1985 bestätigt: Zur Nicht-Teilnahme an Referenden aufzurufen, ist strafbar. Daran erinnert auch der Verfassungsrechtler Michele Ainis im Corriere della Sera.

Der Empörung und verbalen Kritik hat indes der Parteisekretär von Rifondazione Comunista, Paolo Ferrero, konkrete Taten folgen lassen. Bereits am 15. April, zwei Tage vor dem Referendum,  hatte er  bei der römischen Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Matteo Renzi erstattet. Der Vorwurf, den Ferrero Renzi macht lautet auf induzione all’astensione. Es ist der Art. 98 des italienischen Wahlgesetzes von 1957, der besagt “...chiunque investito di un pubblico potere o funzione civile o militare, abusando delle proprie funzioni all'interno di esse, si adopera (...) ad indurli all'astensione, è punito con la reclusione da sei mesi a tre anni (...)”. Sechs Monate bis drei Jahre Haft kann also drohen, wenn ein öffentlicher Entscheidungsträger als solcher die Bevölkerung zur Nichtteilnahme an Wahlen anhält. Dieser Artikel wurde in das Staatsgesetz Nr. 352 von 1970, das die Referenden regelt, übernommen und gilt somit auch für diese.

(...) quest'ennesima offesa alla democrazia, questa ulteriore dimostrazione di arroganza di un premier che non rispetta le leggi della Repubblica (...).
(Paolo Ferrero)


Bürger werden aktiv

Ferrero ist nicht der einzige, der rechtliche Schritte gegen Premier Renzi eingeleitet hat. Francesco Santantonio, ein 60-Jähriger aus Raccale, in der Provinz Lecce, hat ebenfalls Anzeige gegen den Ministerpräsidenten und gegen Giorgio Napolitano erstattet. “Il referendum popolare (…) rappresenta un diritto-dovere dell’elettore e per nessuna ragione poteva indurre i querelanti ad assumere questo atteggiamento”, schreibt Santantonio.

Inzwischen wurde auch eine Online-Petition gestartet, die die zuständigen Organe der italienischen Justiz auffordern, aufgrund der “wiederholten Einladungen zur Enthaltung vonseiten der höchsten staatlichen Institutionen” den Ausgang des Referendums für unzulässig zu erklären. “Tramite questa petizione chiediamo, dunque, che i responsabili del mancato raggiungimento del quorum si assumano le loro responsabilità”, liest man in der Petition. Jene, die laut Initiatoren also für das am 17. April nicht erreichte Beteiligungsquorum und damit auch dafür verantwortlich sind, dass knapp 15 Millionen abgegebene Stimmen nicht zählen, sollen zur Verantwortung gezogen werden. Knapp 26.000 Unterschriften sind nach zwei Tagen bereits eingelangt.