Politik | Corona und Folgen

Abkehr von industrieller Nutztierhaltung

Man weiß schon viel über Entstehung u. Übertragungswege der Corona-Krankheitserreger, kennt die Ursachen für deren Ausbreitung.Doch werden wirklich Lehren daraus gezogen?
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Drei Viertel der neuen Krankheitserreger wie SARS, MERS und COVID-19 werden von Tieren auf Menschen übertragen. Vogelgrippe, Schweinegrippe, Nipah-Virus, Ebola, HIV und dergleichen haben zoonotischen Ursprung, springen von Spezies zu Spezies. Das ist seit 20 Jahren bekannt, unterstreicht der Lebensmittelwissenschaftler Kurt Schmidinger, Gründer des Projekts Future Food in einem stark dokumentierten Kurzbeitrag. Jetzt kämpfen wir gegen COVID-19, doch gleichzeitig züchtet die Agrarindustrie die nächsten Pandemien und schafft vielleicht das Ende des Antibiotika-Zeitalters.

Industrielle Nutztierhaltung: ein Virenzuchtsystem

Die in allen Industrieländern praktizierte Massentierhaltung ist speziell in wärmeren Gegenden ein Herd für Krankheitserreger. Kombiniert mit Tiertransporten, grotesken Ernährungsgewohnheiten, Hygienemangel, Kostendruck auf globalisierten Märkten und globaler Mobilität der Menschen schafft man den Raum für neue Pandemien. „Milliarden eingesperrte Tiere produzieren gigantische Menschen an Exkrementen, die große Mengen Pathogene enthalten,“ schreibt Schmidinger, „die werden ins Grundwasser und auf Äcker entsorgt und schaffen eine Infektionsquelle für wildlebende Tiere.“ Wir brauchen nicht, wie Donald Trump, auf die wetmarkets von Wuhan zu zeigen, um von eigenen Fehlern abzulenken. Die hohen Besatzdichten der Tiere, der massenhafte Anfall von Exkrementen und der hohe Antibiotikaeinsatz machen die Massentierhaltung überall problematisch, gleich ob in China, Europa oder Nordamerika.

Antibiotikaresistenz – Die nächste Krise

Es wird geschätzt, dass weltweit 70-80% der Antibiotika in der Nutztierhaltung eingesetzt werden, der Rest in der Humanmedizin. Die WHO warnte schon vor 10 Jahren, dass in der Nutztierhaltung zwischen 2010 und 2030 der Verbrauch von Antibiotika um 70% ansteigen wird. Die Nutztierhaltung setzt sie als Wachstumsförderer ein: „Die Exposition von Bakterien zu dieser permanenten Gabe von geringen Mengen an Antibiotika begünstigt Anpassungen und Resistenzen der Bakterien“ (Schmidinger). In der Folge schlagen viele Antibiotika bei Fleischkonsumenten nicht mehr an. Das ist nur eines von zahlreichen Risiken der Massentierhaltung, ein weiteres die Verbreitung von Erregern.

Industrielle Tierfarmen sind offen

Nicht nur wetmarkets sind offen, wo Menschen mit Lebendtieren aus Zucht und Wildtieren hantieren. Auch industrielle Tierhaltungen sind in der Realität komplett offen für den Eingang und Ausgang von Krankheitserregern. Schmidinger: „Einerseits kommen Tiere aus anderen Zuchtbetrieben, Brütereien oder Nutztiermärkten sowie Futter und Wasser von außen in die Betriebe. Andererseits verlassen sowohl enorme Mengen Exkremente diese Anlagen, als auch Tiere in Richtung andere Betriebe, Märkte oder Schlachthäuser. Insekten sind weitere Überträger. All das sind Routen für Krankheitserreger zu oder von industriellen Nutztierhaltungen.“

Massentierhaltung oder Epidemien

Die heutige industrielle Nutztierhaltung ist nicht nur für das Ökosystem im Norden (Wasserverschmutzung, Gülle, Futtermittelimport, Nitrateintrag usw), und im Süden (Entwaldung, Monokulturen, Bodenerosion) ein Unheil, nicht nur ein bedeutender Verursacher von klimaschädlichen Gasen und ein völliger Hohn aufs „Tierwohl“. Sie bedroht auch direkt die Gesundheit durch die Begünstigung der Entstehung neuer Krankheitserreger wie COVID-19. Die perverse Haltung von Millionen von Nutztieren ist eine der zentralen Herde dieser und kommender Pandemien. Höchste Zeit daraus zu lernen, nicht nur indem wet markets besser beaufsichtigt werden, sondern indem das weltumspannende System industrieller Fleischproduktion zurückgebaut wird, das für eine gesunde Ernährung gar nicht benötigt wird.

Ein weiterer Lesetipp zum Thema: der hervorragend gestaltete Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung.