Wirtschaft | Berglandwirtschaft

„Wir wehren uns gegen das Aufgeben“

Die Berglandwirtschaft soll unterstützt werden, darüber sind sich alle einig. Die Frage ist wie. Reichen Einmalzahlungen oder braucht es langfristige Strategien?
daniel_gasser_4.jpg
Foto: Daniel Gasser (privat)
Unter dem Titel „Berglandwirtschaft: Unterstützung wird kommen“ hat der Bauernbund vor Kurzem eine Presseaussendung verschickt. In der Mitteilung wird berichtet, dass sich Vertreter des Südtiroler Bauernbundes, der Milchwirtschaft und der Landesverwaltung im Rahmen eines gemeinsamen Treffens mit der Situation in der Milchwirtschaft befasst haben. Die dringend benötigte Unterstützung wird kommen, heißt es darin. Diese kam kurze Zeit später in Form von 15 Millionen Euro an Soforthilfen. Noch im heurigen Jahr sollen für die ersten 30 Milchkühe 300 Euro pro Tier ausbezahlt werden.
Themen waren aber nicht nur kurzfristige Maßnahmen, sondern auch Strategien für die Zukunft. So soll spätestens bis Herbst ein sogenannter Mutualitätsfond speziell für Milchbauern eingerichtet werden. Im Krisenfall können die Gelder aus dem Fond verwendet werden, um die landwirtschaftlichen Betriebe zu unterstützen. Salto.bz hat bei Daniel Gasser, Obmann des BRING (Beratungsring Berglandwirtschaft) nachgefragt.
 
 
Salto.bz: Herr Gasser, die Landesregierung hat für die Berglandwirtschaft finanzielle Soforthilfsmaßnahmen beschlossen, und zwar sollen 300 Euro pro Kuh für die ersten 30 Tiere ausbezahlt werden. Reicht das oder ist es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?
 
Daniel Gasser: Die Situation für die Berglandwirtschaft ist durch die dramatischen Kostensteigerung sehr schwierig. Natürlich sind wir für jede Unterstützung dankbar und ich möchte an dieser Stelle auch unserem Landeshauptmann Arno Kompatscher und den Landesrat Arnold Schuler recht herzlich danken. Aber wir müssen gemeinsam weitere Möglichkeiten finden die Berglandwirtschaft weiterzubringen.
 
Eine dieser weiteren Möglichkeiten ist der sogenannte Mutualitätsfond. Worum handelt es sich dabei?
 
Es geht dabei um die Einkommenssicherung. Von der EU sind solche Fonds vor einiger Zeit aufs Tapet gebracht worden. In Südtirol wurde bereits in der Obstwirtschaft ein solcher Fond eingerichtet, nun soll ein ähnliches Hilfs-Instrument auch für die Milchbauern eingerichtet werden. Hier sind genaue Richtlinien festgelegt, auch auf staatlicher Ebene, wobei nun die Voraussetzungen geschaffen wurden, einen solchen Mutualitätsfond in der Milchwirtschaft einzurichten. Jeder Bauer, der möchte, kann beitreten. Die Organisation übernimmt dabei das Hagelschutzkonsortium.
 
In welcher Notsituation könnte ein Milchbauer Hilfsgelder aus dem Fond beanspruchen?
 
Die am Fond beteiligten Bauern haben Anspruch auf finanzielle Unterstützung, wenn plötzlich Schwierigkeiten bzw. Notsituation eintreten, beispielsweise wenn der Milchpreis plötzlich fallen sollte oder bei rapiden Steigerung der Produktionskosten, wie es in letzter Zeit bei uns in Südtirol der Fall ist, wo die Betriebsmittel wie Energie, Treibstoff und Futtermittel enorm gestiegen sind und zu einem Einkommensverlust geführt haben. Eine solche finanzielle Notsituation kann auch relativ leicht nachgewiesen werden, nachdem die Produktionskosten eines jeden Betriebes aufscheinen. Wenn sogenannte „Trigger-Events“, also bestimmte Werte, überschritten werden, dann erfolgt die Auszahlung dieser Gelder.
 
 
 
Steht bereits fest, ab wann der Mutualitätsfond von den Bauern in Anspruch genommen werden kann?
 
Derzeit werden noch die letzten Details geklärt. Nachdem der Fond sowohl mit staatlichen als auch EU-Mitteln finanziert wird, müssen verschiedene Richtlinien eingehalten werden. Hier sind natürlich sehr viele Vorgaben zu beachten. Der Mutualitätsfond wird jedoch sofort umgesetzt werden.
 
„Die Krise soll genutzt werden, um die Kosten in den Milchhöfen, aber auch in den Milchwirtschaftsbetrieben selbst genau unter die Lupe zu nehmen“, heißt es in der Aussendung des Bauernbundes. Was ist konkret damit gemeint? Eine verstärkte Zusammenarbeit im Hinblick auf ein gemeinsames Auftreten der Milchhöfe den Einkaufsgenossenschaften und dem Handel gegenüber?
 
Nicht unbedingt dem Handel gegenüber. Es gibt viele Bereiche, in denen jeder Milchhof sehr gut autonom arbeitet. Unter den Milchhöfen gibt es allerdings einen regen Austausch und den Willen, nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit bzw. Einsparungspotential zu suchen. Beispielsweise werden bereits Energie und Gas gemeinsam eingekauft. Weitere Möglichkeiten einer verstärkten Zusammenarbeit liegen in der Logistik und im Export.
Vielmehr als um ein gemeinsames Auftreten dem Handel gegenüber geht es also um eine verstärkte interne Zusammenarbeit. Jeder Milchhof bietet nämlich am Markt seine Spezialprodukte an – und zwar sehr erfolgreich. Es gibt aber durchaus auch hier Potential, sich gegenseitig zu unterstützen.
 
Es ergeben sich durchaus auch Vorteile, wenn man im Handel als Einzelbetrieb auftreten kann.
 
Bereits seit Jahren wird über einen Zusammenschluss der Sennereien nachgedacht  mal leiser, mal lauter. Wird auch ein solcher Schritt erwägt?
 
Das hätte Vor- wie auch Nachteile zur Folge. Wir haben auf der einen Seite hervorragende Marken, die von den Konsumenten sehr gut angenommen werden. Was beispielsweise das Marketing anbelangt, gäbe es unter Umständen Möglichkeiten der gemeinsamen Zusammenarbeit. Auf der anderen Seite ergeben sich aber durchaus Vorteile, wenn man im Handel als Einzelbetrieb auftreten kann. Einige Experten sind der Überzeugung, dass die Milchhöfe in der derzeitigen Aufstellung sehr gut wirtschaften und das Maximum herausholen. Man darf schließlich nicht vergessen, dass Südtirol was den Milchpreis betrifft, in einer vergleichsweise glücklichen Lage ist, wenn man sich unsere Nachbarländer Österreich und Deutschland ansieht. Ganz so schlecht wirtschaften unsere Milchhöfe also nicht. Aber natürlich muss man sich sämtliche Aspekte einer möglichen Zusammenarbeit ansehen. Und dazu sind die einzelnen Milchhöfe auch durchaus bereit. Im Rahmen von mehreren Sitzungen, die im Sennereiverbandes stattgefunden haben, wurden auch diese Themen beleuchtet.
 
Apropos Milchpreis: An der deutschen Milchbörse ist der Preis gerade auf ein Rekord-Hoch geklettert. Die Südtiroler Milchwirtschaft ist, auch saisonbedingt  im Sommer können die Südtiroler Bauern durch Alpung weniger liefern als im Winter , abhängig von Milchimporten. Zudem steigt in den Sommermonaten die Nachfrage nach Milchprodukten. Was heißt das nun für die Sennereien?
 
Das ist eigentlich kein großes Problem. Dort, wo Milch zugekauft wird, richtet sich der Preis nach dem Angebot und der Nachfrage. Es gibt den sogenannten Spot-Milch-Preis, also Milch, die an der Börse frei gehandelt wird, und Milch, die über festgelegte Preise zugekauft wird. Soweit mir bekannt ist, haben die betroffenen Milchhöfe ordentliche Konditionen aushandeln können. Hier sind also keine großen Probleme zu erwarten. Aber natürlich muss jeder Milchhof bewerten, ob es sich weiterhin lohnt, Milch zuzukaufen, um daraus Produkte in Auftragsfertigung herzustellen. Sollte sich das nicht mehr rentieren, wird es auch weniger Milch-Zukäufe geben. Denn das Ziel ist ja, den Milchpreis für die Mitglieder anzuheben. Von daher habe ich hier keine großen Bedenken. Was aber tatsächlich passieren kann, ist, dass die Milchproduktion im Laufe des Sommers zurückgehen wird, weshalb es bei einigen Produkten einen Mangel geben bzw. der Preis für diese Produkte steigen könnte.
 
 
 
 
Die Produktion einiger Produkte müsste zurückgefahren werden …
 
Auch das könnte passieren. Wenn weniger Milch zur Verfügung steht, dann kann logischerweise weniger daraus hergestellt werden. Aber das ist nun reine Spekulation. Die Situation kann sich sehr schnell ändern. Milch ist ein Weltmarkt-Produkt: Wenn die Produktion in einer Region ausfällt, kann sie woanders her bezogen werden. Das regelt sich meistens von alleine. Es gibt zwar viele Unsicherheiten, man sollte mit Prognosen allerdings vorsichtig sein.
 
Die derzeitige Situation der Milchbauern soll allerdings sehr bedenklich sein: Immer mehr geben auf bzw. denken ans Aufgeben.
 
Die Situation ist tatsächlich sehr bedenklich und wir müssen alles in die Waagschale werfen und die Betriebe unterstützen. Denn, wo die Stalltür einmal zugeht, geht sie wahrscheinlich nicht mehr auf. Deswegen pochen wir seit Wochen auf Unterstützung. Allerdings darf man nicht die Politik allein in die Pflicht nehmen, sondern man muss auch selbst tätig werden. Deshalb auch die vielen Intitiativen und die Suche nach Einsparungsmöglichkeiten. Aber natürlich sind wir ganz klar auf die Unterstützung der Politik angewiesen und ich hoffe, dass sie das Thema der Berglandwirtschaft ernst nimmt.
 
Wenn weniger Milch zur Verfügung steht, dann kann logischerweise weniger daraus hergestellt werden.
 
Wie sehen Sie die Zukunft der Berglandwirtschaft, auch im Hinblick des demographischen Wandels? Im Gegensatz zu den bäuerlichen Großfamilien früherer Zeiten ist ein landwirtschaftliches Unternehmen heutzutage sehr fragil. Aufgrund tragischer Unfälle oder ungeregelter Hofübergaben sind bereits viele Stalltüren geschlossen worden.
 
Es gibt bereits seit längerer Zeit Bemühungen, auch in Zusammenarbeit mit den anderen bäuerlichen Organisationen wie Senioren, Bäuerinnen, vor allem aber auch mit der Jugend, verschiedene Initiativen zu starten, um dem Höfe-Sterben entgegen zu wirken. Es gibt beispielsweise die Junglandwirte-Unterstützung oder die rechtzeitige geregelte Hof-Übergabe. Hier gibt es beispielsweise einige Anreize für die Betroffenen.
Was mich allerdings in letzter Zeit verwundert hat, ist, dass ein Ausstieg aus der Milch-Produktion nicht unbedingt infolge eines Generationen-Wechsels stattfindet, sondern gestandene und erfahrene Bauern steigen aus den verschiedensten Gründen aus der Milchwirtschaft aus. Der Hauptgund liegt darin, dass die Betriebe keinen finanziellen Gewinn mehr erwirtschaften, der den Bauern ein sicheres Auskommen ermöglichen würde. Somit müssen sie sich eine zusätzliche Arbeit suchen. In einem Bauernhof steckt relativ viel Arbeit, aber im Verhältnis dazu ein geringer Verdienst. Das gibt uns in letzter Zeit natürlich sehr viel zu denken und wir versuchen auch, Lösungsstrategien zu entwickeln. Beispielsweise möchten wir bei ungeregelten Hofübergaben, also wenn niemand da ist, der den Hof übernehmen möchte, erreichen, dass er trotzdem weiter bewirtschaftet wird. Denn es gibt auf der einen Seite nicht nur viele alleinstehende Bauern, die keine Erben haben, sondern gleichzeitig viele junge Pärchen, die gerne einen Hof bewirtschaften möchten. Allerdings ist der Verdienst in der Berglandwirtschaft der, der er nun einmal ist.
 
In einem Bauernhof steckt relativ viel Arbeit, aber im Verhältnis dazu ein geringer Verdienst.
 
Man kann sich zwar bis zu einem gewissen Grad selbst mit Lebensmitteln wie Eier, Fleisch, Milch, Obst und Gemüse versorgen, aber das reicht beim heutigen Lebensstandard nicht aus. Man braucht ein Auto, die Kinder müssen versorgt werden und wollen zur Schule gehen – es ist nicht mehr wie vor 50 Jahren, wo die Verhältnisse vollkommen anders waren. Die Bauern haben zwar keine riesigen Ansprüche, aber zum Leben sollte der Verdienst schon reichen. Und das ist zurzeit nun einmal nicht sehr einfach. Vor einigen Jahren gab es eine Erhebung der EURAC zu den Arbeitszeiten der Landwirte. Dabei wurde festgestellt, dass die Arbeitszeiten rund 80 bis 100 Stunden pro Woche betragen. Rechnet man das auf die Einnahmen hoch, ist der tatsächliche Stundenlohn schon beinahe lächerlich niedrig. Andererseits, vergleicht man unsere Situation mit jener in den Nachbarregionen wie Belluno und Trient, können wir beobachten, dass auch viele junge Leute noch bereit sind, auf den Höhen zu bleiben. Zugegebenermaßen spielt der mangelnde und deshalb teure Wohnungsmarkt sicher auch eine Rolle, aber auch die gut ausgebaute Infrastruktur und nicht zu vergessen natürlich die große Freude, die einem die Bewirtschaftung des Heimathofes bringt. Was das Aufgeben betrifft, sind wir Südtiroler Bauern sehr „Hoamat“ verbunden und wehren uns bis zuletzt gegen das Aufgeben.