Kultur | Salto Gespräch

"Was will denn die mit Ballett?"

Tänzerin Renate Kokot kam Anfang der 1980er aus der DDR ins Unterland und eröffnete eine Ballettschule. Nun ist Schluss. Ein Gespräch nach genau 40 Jahren Tanzschule.
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Foto: Renate Kokot

salto.bz: Was war denn der Grund, aus der DDR kommend, Anfang der 1980er Jahre in Südtirol anzutanzen?

Renate Kokot: Die Liebe hat mich hierhergeholt. Ich habe einen Salurner geheiratet. Das war 1981, es war noch DDR und ich war an der deutschen Staatsoper. Ich habe meinen Mann in Weimar kennengelernt, wo er am Herder-Institut einen Deutschkurs besuchte, da er Lehrer war. Ein Jahr später haben wir geheiratet und dann bin ich in Südtirol gelandet. Die "berühmten Schuhe" hängte ich an den Nagel und eröffnete ein halbes Jahr später eine Ballettschule in Neumarkt.

Wie kam man denn 1981 aus der DDR heraus? Reichte da die Heirat mit einem Südtiroler?

Klar, ich bin ins kapitalistische Ausland und wurde deshalb ein halbes Jahr genau "durchleuchtet". Auch meine Eltern und die Verwandtschaft, alles wurde überprüft. Bis ich dann das Zeichen "Staatsfrei" für die Heirat bekommen habe. Heiraten mussten wir in Berlin und mit der Heirat bekam ich den italienischen Pass. Vorher wurde ich aber gesperrt für die ganzen Auslandstourneen, weder nach Libyen durfte ich, nicht einmal nach Moskau. Auch nicht auf Japan-Tournee durfte ich gehen, das war schon schmerzhaft für mich. Es gab auch Leute, die mich überzeugen wollten in der DDR zu bleiben. Aber ich hatte mich entschieden. Ich höre auf.

Sie wollten vor ihrem Neuanfang in Südtirol nie die DDR verlassen?

Das hätte ich nie gemacht, wie das andere bei Auslandstourneen machten, holterdipolter "das Land" verlassen. Ich war zu sehr verwurzelt. Und als ich hierherkam, nahm ich auch die ganzen Möbel mit, die letzte Glühbirne. Alles.

Im Südtiroler Unterland finden sich also noch Bruchstücke aus DDR-Zeiten?

Ja, ein wenig DDR-Geschichte findet sich noch.
 

Bei Musikkapelle weiß jeder was Sache ist, mit Ballett kann niemand was anfangen.


Am heutigen Sonntag geht die Abschiedsgala über die Bühne, 40 Jahre nach dem Beginn Ihrer Ballettschule…

Ich möchte endlich ein wenig ruhiger treten. Ich werde demnächst 76. Ich wollte schon vor drei Jahren aufhören und dachte mir dann: Ach, ich mach es noch bis zum 40er Jubiläum. Das ist eine runde Zahl. Und dann ist Schluss.
Ich fühle mich in Südtirol wohl. Auch nach der Trennung von meinem Mann wollte ich nie, auch nicht nach dem Fall der Mauer, Südtirol verlassen. Ich hatte mich so eingelebt hier, fand das Land schön und die Menschen angenehm. 

Welchen Eindruck hatten Sie damals von Südtirol?

Hat mir sofort gefallen! Alles! Ich bin ein Naturfreak. Meinem damaligen Mann Walter Eccli hat die Natur ebenfalls gefallen und so waren wir auf einer Ebene. Auch bei den Ballettaufführungen hat er mich sehr unterstützt. Ich hab mir diese Schule hier recht erfolgreich aufgebaut. Auch wenn mir der Ruf der strengen Lehrerin vorausgeht, denke ich: Wenn ich nicht da gewesen wäre, hätten wir nicht so viele Erfolge bei Wettbewerben zu verbuchen, von Kanada, England, Paris, Wien...

Wie hat man Sie damals, mit Ihren Ballettideen, im Unterland empfangen?

Natürlich hieß es: Die kommt hierher, was will denn die mit Ballett. Das wird sowieso nichts. In Buchholz habe ich dann eine kleine Förderung vom Kulturverein bekommen und im Sommer erste Kurse gegeben. Da kamen die Salurner Kinder zunächst nach Buchholz und später ging es dann nach Neumarkt. Es gab damals ja kein so großes Sport-Angebot für Kinder. Heute ist das anders, das Angebot ist enorm. Und die Kinder machen alle drei Monate etwas anderes. 
 

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Erste Ballettanweisungen: Timoteo Mock und Renate Kokot. Mock studierte später Tanz an der Accademia Teatro alla Scala in Mailand und an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Mit der Spielzeit 2016/17 kam er ins Ensemble des Staatsballetts Karlsruhe. / Foto: Renate Kokot


Sie haben das klassische Ballett nach Südtirol gebracht. Kann man das so sagen?

Ja, das stimmt schon. Ich kam ja 1982 hierher und begann in Neumarkt in der Turnhalle der ehemaligen Mittelschule. Dort konnte ich zweimal pro Woche unterrichten. Später auch öfter. Als dann die Immobilie der Halle zum Verkauf stand, da kauften mein Mann und ich sie. Sie ist heute mein Eigentum, das ich in Bälde abgeben möchte. Leider möchte niemand in meine Fußstapfen treten. Von den ganzen guten Schülerinnen und Schülern, keiner will die Schule übernehmen. Aber es ist natürlich auch harte Arbeit. Und wenn man es gut machen will, kommt man schon an seine Grenzen. 

Sie nähen auch sämtliche Kostüme?

Stimmt, einen Großteil der Kostüme habe ich selbst genäht. Weil ich auch sehr anspruchsvoll geworden bin, wie gute Ballettkostüme sein sollen. Da hat ja niemand Ahnung, hier in Südtirol.
 

Es geht um Disziplin, man schmeißt nicht nach einem halben Jahr alles hin, nur weil es mal eine Krise gibt.

 

Es gab natürlich auch andere Ballettschulen in Südtirol. Wie hat sich Ihre Schule von den anderen unterscheiden können?

Ich kann natürlich nur das weitergeben, was ich gelernt habe. Das war die berühmte Waganowa-Schule, die in Paris vorherrschend war. Ja, es gab in Südtirol auch andere Schulen, die mitunter auch Gesellschaftstanz machten und nur mit Ballett als Randerscheinung. Ich war total klassisch, hatte früher mal 100 Schüler. Heute sind es 20. Ich nehme auch keine dazu, sonst wird das nie weniger.

Warum ist klassisches Ballett so harte Arbeit?

Natürlich ist das harte Arbeit. Wenn ich eine gute Schauspielerin werden möchte, dann ist das auch harte Arbeit. Es geht um Disziplin, man schmeißt nicht nach einem halben Jahr alles hin, nur weil es mal eine Krise gibt. Heute ist das anderes. Und niemand kann nichts richtig.

Als Sie jung waren, war da immer klar, dass Sie immer Ballett machen wollen?

Nein, überhaupt nicht. 
 

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In jungen Jahren: Renate Kokot posiert für die Kamera / Foto: Renate Kokot


Wie wird die große Jubiläumsgala ablaufen? Es werden auch ehemalige Schülerinnen und Schüler zu sehen sein...

Wir machen zwei Vorstellungen, weil die Nachfrage doch ziemlich groß ist. Gerti Drassl und Lukas Sartori werden die Programmführung übernehmen und es kommt auch Timoteo Mock mit einer Tanzpartnerin und sie bringen zwei schöne Pas de deux. Es kommen auch andere ehemalige Schüler und sie bestreiten acht Tänze, die sie, das kann ich Ihnen sagen, hervorragend beherrschen. Besser als je zuvor. Weil sie mittlerweile noch gewissenhafter an die Sache herangehen. Diese Schüler haben es geschätzt, durch so eine – ich sag es mal so – konsequente Schule zu gehen. Kein Eiertanz, kein Ausweichen. Wenn ein Tanzschritt so zu machen ist, dann ist er so zu machen. Ich hab da auch nie Unterschiede gemacht, wenn einer etwa nicht so geeignet zum Tanzen war, ihn links liegen zu lassen. Das gab es bei mir nicht, alle wurden gleich behandelt. Und jeder hatte nach seinen Möglichkeiten die Techniken so rüber zu bringen, wie es für ihn zumutbar ist. Ich habe meinen Stil immer beibehalten. 

Wo waren Sie beim Mauerfall?

Hier, vor dem Fernsehgerät. Es war kaum zu glauben. Das war etwas Großartiges. Lange hatte niemand daran geglaubt, dass das irgendwann passieren würde. Ab 1989 habe ich auch damit begonnen, erste Schülerinnen in die ehemalige DDR zu schicken. Hier in Südtirol haben leider nicht viele Menschen Einblick ins Ballett. Wir haben zwar Bolzano Danza, mit teilweise guten Pädagogen. Ich hab da ganz früher auch bei Modern-, Jazz- oder Klassisch-Sachen mitgemacht. Mittlerweile komme ich auch ohne aus, das sollen die jungen Leute machen.

Sind Sie glücklich, wenn klassisches Ballett getanzt wird?

Es ist ja schön, dass ein bisschen Ballett in dieses Land gekommen ist. Obwohl das ja immer noch ein kleiner Fremdkörper ist. Bei Musikkapelle weiß jeder was Sache ist, mit Ballett kann niemand was anfangen. Nur die wenigsten.