Kultur | Salto Aftenoon
Poetischer Gruß an einen Park
Foto: Privat
Es kann schon mal vorkommen, dass wenn ein Poetry Slam nicht an der Obergrenze der Teilnehmer unterwegs ist, sich die Poet:innen einigen, außer Konkurrenz anzutreten. So auch beim Ost West Summer Slam im Ost West Country Club, beziehungsweise Marconi Park, wo es auch galt einen Ort gebührend zu verabschieden. Man hofft die Meraner Slam Reihe in etwa einem halben Jahr am neuen Standort, dem ehemaligen Bersaglio fortzusetzen, an welchen im Sommer des nächsten Jahres auch die Open Air Veranstaltungen umziehen sollen.
Den Anfang machte wie gewohnt, nach akademischer Viertelstunde, die auf potentielle Nachzügler Rücksicht nahm - da Slammer:innen nicht immer die pünktlichsten sind - der MC Alex ‚Giovi’ Giovanelli, während sich nach und nach auch die Plätze in der ersten Reihe füllten. Giovi hatte zwei Kurztexte mit dabei, einen in Dialogform zur ständigen Sehnsucht nach mehr und der Notwendigkeit zu einer Einstellung zu finden, mit welcher man sich selbst genügt. Im zweiten Text sprach sich Giovi über die Missstände aus, welche er in Südtirol sieht und solidarisierte sich mit allen Außenseitern und Unikaten. Texte in ruhiger unaufgeregter Art, wie man sie von Giovi kennt und schätzt.
Die Nachzüglerin Filo durfte anschließend auf die Bühne und brachte einen Text mit sapphischen Zügen und Kussmotiven mit, der bis zum Ende einen Geschmack auf Lippen zu bestimmen versuchte und dem klassischen Slam-Schema folgte, dass es am Ende um etwas anderes ging. Aus dem sinnlich-erotischen Geschmacksspiel wurde eine Liebeserklärung ans Meer.
Eine Liebeserklärung der etwas anderen Art ging von Slam-Urgestein Helga ans Wandern. Im von ihr gewohnten Plauderton erzählte sie von Mühen und Strapazen, von auf der Hütte aufgebrauchtem Speck und einer Rückkehr ins Tal mit „Kniaschnaggler“, Sonnenbrand und blauen Flecken am Allerwertesten. Das Fazit lautete dabei „nächstes Wochenende glai wieder.“
Nathan betrat die Bühne mit einem Gedankenstrom durch den er eine Schreib-Blockade hatte durchbrechen können. Darin verarbeitete auf originelle Weise Bühnenerfahrung und Verwirrung ob seiner eigenen schiefen Metaphern . Er kam dabei zu einem für einen spontan entstandenen und nicht durchplanten Text zu einem ausgesprochen befriedigenden Ende, wo Texte dieser Art oft einfach nur abreißen.
Verena startete den Trend des Abends hin zu Verletzlichkeit und Offenheit, die bei Gelegenheiten ohne Wertung, wenn Slammer:innen nicht auf Nummer sicher gehen müssen, oft beobachtet werden kann. Sie teilte ihre Vision von Liebe und deren Gegenteil - nicht Gewalt sondern Gleichgültigkeit - in einem Text, der aufgrund der Gewaltverbrechen gegenüber Frauen in den letzten Tagen gehört gehörte. Dafür hätte es wahrscheinlich verdiente Höchstwertungen gegeben.
Die ‚neue Hannah‘ - man blieb am Abend bei Vornamen und dieser war doppelt besetzt - brachte einen, vor dem Ukrainekrieg entstandenen Text mit, in dem sie sich kritisch mit Europa auseinandersetzte. Wie die Autorin selbst vor Beginn ihrer Performance anmerkte, würde sie diesen heute anders schreiben, zahlreiche Punkte zum Umgang mit Flüchtlingen blieben jedoch leider nach wie vor gültig.
Die erst von zwei Märchenbearbeitungen präsentierte Ursula, machte dabei das Märchen vom einfältigen Rotkäppchen Ernestine und dem gerissenen, bösen Wolf augenzwinkernd tagesaktuell und Südtirol-bezogen. Lediglich beim „Nicht-so-Happy End“, der Aussprache zwischen den beiden Protagonisten, zeigte sich der Wolf von seiner wahren Seite.
Die alte Hannah - etwa sieben Jahre jünger als die neue, aber auf der Slambühne dienstälter - brachte für ihren letzten Abend als Teenagerin einen Text über das Verhältnis ihrer Generation zu Drogen mit. Es fing alles bei der Oma an, die am Beifahrerplatz einer Harley, Marlboro Rot rauchte und Neugier weckte. Die folgende Auseinandersetzung war reflektiert, selbstkritisch und gnadenlos offen und ehrlich.
Runde 2
Ohne Pause ging es weiter, mittlerweile interessierten sich auch die Kleinsten für Poesie und lauschten Giovi gespannt bei einem zweisprachigen Nachdenken darüber, wie wichtig der achtsame Umgang mit Sprache ist und welche Weichen dieser in den Köpfen der Menschen stellen kann. Höchstnoten für Text und jüngstes Publikum fürs aufmerksame Zuhören auch am Rest des Abends.
Filo gab sich in Runde 2 dem Rausch hin, auf ganz andere Weise wie Hannah zuvor. In englischer Sprache schilderte sie eine aus ihrer Sicht frische Rauscherfahrung in passend torkelnde freien Reimen und einem Rhythmus der irgendwie in Richtung Tanzfläche verwies.
Helga gab bei ihrem zweiten Auftritt vier Kurzgedichte zum Besten, welche Stadt- und Landschaftsbilder mit einer Spur Ironie brachen. Knapp genug um lyrisch zu sein, ironisch genug um einen Bruch zuzulassen, der nicht bloß klassisch „schön“ ist.
Nathans zweiter Text arbeitete ähnlich jenem der alten Hannah, aber noch verstärkt mit Sprachelementen der Generation Z, entwarf eine Gesellschaft vermenschlichter Tiere, die uns fabelhaft aufzeigen, was wir falsch machen, doch ohne groß in die Tiefe zu gehen und mehr an unterhaltsamen Sprachspielen wie Ottern mit Ott Interesse hatte und legte einen zweiten, kürzeren Text nach, der - alle Angaben ohne Gewähr des Autors - eine kürzliche Trennungserfahrung verarbeitete und sehr persönlich war.
Im zweiten Text von Verena fanden sich wiederholt Bezüge auf ihren ersten und das Bestreben aus dem „Hier“ einen Ort der Utopie zu gestalten. Die hoffnungsvollen Überlegungen arbeiteten stark mit der Anapher „Hier…“ sodass man am Ende mit einem Goethe-Zitat hätte rechnen können. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“ stand aber ohnehin zwischen den Zeilen.
Die neue Hannah blieb in ihrem zweiten Text politisch und trug eine Abrechnung mit dem Land Italien, seinem historischen Stolz und seinen Versäumnissen der Gegenwart vor, diesmal in englischer Sprache. Der Text war aus der Emotion heraus (nach einer Großdemo in Rom gegen das Salvini-Dekret, Szenenapplaus dafür) entstanden und wurde entsprechend emotional vorgetragen.
Ursula blieb Wolf und Märchen treu, den sieben Geißlein geschah aber noch Unerwarteteres als dem Rotkäppchen, ein an Pointen und Lachern reiches Experiment in Absurdität brachte den Wolf schließlich statt zur Mühle zur Miele, wodurch er sein Glück bei den Geißlein als Staubsaugervertreter versuchte, im wohl witzigsten Text des Abends.
Den Abschluss machte mit einem abermals sehr persönlichen Text die alte Hannah, welche sich mit gesellschaftlichen Erwartungen zum Kinderkriegen kritisch befasste. Mit zahlreichen Kleinkindern und jungen Eltern wurde dabei ihr respektvoller Umgang und Mut bei der Themenwahl mit Applaus belohnt, auch von den Kleinsten, die vielleicht nicht jedes Wort verstanden, aber auch sichtlich Spaß hatten.
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