Kultur | Salto Afternoon

Alles „nur“ ein Spiel?

Das Spiel ist der gemeinsame Nenner der Gruppenausstellung im Spazio Cut. Ist „play escapes“ damit in der Kindheit stehen geblieben oder gelingt eine Flucht nach vorn?
Play Escapes:
Foto: Tiberio Sorvillo
Sollen mehr als ein Dutzend Künstler mit 19 Werken auf engem Raum miteinander auskommen, so braucht es Lösungsansätze, um welche sich die Kuratoren Maximilian Pellizzari sichtlich bemüht haben. Der Spazio Cut (Raingasse 17) nutzt das Prinzip Spiel als sozialen Klebstoff um eine, vor verschiedenen Arbeitsweisen und Köpfen wimmelnden Schau, zusammenzuhalten. Abgetrennt vom Friseursalon wird die Ausstellung durch das Werk eines Fotografen, den man sonst in der Südtiroler Kunst- und  Kulturszene am Ende eines Bildtexts findet.
Tiberio Sorvillos „Gonfiabili“ ist der Druck einer Luftburgen-Landschaft auf einem Vorhang aus Luftpolsterfolie. Wir kommen nicht umhin, beim Betreten der Ausstellung durch seine Kunst berührt zu werden, gleichzeitig muss man aber den kindlichen Impuls unterdrücken, die einzelnen Blasen des Verpackungsmaterials für ihr charakteristisches „Poppen“ zu zerquetschen.
 
Play Escapes:
Play Escapes: Wer Berührungsängste zu Kunst hat, muss draußen bleiben. Sorvillos Fotoarbeit wurde, wie die anderen Ausstellungsfotos durch Tiberio Sorvillo dokumentiert. | Foto: Tiberio Sorvillo
 
Ein weiteres raumbestimmendes Werk stammt von Heinz Mader. Der Aufdruck „Lachraum“ auf einem Banner der Stirnseite des Raumes kann als Aufforderung verstanden werden, dies alles nicht zu ernst zu nehmen. Am Weg dorthin kommt man, es darf hier nicht fehlen, an einem Ölpastell von Thomas Grandi vorbei - der passende Name für das knallig bunte Gemälde, welches ein wenig an ein Spielfeld erinnert: „Mensch Ärgere Mich Nicht“.
Auch mit von der Partie ist, mit fünf schüchtern kleinen Miniaturen aus gefundenen Objekten, die frisch gebackene Paul Flora Preisträgerin Sophia Mairer, die Plastik und natürliche Materialien wie Rinde, Stein oder einen Kastanienigel zusammenfügt. Ein Spiel mit Kontrasten, das gefallen kann aber nicht muss.
Zu den innovativsten Beiträgen zählen sicher jene von Isa Schieche, welche zwei Werke in der Ausstellung platziert, mit denen Interaktion nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht ist. Eine „Kussflöte“ und ein eigens entwickeltes Spiel mit dem sprechenden Namen „O“. Bei der Kussflöte muss man seine Lippen an den Mund eines Holzkopfes annähern und pusten: Aus dem Pusten wird ein Pfeifen, welches aus den Ohren kommt. Das Spiel „O“, bestehend aus einer Ledermatte und sieben Aluminiumröhren, ist ein runden-basiertes Spiel für zwei Spieler:innen mit recht komplexen Regeln, bei dem sich die beiden Kontrahenten rund um den Tisch bewegen (und sich dabei über die Regeln austauschen, die auf einem DIN-A4 Blatt leicht lückenhaft erklärt werden). Den Namen hat das Spiel von den kreisförmigen Abdrücken, welche am Leder von den Zylindern hinterlassen werden.
 
Play Escapes:
Play Escapes: Sportliche und spielerische Akzente treffen hier aufeinander. Auch im Bild die Schuhe aus Papier, Karton und Holz von Helmut Heiss. Schuhgröße 44. | Foto: Tiberio Sorvillo
 
Ein Stück weiter treibt das Spiel mit unklaren Regeln Jennifer Gelardo auf die Spitze, welche in „Drama of Consensus“ alles tut, um die Regeln zu verdunkeln. Es handelt sich um eine Beamer-Projektion (mit Ton über Kopfhörer) auf einer Aluminiumplatte, was die Sicht auf das Dokumentierte erschwert. Es bleiben Überlegungen im, an ASMR-Stil flüsternd sanft gesprochenen Ton, in denen die Künstlerin über die Schwierigkeiten eines Spiels ohne Ziel und klar gesteckte Aufgaben sinniert. Das Spiel selbst, bestehend aus bunten Tonkügelchen und einer Basis mit Mulden, in welche sich diese einfügen, ist nicht in der Galerie.
Dass Spielen auch ziellos sein kann (wenn das den Spieler:innen von vorne herein klar ist), zeigt „Sulphur“ von Oriente Plazzi Marzotto, bestehend aus einem großflächigen, seichten Eisenbehälter mit Wasser, auf welchem Schiffe aus recyceltem Aluminium dümpeln, in die ein Kronenkorken mit Kerze gesetzt werden kann, um sie auf eine Rundfahrt zu schicken. Eine geistige Rückkehr in die Badewanne aus Kindheitstagen.
 
Play Escapes:
Play Escapes: In der Ausstellung findet man viel Unterhaltsames und Nostalgisches, den tieferen Sinn zu suchen scheint nicht der Sinn. | Foto: Tiberio Sorvillo
 
Sportlich nehmen Alexander Wierer und Ingrid Hora die Aufgabe zum Spiel, denn auch wenn die Emotionen am Spielfeld(rand) hochkochen, so bleibt auch Sport ein Spiel. Unterstrichen wird dies durch die Zweckentbindung der Objekte: Wierers eigentümlich betiteltes Objekt „Der Stahl der Stähle (Flitzer)“ besteht aus zwei Hockeyschlägern, die durch ein Metallrohr starr verbunden sind. Das ist wohl weder regelkonform noch praktisch, ähnlich dem „Zuviel des Guten“, das Hora als „Der Bock“ präsentiert. Die zahlreichen Griffe auf ihrem Sportgerät suggerieren entweder eine Nutzung durch mehrere Sportler:innen oder einen Nutzer mit überschüssigen Armen und Beinen.
Liebe zum Detail zeigen Masatoshi Noguchi und Martin Schlögel, letzterer vor allem durch die (fremdbestimmte oder selbstgewählte) Position seines Werks. Zwei Kartone - einer mit einem Federball und einer mit einem Vogelnest - unter dem Titel „Nest“ brechen aus der Ausstellungsfläche aus und werden über der Eingangstür zum Friseursalon positioniert, beim Eintritt noch unbemerkt. Noguchi positioniert „From a Galaxy to another Galaxy“ am Galerieboden, Miniaturtiere aus Plastik, frisch aus dem Spielzeugladen, formen auf einem Foto der Milchstraße die galaktischen Arme nach, in einer Prozession Richtung Mitte. Die archenhafte Wanderung schließen, mit Abstand als letzte, Schnecke und Schildkröte. Lektionen der Ausstellung: Es geht nicht ums Gewinnen und Zeitverschwendung ist auch nur eine Form der Zeitverwendung.
 
Play Escapes:
Play Escapes: Masatoshi Noguchis Tiere auf dem Weg ins Herz unserer Galaxie. Für einige Tiere ist der Weg doppelt lang. | Foto: Tiberio Sorvillo