Politik | Landtag
Ungerechte Sanierung

Foto: Suedtirolfoto.com / Othmar Seehauser
Tony Tschenett hat als Gewerkschafter schon viel erlebt. Der ASGB-Chef lässt sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. „Nein, so etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt Tschenett auf Nachfrage von Salto.bz. Auch die AGB/CGIL-Gewerkschafterin Ulli Bauhofer ist derselben Meinung: „Dieser Vorgang ist absolut nicht normal“.
Der abnormale Vorgang wird in der nächsten Woche als Gesetzentwurf in den Südtiroler Landtag kommen. Und dort mit großer Wahrscheinlichkeit eine breite Mehrheit finden.
Der Ausgangspunkt
In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Fraktionen der Regionalräte und der Landtage vom Steuerzahler finanziert. Der Landtag legte einen klaren Schlüssel fest, der fixe Zuschüsse je nach Fraktionsgröße vorsieht.
Im Jahr 2015 erhielt die größte Fraktion im Südtiroler Landtag, die SVP-Fraktion, so vom Landtag 412.461 Euro an Fraktionsgeldern. Die Freiheitlichen bekamen 214.398 Euro. Die Grünen und die Süd Tiroler Freiheit 129.699 Euro und alle anderen Fraktionen jeweils rund 50.000 Euro.
Den größte Teil dieser Zuwendungen brauchen die Fraktionen, um ihr Personal zu finanzieren. Vor allem die großen Fraktionen, wie etwa die Südtiroler Volkspartei, haben mehr als ein halbes Dutzend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. So hat die SVP von ihrem Fraktionsgeld 2015 315.000 Euro als Zuschuss für die Personalkosten bekommen. Wobei 52.000 Euro ein Vorschuss für das laufende Jahr sind. Die Freiheitlichen erhielten 180.000 Euro fürs Personal. Die Grünen und die Süd Tiroler Freiheit jeweils 112.500 Euro. Alle weiteren Fraktionen immerhin 45.000 Euro.
Renzis Reform
In der Verfassungsreform, über die wir am 4. Dezember abstimmen, findet sich auch eine Bestimmung, mit der die Fraktionen und vor allem ihre Mitarbeiter arg in die Bredouille kommen. Auf Druck der Wutbürger und der Grillini hat Premier Matteo Renzi jegliche finanzielle Unterstützung der Regionalratsfraktionen abgeschafft. Für Südtirol gilt diese Bestimmung für die Landtagsfraktionen.
Konkret heißt das: Gewinnt beim Referendum das JA wird der Geldhahn zugedreht. Das heißt, die Mitarbeiter würden über Nacht auf der Straße stehen. Denn die Parteien haben kaum das Geld, um diese Mitarbeiter weiter zu bezahlen.
Weil das aber politischer und institutioneller Selbstmord wäre, hat man im Parlament nachgebessert. Man verabschiedete eine authentische Interpretation, nach der es erlaubt ist, dass in Zukunft die Landtage den Fraktionen die Mitarbeiter stellen. So ist es in fast allen Parlamenten der westlichen Welt oder auch im EU-Parlament geregelt.
Die Regionen und die Länder müssen diese Regelung aber gesetzlich verankern. Weil das Referendum vor der Tür steht, steht man überall unter Zeitdruck.
Die Rettungsaktion
Der Südtiroler Landtag wird in der Sitzungsfolge der kommenden Woche den Landesgesetzentwurf Nr. 109/16 behandeln. Das von Landtagspräsident Roberto Bizzo vorgelegte Gesetz mit dem Titel „Bestimmungen über das Personal der Fraktionen des Südtiroler Landtages“ ist die Grundlage dafür, dass der Landtag in Zukunft den Fraktionen die Mitarbeiter stellen kann. In sechs Artikeln wird das neue Angestellten-Verhältnis geregelt.
Dabei gibt es eine klare Vorbedingung: „Das Personal wird auf Grundlage eines Vertrauensverhältnisses zu den Fraktionen ausgewählt.“ Das heißt: Die Fraktionen können auch Personen auswählen, die noch nicht im Landtag oder im Land angestellt sind.
Der Hintergrund ist einfach: Alle Fraktionen wollen ihre langgedienten Mitarbeiter behalten und nicht auf die Straße stellen. Das Gesetz sieht damit einen reibungslosen Übergang dieser Fraktionsangestellten an den Landtag vor. Sie wechseln sozusagen nur auf dem Papier ihren Arbeit-- und Lohngeber, bleiben aber sonst alle an ihrem Platz.
Die Ausnahmen
In Bizzos Gesetzentwurf heißt es:
„Für die Aufnahme des den Landtagsfraktionen zugeteilten Personals gelten die allgemeinen Voraussetzungen für die Aufnahme in die öffentlichen Körperschaften der Autonomen Provinz Südtirol.“
Also öffentlicher Wettbewerb, Zweisprachigkeitsnachweis und genaue Voraussetzungen für die Einstufungen in den verschiedenen Gehaltsebenen?
Weit gefehlt. Um die Mitarbeiter genauso übernehmen zu können, wie sie die Fraktionen seit Jahren bezahlen, hat man zwei Ausnahmebestimmungen in das Gesetz geschmuggelt.
So heißt es im Text:
„In Erstanwendung des vorliegenden Gesetzes kann dem Personal, welches den Landtagsfraktionen zugewiesen wird, für einen Zeitraum von maximal 24 Monaten eine Abweichung von den Voraussetzungen ...(...)... gewährt werden.“
Außerdem ist im Gesetz auch für die Einstufung in eine entsprechende Besoldungsstufe und Funktionsebene eine Abweichung von 30 Monaten erlaubt.
Konkret heißt das: Ein Mitarbeiter, der als Akademiker eingestuft ist, aber weder einen Zweisprachigkeitsnachweis, noch einen entsprechenden Studientitel hat, wird zweieinhalb Jahre lang so bezahlt, als hätte er diese Voraussetzungen. Kann er die nötigen Voraussetzungen auch danach nicht vorweisen, wird er in der Gehaltsebene zwar zurückgestuft, muss aber keinen Cent zurückzahlen.
Ursprünglich war im Gesetzentwurf sogar vorgesehen, dass diese 30 Monate einmal verlängert werden können. Das wären damit 5 Jahre gewesen. Es war der Freiheitliche Pius Leitner, der im 1. Gesetzgebungsausschuss diese Regelung scharf kritisiert hat. „Am Ende hat man sich dann als Kompromiss auf 30 Monate geeinigt“, sagt das grüne Ausschussmitglied Hans Heiss.
„Jeder Schuldiener und jede Putzfrau müssen in der öffentlichen Verwaltung den Zweisprachigkeitsnachweis haben und hier drückt man beide Augen zu."
Eine Ungerechtigkeit
„Jeder Schuldiener und jede Putzfrau müssen in der öffentlichen Verwaltung den Zweisprachigkeitsnachweis haben“, kritisiert Ulli Bauhofer diese Ausnahmebestimmungen, „und hier drückt man beide Augen zu". Auch Tony Tschenett sieht das so: „Diese Sonderregelungen sind gegenüber alle anderen Arbeitnehmern einfach ungerecht“.
Tatsache ist, dass diese Regelung ein gefährlicher Präzedenzfall für die öffentliche Verwaltung in Südtirol werden könnte. Denn sonst gilt das genaue Gegenteil. So werden in den Sanität seit Jahren Krankenpfleger und -schwestern, aber auch Ärzte, denen der Zweisprachigkeitsnachweis fehlt, nicht angestellt. Sie bekommen nur so genannte Werkverträge. Eine solche Ausnahmebestimmung gibt es sonst nirgends.
„Als ich im Landtag per Beschlussantrag in der Sanität genau diese Ausnahmeregelung gefordert habe“, ärgert sich jetzt der 5-Sterne-Landtagsabgeordnete Paul Köllensperger, „beschuldigte mich Martha Stocker, eine der Säulen der Autonomie untergraben zu wollen“.
Anscheinend sind diese Säulen der Autonomie spätestens dann kein Thema mehr, wenn es um die eigenen Interessen geht.
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