Bühne | Teatro Stabile

Im Fleischwolf der Moderne

Dienstag war mit der „Santa Giovanna dei Macelli“ der Kompanie ErosAntEros auf reich gedeckter Stadttheaterbühne, vor halb-vollem Saal ein bombastischer Brecht mit Laibach zu sehen. Viersprachig und mit eigens komponierten Nummern der Band.
La Santa Giovanna dei Macelli, Brecht, Stabile, Laibach, ErosantEros
Foto: Daniele Neri
  • Es wundert ein wenig, dass die Reihen im Bozner Stadttheater recht lückenhaft gefüllt sind für die „Santa Giovanna dei Macelli“, beziehungsweise „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ aka „Saint Joan of the Stockyards“ oder wie auch immer das Stück auf Slowenisch heißen mag. Bertolds Brecht Kapitalismuskritik war, nachdem sie in Ljubjana (11. und 12. November, Cankarev Dom) und in Luxemburg (15. und 16. im Theatre National) zu sehen war, einmalig in Bozen zu sehen. Die Liste der Mitwirkenden an der maximalistischen Produktion vermittelt zumindest einen ungefähren Eindruck der 110-minütigen Materialschlacht auf der Bühne. Enstanden ist das Stück um Davide Sacco und Agata Tomšič durch die Kompanie ErosAntEros, die dafür unter anderem auch mit dem Teatro Stabile di Bolzano zusammengearbeitet hat. Zwischen Übertiteln, changierenden Sprachen, Videoprojektion, Nebel, Lichteffekten und Blut, welches von der Decke aufs Bühnengeschehen tropft, sowie mit einer namhaften Band im Bühnenhintergrund ist die eigene Aufmerksamkeit heiß umkämpft. Für eine Pause bleibt keine Zeit.

  • Laibach: Seit 1980 gehören die Musiker aus Slowenien als Kennerband zu jenen Gruppen, denen immer mal wieder ein Skandal zu größerer Bekanntheit verholfen hat und ohne die es wohl auch kein „Rammstein“ gäbe. Foto: Daniele Neri

    Die Band Laibach, die 1984, als Slowenien noch Teil von Jugoslawien war, Mitgründer des politischen Kunstkollektivs „Neue Slowenische Kunst (NSK)“ war, blickt auf eine lange, komplexe und häufig auch kontroverse Bandgeschichte in wechselnden Formationen zurück. Die Praxis der gesamtheitlich arbeitenden Band (vom Kollektiv färben auch grafisch, künstlerisch und theatralisch Einflüsse ab), kann als Ausreizen von Grenzen verstanden werden, spielt mit Motiven des Faschismus, von der Marschtrommel bis zur Uniform. Zu einer Produktion, die nicht schüchtern ist auf das Elend und die Fleischströme in den Schlachthäusern zu blicken, passen sie entschieden gut. Auch als Schauspielerin oder Schauspieler werden die Mitglieder von Laibach aktiv, die heilige Johanna erhält sogar Gesangs-Passagen für die Eigen-Kompositionen der Band. Die Stimme von Laibach ist allerdings eine männliche, wie auch das Stammthema im eigenen Schaffen ein Männliches ist. Faschismus und die Kadaver-Maschine, ein Töten auf amerikanisch-industriellem Maßstab, da hätte man ins Fettnäpfchen eines Holocaust -Vergleichs treten können, was gerade mit der Reibeisenstimme des Frontmannes Milan Fras ins Auge hätten gehen können.

  • Mauler: Danilo Nigrelli sorgt mit vollem Körpereinsatz dafür, dass sich mit der Schlussszene noch einmal eine Klammer auf der Bühne schließt. Foto: Daniele Neri

    Stattdessen nutzt man das Setting um Entsolidarisierung, Entmenschlichung und das Elend der Working Poor, etwa 1929 in Chicago in den Mittelpunkt zu rücken. Mauler (Danilo Nigrelli), ein böser, wenngleich nicht banal böser Dosenfleisch-Magnat gehört neben der „Heiligen“ Johanna zu den großen Talenten des Abends.
    Nackt in der Glasbadewanne, die sich mit Fortschreiten des Abends mit Theaterblut füllt, erhebt er sich und wird vom Assistenten in blutrote Roben gekleidet, ein übergroßer Kopf erscheint im Schwarz. Chicago wird von den Freunden an der Börse angerufen, der Markt ist im Ungleichgewicht und zu viel Dosenfleisch findet zu wenig Nachfrage. Schlachthöfe schließen und mittellose Menschen stehen auf einen Schlag auf der Straße, die Hilfe der „Black Hats“ – bei Brecht waren es noch „Schwarze Strohhüte“, eine kritische Umdeutung der Heilsarmee – ist lediglich ein Heftpflaster auf einer Schusswunde. Dass „Black Hat“ auf der Bühne wie „Black Head“ klingt, das englische Wort für Mitesser, hätte wohl auch Brecht gefallen. Auch diese Version der Heilsarmee ist lediglich ein Ausdruck eines kranken Systems und verdeutlicht anschaulich den Mangel jeglicher Solidarität unter den Klassen.
    Die Solidarität von Johanna trifft auf Maulers manipulativen und gleichgültigen Charakter, der in seinen Arbeitern, die für 20 Cent und ein Essen am Tag schuften und von ihm nicht immer als Menschen gesehen werden. Analog zum anonymisierten Dosenfleisch, das aus Tieren ein Produkt macht, sieht Mauler seine Untergebenen mal wie Tiere, mal als Meute. Als an einen römischen Kaiser erinnernde Figur verliert er die Bodenhaftung und überzeugt sich selbst vom Anspruch auf den eigenen Thron und überzeugt sich selbst davon, dass die eigene Ausbeutung in Wahrheit Wohltätigkeit sei. Den Raubtierkapitalismus und das Spiel an den Börsen, für die die Schlachthäuser stehen, erleben wir dabei als krankes, abartiges und dennoch gleichzeitig zwingendes System, zu dem es scheinbar jedoch keine Alternativen gibt.

  • Symbolik: Auch Flaggen mit der Symbolsprache der Band finden neben Kostümen Einsatz und tragen zum „Gesamtkunstwerk“ bei. Foto: Daniele Neri

    Dazwischen die Endzeitstimmung von Laibachs Musik, die live eigens fürs Stück geschriebenes Material performen. Einiges davon ist eingängig und hätte durchaus auch auf einem Konzeptalbum Platz finden können, anderes hat hingegen eher einen dem Stück dienenden Charakter. Die überlebensgroßen Projektionen auf einem halbtransparenten Bühnenschirm, hinter welchem die Band ihre Instrumente aufgebaut hat, sind es am Ende, die aus einem groß angelegten Stück ein bombastisches machen, das den Besucher regelrecht erschlägt und mit vielen, nachwirkenden Eindrücken zurücklässt.
    Am Ende – es folgt ein Spoiler für ein bald 100 Jahre altes Stück – wird auch die zu heilige Johanna vom Fleischwolf der Arbeiter verbraucht und verstümmelt, wenn überhaupt frei gibt, verschlungen. Sie endet als nackter, regloser Körper in eben jener Blutbadewanne, die mittlerweile gut gefüllt ist. Als aussortiertes Fleisch schafft sie es in ihren letzten Atemzügen aus der Wanne heraus zu einem nahegelegenen Tuch zu kriechen und den blutigen Leib zu bedecken. Ihr Schicksal lautet Lungenentzündung, die Wunder die sie gewirkt hat – Solidarität und Mitgefühl – waren am Ende wirkungslos für den Ausgang des Stückes. Das Publikum haben sie vielleicht erreicht. Zuseher und Zuseherinnen lassen es sich jedenfalls nicht nehmen – wenngleich sie vielleicht weniger zahlreich als erhofft erschienen sind – Schauspieler:innen und Musiker:innen noch ausgiebigen, hart erarbeiteten Applaus zu schenken.