Das Feuer nähren
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Südtirols Blasmusikkapellen gehören zur Alltagskultur unseres Landes wie die Kastanien und der Sußer zum Törggelen und mehr als 10.500 Musikantinnen – in der Altersgruppe bis 30 sind die Frauen in der Mehrzahl – und Musikanten beleben die 209 Kapellen, die im Verband Südtiroler Musikkapellen organisiert sind. Das Leistungsniveau der zahlreichen Kapellen wird immer höher, die Basisarbeit der Musikschulen und das hohe Niveau der Ausbildung der KapellmeisterInnen – 21 von ihnen sind Frauen – tragen reiche Früchte. Dass es den Musikkapellen gelingt, den Nachwuchs zu begeistern, kann man daran ermessen, dass fast die Hälfte der Mitglieder unter 30 Jahre alt sind.
Das diesjährige Jahreskonzert steht unter dem Motto „Transformation“.
Woher rührt diese Begeisterung? Neben der tief verwurzelten Musiktradition in der Alpenregion dürfte ein großer Teil des Erfolges auf die künstlerische Offenheit und Experimentierfreude der KapellmeisterInnen zurückzuführen sein, mit der sie das Repertoire der zahlreichen Auftritte aufweiten und die Mitwirkenden herausfordern und zu hohen Leistungen anspornen.Das Repertoire der Südtiroler Musikkapellen ist so breit wie kaum irgendwo sonst im Alpenraum. Es reicht von traditioneller Blasmusik über sinfonische Blasorchesterliteratur bis hin zu zeitgenössischen, experimentellen Werken. Dazu kommen Opern- und Orchestertranskriptionen, Filmmusik, Jazz- und Big-Band-Stücke, Pop- und Rockarrangements sowie eine lebendige lokale Komponistenszene.
Eine der Südtiroler Spitzenkapellen ist die Musikkapelle Zwölfmalgreien, die am 29. November zum traditionellen Cäcilienkonzert ins Bozner Haydn Auditorium lädt. Nach „Identität“ im Jahr 2023 und „Die Kraft der Überzeugung“ im Jahr 2024 steht das diesjährige Jahreskonzert unter dem Motto „Transformation“.
Das ist uns in der SALTO-change-Redaktion aufgefallen und da wir uns als Medienformat mit der Transformation beschäftigen, wollen wir wissen, was es mit dem ambitionierten Konzertmotto auf sich hat. Um es zu erfahren, treffen wir uns mit Matthäus Crepaz.
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SALTO change im November: Klimaschutz
Im November geht es bei SALTO change um das Thema „Klimaschutz – global, regional, lokal“. Anlass dazu sind neben COP30 in Belém die Bemühungen einer Plattform der Südtiroler Zivilgesellschaft um ein Landes-Klimaschutzgesetz. Die Plattform plant, den Entwurf am 14. November der Öffentlichkeit zu präsentieren.
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Matthäus Crepaz ist Kapellmeister, Musikpädagoge, Komponist und künstlerischer Gestalter aus dem Grödnertal. Er leitet seit September 2023 die Musikkapelle Zwölfmalgreien, die er mit thematisch konzipierten Konzertprogrammen und innovativen musikalischen Ansätzen prägt. Crepaz versteht Blasmusik als kulturellen Resonanzraum, der Tradition und Moderne verbindet – von klassischer Literatur über zeitgenössische Werke bis hin zu konzeptionellen Themenabenden.
„Jedes Jahr denke ich mir ein Thema aus,“ steigt Crepaz in die Bedeutung der Konzeptarbeit ein: „Mir ist nicht nur eine schöne Erfahrung von Musik wichtig, sondern auch eine klare Botschaft. Die kann sozial sein oder politisch, kann aber auch eine musikalische Message sein, etwas Intellektuelles, das sich unsere Gäste mit nach Hause nehmen können. Die wunderschöne Empfindung von Musik ist die Grundlage und dann kommt noch etwas für den Kopf dazu, etwas, was zum Denken anspornt.“
„‚Extreme Beethoven‘ hat mich so begeistert, dass ich beschlossen habe, das heurige Cäcilienkonzert um dieses Stück herum aufzubauen und herauszuarbeiten, unter welchen Gesichtspunkten man Transformation in der Musik beobachten kann.“
Doch wie kommt man dabei dazu, die Transformation in den Mittelpunkt zu stellen? Crepaz blättert zurück: „Das Thema Transformation hat sich heuer eigentlich von einem Stück ausgehend ergeben. Es nennt sich ‚Extreme Beethoven‘ und hat mich so begeistert, dass ich beschlossen habe, das heurige Cäcilienkonzert um dieses Stück herum aufzubauen und herauszuarbeiten, unter welchen Gesichtspunkten man die Transformation in der Musik beobachten und erfassen kann.“ Dabei geht es Crepaz nicht so sehr um die Entwicklung des Musikschaffens in seiner zeitlichen Epochen-Abfolge: „Ich habe versucht, zu erfassen, was passiert, wenn ein Komponist sich in den Kopf eines anderen hineindenkt, was Johann De Meij mit den ‚Metamorphosen über Themen von Ludwig van Beethoven‘ versucht hat. Das ist eine Art der Transformation zwischen zwei Komponistenköpfen.“
Noch ein Aspekt kommt hinzu, den Crepaz in seine Überlegungen um Konzertmotto einfließen lässt: „Die Musikkapellen selbst befinden sich in einem ständigen Transformationsprozess, wir spielen im Heute. Auch wenn wir eine Tracht anziehen und einen traditionellen Marsch spielen, marschieren wir durch die Straßen von heute, mit allem, was genau jetzt darin geschieht. Das wirkt sich auch aufs Musizieren aus: Ich bin da sehr pingelig und bringe den Musikantinnen und Musikanten bei, dass man das Stück eines zeitgenössischen Komponisten nicht so spielen kann, wie einen traditionellen Marsch. Da müssen wir ganz anders an die Noten herangehen und jedes Stück, das wir einstudieren verändert etwas in unserer künstlerischen Gemeinschaft.“
Musik transformiert auch jene, die sie machen, ist Matthäus Crepaz überzeugt: „Neue Stücke sind immer wieder eine Herausforderung und der eine oder die andere begegnen manchem anfänglich mit Skepsis, wenn wir mit den Proben beginnen. Aber dann arbeiten wir uns da hinein und wir merken von Probe zu Probe dass die Begeisterung wächst und sich für viele neue Welten auftun – und wenn wir es dann aufführen, hat uns das auch als Individuen weitergebracht.“ -
Sichert euch Freikarten!
Die ersten zwei SALTO-LeserInnen, die eine E-Mail an [email protected] schreiben und sich im Betreff auf das Cäcilienkonzert der Musikkapelle Zwölfmalgreien beziehen, erhalten je eine Freikarte für das Konzert am 29. November in Bozen (20 Uhr, Auditorium Haydn).
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Doch Transformation bedeutet für Crepaz nicht nur Veränderung innerhalb der Musik, sondern auch eine Bewegung in der Gesellschaft. Dabei wehrt er sich gegen das eine starre Trennung zwischen Unterhaltung und kulturell bedingter Anregung: „Ich finde, Musik darf auch dekorieren und sie liefert auch die Grundlage für gesellschaftlich relevante rituelle Handlungen. Aber natürlich darf und soll sie auch Emotionen wecken, bewegen, Widerspruch erregen oder zum Denken anregen. Das hat alles seinen Platz und seine Berechtigung“, betont er.
Musik könne Ornament und Orientierung sein, Genuss und Reflexion zugleich. Sie nimmt unter den Künsten eine Sonderrolle ein, weil sie universelle Elemente aufweist, jenseits von Sprache und komplexen Deutungen. Der umtriebige Kapellmeister bringt es so auf den Punkt: „Wenn die Musik das Bindeglied ist und man über die Musik sozusagen alle erreichen kann, dann ist das eine unfassbare Kraft, eine Art sozialer Kitt mit hoher Wirk- und Transformationskraft, weit über enge Kulturkreise hinaus.“
„Die Tradition bewahren und sie zu respektieren heißt nicht, historische Asche zu konservieren.“
Bleibt noch ein Thema, nach unserem weiten Ausflug in das Kulturschaffen: Wie bringen wir diesen interessanten Diskurs mit der Traditionspflege in Einklang, die gern als wichtigste Aufgabe der Blasmusik-Welt postuliert wird? Matthäus Crepaz sieht da keinen Widerspruch und räumt erst einmal mit einem Missverständnis auf: „Die Tradition bewahren und sie zu respektieren heißt nicht, historische Asche zu konservieren, sondern das kulturelle Feuer zu nähren und an die nächsten Generationen weiterzugeben, brennend, lebendig. So gesehen ist Traditionspflege das, was wir zwischen der Übernahme und der Übergabe zu schaffen imstande sind.“
Wenn es gut ist – erlaube ich mir hinzuzufügen – hat es Bestand, wenn nicht haben nachfolgende Generationen jedes Recht, Ihres dazuzufügen und so schließt sich der Kreis eines interessanten und sehr aufschlussreichen Ausflugs in die Welt der Südtiroler Blasmusik und ihres herausragenden Protagonisten Matthäus Crepaz.
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