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"Wir müssen lernen mit Krisen umzugehen"

Soll es ein Zurück zu einer Vor-Corona-Normalität geben? Im Gespräch mit Heini Grandi.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Heini Grandi
Foto: Heini Grandi

Heini Grandi ist der Vorsitzende des Genossenschaftsverbundes Coopbund Alto Adige Südtirol. Im Interview spricht er über das Virus, zielgerichtete Maßnahmen und über das Wirtschaften nach der Pandemie.

Salto.bz: Die Covid-19-Maßnahmen der Landesregierung sind in den vergangenen Monaten stark kritisiert worden. Wie stehen Sie zu dem Thema, Herr Grandi?

Heini Grandi: In unvorhersehbaren Ausnahmesituationen muss schnell reagiert und gehandelt werden. Sicher sind Fehler passiert, aber im Nachhinein ist es immer leicht zu kritisieren. Wie bereits Reinhold Messner gesagt hat, ist das Virus an sich nicht böse, das Virus will nur Überleben. Wir können damit aber nicht umgehen: Das Gesundheitssystem gerät ans Limit, gesellschaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen folgen. Länder in Südostasien ist es gelungen, die Pandemie besser unter Kontrolle zu bringen. Aber diese Länder funktionieren grundlegend anders. In westlichen Ländern steht die persönliche Freiheit an oberster Stelle. Diese ist nun in Konflikt mit der Gesundheit geraten. Ich finde, meine persönliche Freiheit endet dort, wo ich andere gefährde. Eine andere Absurdität: Die meisten Menschen geben in den Sozialen Medien wie Facebook alle Daten ohne Wimperzucken preis, die Corona-App hingegen bedroht plötzlich die Privacy. Sowas kann ich schwer nachvollziehen.

In westlichen Ländern steht die persönliche Freiheit an oberster Stelle. Diese ist nun in Konflikt mit der Gesundheit geraten.

Stehen wir uns also bei der Virusbekämpfung oft selbst im Wege?

Ja, es geht viel um persönliche Verantwortung. Manche Leute leugnen sogar die Existenz des Virus, obwohl ein Blick auf die statistischen Zahlen reicht. Die Übersterblichkeit sagt alles. Wenn wir das Virus weiterhin nicht in den Griff bekommen, dann werden die Folgewirkungen, gesellschaftlich und wirtschaftlich, noch schwerwiegender. Dieses Virus geht vorbei, aber es ist ein Virus von vielen, ständig greifen Viren von Tieren auf Menschen über. Aber noch etwas wird auf uns zukommen, das wahrscheinlich schlimmer als die Pandemie wird: Die Klimakrise. Für Klimatologen sind die außerordentlichen meteorologischen Situationen, die immer häufiger werden, die Vorboten der Klimaerwärmung. Die großen Niederschläge im Herbst, die in Südtirol seit nun drei Jahren stattgefunden und für Haushalte ohne Strom und Wasser gesorgt haben, hat es in der Dimension noch nie gegeben. Wir müssen in Zukunft lernen mit Krisen umzugehen.

Wie hat die Pandemie den Genossenschaftsverband Coopbund getroffen?

Menschlich hat es mehr oder weniger alle betroffen. Ansonsten waren die Auswirkungen neben der Gastronomie besonders stark im Kultur- und Bildungsbereich, sowie im sozialen Bereich zu spüren. Einige Betriebe mussten gänzlich schließen, andere teilweise und wiederum andere gar nicht. Mehr als die Hälfte der Mitgliedsgenossenschaften mussten die Lohnausgleichskassa in Anspruch nehmen. Die Folgewirkungen werden wir erst nächstes Jahr sehen.

Dieses Virus geht vorbei, aber es ist ein Virus von vielen.

Wie beurteilen Sie die Unterstützungsmaßnahmen Landes beziehungsweise Staates?

In einer Notsituation ist es immer wichtig sofort zu reagieren. Danach muss jedoch zwischen Sofortmaßnahmen und mittel- bzw. langfristigen Maßnahmen unterschieden werden. Da es im Frühjahr schnell gehen musste, war es unmöglich zielgerichtet zu arbeiten. Wie bei einem kranken Patienten kann nicht lange analysiert werden, was das Problem ist, sondern muss schnell ein Medikament verabreicht werden, damit der Patient nicht stirbt. Danach kann man schauen, welche Maßnahmen konkret greifen, damit der Patient wieder fit wird. Dasselbe gilt für Unternehmen: Bei den mittel- und langfristigen Maßnahmen muss zielgerichtet gearbeitet werden. Das ist die Herausforderung der nächsten Zeit.

Bei den mittel- und langfristigen Maßnahmen muss zielgerichtet gearbeitet werden.

Was bedeuten punktuelle Hilfen konkret?

Es gibt viele Betriebe, die bereits vor der Krise mit großen Problemen gekämpft haben. Man muss sich die Frage stellen, wie viel Sinn es macht, einen untergehenden Betrieb noch lange am Leben zu lassen. Vielleicht wäre es besser in bestimmten Situationen eine Schließung in Erwägung zu ziehen. Betriebe, die vorher gesund waren, gut funktioniert und für Arbeitsplätze gesorgt haben, hatten vielfach große Einbußen, denen muss geholfen werden. Abhängig vom Sektor muss man sich vielleicht neu aufstellen oder es braucht zusätzliche und neue Geschäftsfelder.

Können Sie das näher ausführen?

Amazon gehört zu den großen Corona-Gewinnern. Wie kann der kleinstrukturierte Handel in Südtirol darauf reagieren? Indem zum Beispiel auch hierzulande Online-Angebote beziehungsweise Plattformen angedacht werden, auch gemeinsame genossenschaftliche Lösungen sind möglich.

Soll es nach der Krise kein Zurück in die alte Normalität geben?

Wir müssen uns neu aufstellen und unser Wirtschaften überdenken. Nachhaltigkeit ist momentan ein Trend, über den alle sprechen, wir müssen nun schauen, wie wir das Wort umsetzen. Wirtschaften muss nachhaltig werden:  Mit mehr regionalen Kreisläufen, lokalen Produkten und Dienstleistungen. Auch andere Formen des Tourismus sind erforderlich. Wir arbeiten zum Beispiel an einer digitalen Plattform, die ähnlich wie Airbnb funktioniert, nämlich „Fairbnb“. Die Plattform gehört den Benutzern, mit Mitsprache- und Mitbesitzerrechten. Das alles auf legaler Ebene. Bei Fairbnb fließt ein Teil der Einnahmen in soziale Projekte vor Ort zurück. Die Plattform existiert bereits in Italien, wir überlegen uns diese auch in Südtirol zu realisieren.

Die Genossenschaften müssen besser zusammenarbeiten und sich stärker vernetzen.

Ein anderes, von Ihnen befürwortetes, Konzept ist das „Workers BuyOut“. Was ist das?

Es handelt sich dabei um eine Initiative, die in Italien schon länger existiert und bei Betriebsübergaben eingesetzt wird. Wenn Betriebe keinen Nachfolger finden, werden Unternehmen oft geschlossen. Bei „Workers BuyOut“ übernehmen die Mitarbeiter den Betrieb, arbeiten als Miteigentümer weiter und das in Form einer Genossenschaft. In den nächsten Jahren könnte eine Kombination aus Krise und fehlende Nachfolger zu vielen Betriebsschließungen führen. Das Modell könnte in Südtirol Zukunft haben. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, aber mit entsprechender Betreuung und einem Bewusstseinswandel der Belegschaft, ist das Konzept durchaus umsetzbar.

Was könnte sonst noch in Zukunft wichtig werden?

Die Genossenschaften müssen besser zusammenarbeiten und sich stärker vernetzen. Es kann auch zu Zusammenschlüssen von kleinstrukturierten Genossenschaften kommen. Kleinstrukturierte Betriebe können soziale Lösungen anstreben und Bereiche, die bis dato jeder für sich erledigt hat, gemeinsam durchführen wie Marketingtätigkeiten im Tourismus.

Alles soll nachhaltiger werden. Das bedeutet im Dreiklang zwischen ökonomischen Interessen, ökologischen Aspekten und sozialer Ausgewogenheit zu agieren.

Welchen Neustart wünschen Sie sich?

Wir müssen unser derzeitiges Wirtschaftsmodell überdenken und neu aufstellen. Alles soll nachhaltiger werden. Das bedeutet im Dreiklang zwischen ökonomischen Interessen, ökologischen Aspekten und sozialer Ausgewogenheit zu agieren. Wir müssen generationsübergreifend denken, dem Grundgedanken des Genossenschaftswesens folgend. Die Pandemie hat auch positiven Seiten: Eine Entschleunigung hat stattgefunden. Ich war 23 Tage in Quarantäne, als ich das erste Mal wieder nach draußen bin, habe ich meine Umwelt anders erlebt. Wenn man Augen und Herz öffnet, kann man auch die Welt anders betrachten und das eigene Umfeld neu gestalten.