„Es werden Grenzen überschritten“
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In die Brixner Dekadenz kommt „Ich, Akira“, ein komischer Theatermonolog von Leonhard Meier und Noëlle Haeseling unter der Regie von Michaela Senn. Die Theaterpremiere am Samstag den 13. Jänner ist bereits ausverkauft.
In die Rolle des Akira schlüpft Peter Schorn, der in letzter Zeit mit viel Engagement gegen die sich anbahnende Regierungskoalition mit Fratelli d’Italia, Lega und Freiheitlichen, nicht nur als Mitunterzeichner des offenen Briefs der Südtiroler Kunst- und Kulturschaffenden Position bezog.
Ausgang nimmt das Stück bei einem realen Hund und einem realen Antiseminten, Autor veganer Kochbücher und Influencer, der zudem auf Reichsbürgerdemos anzutreffender Holocaust-Relativierer und verschwörungsideologischer Coronaleugner ist. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Galt 2018 noch dem Fressnapf von Akira einiges Medieninteresse, so gilt dies heute fast vollumfänglich wieder dem Hundehalter. Dieser hatte sich während der Corona-Pandemie zusehends, auf sozialen Medien einer breiten Öffentlichkeit sichtbar, radikalisiert. Es folgte die Flucht aus Deutschland in die Türkei, wo er Anfang des Jahres aufgespürt werden konnte. Trotz internationalem Haftbefehl verweigert die Türkei die Auslieferung von Attila Hildmann.
Das Stück „Ich, Akira“ möchte die Frage „Was passiert, wenn sich unsere Liebsten radikalisieren?“ aus Sicht eines aufrichtig besorgten Vierbeiners aushandeln.
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SALTO: Herr Schorn, nun habe ich gedacht, nachdem ich mich von meinem einen und einzigen Attila Hildmann Kochbuch getrennt habe und es bei einem Bookcrossing abgegeben habe, mit angemessenen Warnungen zur Person, dass ich mit dem Thema fertig wäre. Warum jetzt Attila Hildmann?
Peter Schorn: Das Stück ist ja relativ neu, das gibt es noch nicht so lange. Der einstige deutsche Star-Koch Attila Hildmann ist ein bisschen der Aufhänger, aber es ist nicht wichtig, dass man sich mit Attila Hildmann beschäftigt hat oder auskennt. Es geht um Radikalisierung und darum, wie es sich anfühlt, wenn Angehörige, nahe Verwandte oder Freunde massiv abgedriftet sind und wie man damit umgeht. Insbesondere, wenn es in der eigenen Familie ist und man so eine Loyalitätsverpflichtung empfindet. Da ist Akira, der Hund von Attila Hildmann, eine clevere Metapher dafür. Man kann oft nicht verstehen, dass das der gleiche Mensch ist, dass das ja ein intelligenter Mensch ist, den man geliebt hat, den man immer noch liebt. Aber da gibt es einen Teil, der bei einem bestimmten Grad der Radikalisierung nicht mehr nachzuvollziehen ist, fast ein bisschen so, wie wenn man jemanden an eine Sekte verliert. Das ist eine Erfahrung, glaube ich, die unabhängig von der Aktualität von Attila Hildmann ganz viele Menschen kennen und teilen.
„Aber da gibt es einen Teil, der bei einem bestimmten Grad der Radikalisierung nicht mehr nachzuvollziehen ist, fast ein bisschen so, wie wenn man jemanden an eine Sekte verliert.“
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Wie definieren Sie für sich Radikalisierung, was ist das? Ist das jeder Schritt weg von der Mitte oder braucht es da besondere Symptome, wie wenn jemand plötzlich auf Facebook Verschwörungstheorien teilt? Wann fängt die Radikalisierung an?
Was ist „radikal“? Ich bin kein Politikwissenschaftler, aber ich glaube, dass es schon ganz wichtig ist, auch jetzt in der aktuellen Diskussion, einen Unterschied zu machen zwischen Rechts oder Mitte-Rechts auf der einen und Rechtsextrem oder Ultrarechts auf der anderen Seite. Dazwischen liegt ein fundamentaler Unterschied. Da werden, denke ich, klare Linien überschritten. Radikalisierung bedeutet zum einen eine Entfernung von jeder evidenzbasierten Grundlage, dass da Fakten geleugnet werden und Theorien verbreitet werden, die nichts mehr mit in der Realität Überprüfbarem zu tun haben. Und zum anderen wird unser demokratischer Grundkonsens in Frage gestellt.
Gerade bei Attila Hildmann, da geht es um die Reichsbürgerszene, um die Verharmlosung von Nationalsozialismus, es gibt die Vergleiche von Merkel mit Hitler und von den Corona-Maßnahmen mit der Judenverfolgung. Da wird es dann wirklich gruselig – geschichtsvergessen, realitätsverleugnend und menschenrechtsverachtend. Und es werden Grenzen überschritten, die am Ende auch in reale Gewaltbereitschaft münden.
Sie sind auf der Bühne ein Hund, Attila Hildmanns Hund Akira. Wie kann man sich das vorstellen? Huskys sind zwar sehr beredete Tiere, aber ich denke mal für einen Theatermonolog wäre es doch recht experimentell. Wie sprechen Sie zum Publikum?
Das ist natürlich eine klassische Theaterbehauptung. Klar, ich bin ein Hund, aber ich muss jetzt nicht wie im Kindertheater in einem Ganzkörper-Hunde-Kostüm auftreten oder wie Rudi der Radiohund sprechen. Ich bewege mich auf zwei Beinen und spreche normal. Zwischendurch blitzen so ein paar Hundekörperlichkeiten oder Verhaltensweisen durch, die, wer Hunde hat oder gut kennt, gleich wahrnehmen kann. Das macht die Figur ein bisschen fremd, irgendwie nicht ganz menschlich und hat schon was von einem Hund.
Das Kostüm finde ich eine super Lösung: Ich habe einen überlangen Pullover, der aus mehreren Pullovern zusammengenäht wurde, alles in Husky-Farben. Dadurch, dass die Ärmel zu lang sind, verschwinden so ein bisschen die Hände in den Pullover und ich kann auch nicht so geschickt Sachen anfassen. Also das sind eine Reihe von Übersetzungen, die den Hund ein bisschen mittransportieren, ohne dass ich mich ausdrücklich draufsetzen muss im Spiel.
„Man muss da ganz klare Grenzen setzen, damit nicht die Intoleranten, die Feinde der offenen Gesellschaft, den Toleranten die demokratische Grundlage entziehen.“
Und wie ist es, gäbe es noch jemanden außer Attila Hildmann, dem Sie so einen Hund wünschen würden, der ihm ins Gewissen spricht? Sind das dann überhaupt noch Stimmen, die Gehör finden? Ist es so, dass man Menschen noch erreichen kann, wenn sie sich radikalisiert haben?
Das ist eben das große Problem. Da gibt es auch Bücher darüber: wie reden mit Rechtsextremen? Wie reden mit Menschen, die sich radikalisiert haben? Die nicht mehr zugänglich sind für faktenbasierte Argumentationen, die Wissenschaft leugnen, sei es in der Corona-Zeit, als auch beim Klimawandel zum Beispiel. Wie spricht man mit diesen Menschen, wie erreicht man sie noch? Das ist eine ganz schwierige Frage, auf die das Stück auch keine Antwort gibt. Es fragt: Wo setzt man das Ende, wo bricht man eine Beziehung ab und wo hält man die Tür offen? Aber auch: wo muss man eine klare Grenze ziehen und widersprechen. Das ist das klassische Problem der Toleranz gegenüber der Intoleranz. Ich glaube, dass es Popper war, der gesagt hat, es sei ganz wichtig, nicht endlos tolerant gegenüber der Intoleranz zu sein. Man muss da ganz klare Grenzen setzen, damit nicht die Intoleranten, die Feinde der offenen Gesellschaft, den Toleranten die demokratische Grundlage entziehen. Das ist zurzeit ein ganz wichtiger Punkt in unserer Gesellschaft und im Diskurs, denke ich.
In unserer Gesellschaft gibt es momentan einen Begriff, der wieder aufgetaucht ist. Ich möchte Sie fragen, wie Sie ihn interpretieren, ob er für Sie eine Bedeutung hat und wenn ja, welche? Ich spreche vom „Wählerwillen“. Wie kann man das interpretieren, wenn man sagt, es gibt die Tendenz in Europa, dass es immer weiter nach rechts geht. Wie rechtfertigt man da zu sagen: „Ich will da nicht mitmachen, ich protestiere mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln“?
Ich möchte da wieder die Unterscheidung zwischen Mitte-Rechts und Mitte-Links auf der einen Seite und rechts-extremen und auch links-extremen Kräften auf der anderen Seite vorausschicken. In einer Demokratie repräsentiert ja grundsätzlich jede funktionierende Mehrheit, die sich bilden lässt, den Wählerwillen. Von dem kann man ausgehen, weil es sonst ja keine Mehrheit wäre. Wenn sich also gemäßigtere Koalitionen ausgehen, ohne rechtsextreme oder linksextreme Kräfte einbinden zu müssen, dann sehe ich schon eine Verpflichtung, diese zu bevorzugen. Denn die extremen Kräfte an den Rändern verfolgen ja völlig andere Ziele, oft eben auch antidemokratische Ziele, so wie Orban in Ungarn, die haben überall in Europa eine illiberale Demokratie auf der Agenda und steuern – oft unter einer scheinbar zahmen Oberfläche – ganz gezielt dorthin.
Wie reagieren darauf?
Wenn Arno Kompatscher jetzt also beispielsweise sagt, in Zeiten der Instabilität sollten wir ein verändertes Wahlverhalten respektieren und nicht abwerten, dann würde ich sagen: ja, wir sollten alles daransetzen, die Wählerinnen und Wähler populistischer Parteien wieder ins Boot zu holen, nicht aber die populistischen Parteien selbst. Das ist für mich ein wichtiger Unterschied. Denn rechtspopulistische Parteien ködern die Menschen ja mit falschen Versprechungen und Desinformation, wie zum Beispiel: „Wir müssen nichts ändern, denn es gibt keinen menschengemachten Klimawandel, das ist nur linksgrüne Hysterie“. Oder mit dem Schüren xenophober und rassistischer Ressentiments, mit dem Festhalten an einem gestrigen Weltbild und der Ablehnung von Veränderung. Damit wird aber nur eine Illusion von Stabilität vorgegaukelt. In Wirklichkeit löst diese Regression keine Probleme, sondern verschärft sie nur massiv. Anstatt also diese Desinformation und Propaganda zu normalisieren und zu relativieren, indem man ihre Vertreter in die Regierung holt, sollte sich eine verantwortungsvolle Politik von diesen Parteien klar distanzieren und abgrenzen. Wohlgemerkt: von den Parteien, die die Desinformation verbreiten, nicht von den Wählerinnen und Wählen, die ihr aufsitzen.
„Wenn nun oft unterstellt wird, die Proteste seien irgendwie antidemokratisch, weil sie den Wählerwillen nicht respektieren würden, dann komme ich immer wieder gerne darauf zurück, dass man sich ja nicht für bestimmte Konstellationen oder parteipolitisch einsetzt, sondern wirklich für die großen sachpolitischen Inhalte und Themen.“
Wie geht es jetzt weiter? Sie haben davor das „Ende setzen“ angesprochen, irgendwann muss man Beziehungen auch abreißen lassen. Wie ist es mit Ihrem persönlichen Engagement, wenn jetzt der Koalitionsvertrag unterschrieben wird, würden Sie danach noch auf die Straße gehen?
Also, unabhängig davon, welche Form man wählt, um der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen oder Ausdruck zu verleihen, ob es die Straße ist, ob es künstlerische Projekte sind, ob es Gespräche sind in der Familie und im Verwandtenkreis – ich glaube, es hört nie auf, wichtig zu sein, dass wir wachsam sind, dass wir die Demokratie verteidigen und auch ganz genau einer Regierung auf die Finger schauen. Wie sieht ein Programm dann konkret aus und ist es vielleicht gut geschrieben, aber wird dann nicht umgesetzt und so weiter. Ich glaube, wir sind alle in der Verantwortung, uns politisch einzubringen und nicht wegzuschauen. Wenn nun oft unterstellt wird, die Proteste seien irgendwie antidemokratisch, weil sie den Wählerwillen nicht respektieren würden, dann komme ich immer wieder gerne darauf zurück, dass man sich ja nicht für bestimmte Konstellationen oder parteipolitisch einsetzt, sondern wirklich für die großen sachpolitischen Inhalte und Themen. Wir sind in einer ganz entscheidenden Zeit, das darf man nie aus dem Blick verlieren. Es geht jetzt darum, Klimaschutz, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen und sich ganz stark für eine gerechtere und eben zukunftsfähige Gesellschaft einzusetzen. Wenn manche sagen: „Naja, die sind ja Antikapitalisten, die uns den Wohlstand nehmen wollen, diese linksversifften Grünen!“…
Ich finde es auch einfach nicht realistisch, den Menschen jetzt verkaufen zu wollen, man könne mit ultrarechten und populistischen Kräften, die die Klimakrise leugnen, die einfach keine diverse Gesellschaft wollen und vielfach nicht auf Minderheiten achten, sondern in der Vergangenheit klar gezeigt haben, was sie dazu denken, als könnte man mit denen gemeinsam regieren, ohne überhaupt Zugeständnisse zu machen und sich auf ganzer Linie durchsetzen und nur die Gewinne mit nach Hause bringen, ohne dass man etwas abtreten muss und es einen Schaden in der Gesellschaft geben wird… Das finde ich nicht realistisch und auch nicht ganz ehrlich.
„Wenn man zu tief drinsteckt, kann man gar nicht darüber lachen, dann findet man den Humor gar nicht.“
Humor ist zur Hälfte Timing. Wenn Sie das Stück nächsten Monat spielen, dann haben wir vielleicht schon eine neue Regierung. Könnte es da sein, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt bei dem Stück, oder ist es doch so absurd, dass es die Realität nur mit etwas Distanz wiedergibt? Und ist das dann der Raum, in dem Humor wirken kann?
Wie schon Loriot gesagt hat: „Komik entsteht immer nur aus dem Ernst und der Distanz.“ Wenn man zu tief drinsteckt, kann man gar nicht darüber lachen, dann findet man den Humor gar nicht. Und vielleicht ist das auch eine Funktion des Humors, dass man einen Schritt zurück machen kann und von ein bisschen weiter weg auf etwas blicken kann. Gleichzeitig nimmt man das Thema dadurch aber auch ernst und verharmlost es nicht. Ich glaube, das sind vielleicht auch zwei verschiedene Arten von Humor: Das hier ist kein Humor, der sich über irgendwas auf eine triviale Art lustig macht, sondern es ist ein Humor, der schon auch einen Finger in die Wunde legt.
Letzte Frage, wie halten Sie es mit dem veganen Kochen?
Ich finde es ein bisschen aufwendiger, vegan. In unserem Haushalt sind wir ziemlich vegetarisch, Fleisch kaufen wir eigentlich kaum zum Kochen. Aber so ganz ohne Eier und Milchprodukte haben wir es noch nicht geschafft. Wir legen viel Wert drauf, dass die Eier wirklich von einem Hof kommen, wo die Hühner es gut haben. Also auch wenn wir es nicht zu 100% geschafft haben, denke ich, es gibt schon viele Möglichkeiten, auf tierische Produkte zu verzichten. Ich denke da zum Beispiel daran, als wir mal durch Thailand gereist sind, und wirklich überall extrem gut gegessen haben und erst später gemerkt, dass das eigentlich alles vegan war.
TermineDie nächste Demonstration von „No Excuses“ findet am Samstag den 23. Dezember statt, mit Start ab 14 Uhr beim Museion.
Neben der bereits ausverkauften Premiere am 13. Januar wird „Ich, Akira“ in der Brixner Dekadenz am 19., 20., 24. ,26., 27. und 28. Januar, sowie am 1. und 2. Februar mit Beginn jeweils um 20 Uhr gezeigt. Für die beiden Sonntagsvorstellungen am 21. und 28. Januar gilt Vorstellungsbeginn um 18 Uhr. Nach der Aufführung am 21. Jänner ist auch ein Nachgespräch mit Expertinnen zu Radikalisierung und Exitstrategien geplant.