„Da geht mehr in Südtirol“

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SALTO: Herr Kirchler, wie steht es um den Frauenfußball in Südtirol?
Heini Kirchler: Das Interesse der Mädchen am Fußball wird immer größer. Derzeit findet ja die Frauen-Europameisterschaft statt. Das gibt dem Sport möglicherweise mehr Visibilität und steigert das Interesse weiter. Ich bin aber der Meinung, da geht mehr in Südtirol. Im Vergleich zu Ländern wie den USA, Deutschland oder Frankreich sind wir aber noch hinten. Dort ist Frauenfußball viel mehr in der Gesellschaft verankert und wird stärker verfolgt. Bei uns macht der FC Südtirol einen guten Job. Aufgrund seiner Bekanntheit gelingt es ihm immer wieder, Spielerinnen zu locken und somit eine tolle Mannschaft zu erhalten. Außerdem ist auch der SSV Brixen eine tolle Adresse für Spielerinnen, zumal der Verein im Damensektor schon immer gut war. Mittlerweile gibt es auch im Vinschgau und im Pustertal Mannschaften. Es tut sich etwas, in meinen Augen aber noch nicht genug. Was auffällt, ist, dass bei den ganz jungen Bubenmannschaften immer wieder Mädchen mitspielen. Ab einem gewissen Alter hören diese aber auf, da es keine Mädchenmannschaft gibt oder der Weg zum nächsten Team zu weit ist. Das ist schade.
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Zur Person
Heini Kirchler, Jahrgang 1962, stammt aus Sterzing. In seiner langen Tätigkeit als Fußballtrainer hat er bereits zahlreiche Stationen hinter sich. Dabei trainierte er unter anderem die Buben-C-Jugend des FC Südtirol sowie die Damen-Serie-C-Mannschaft in Sterzing. Zudem war er eine Zeit lang Trainer an der Sportschule in Sterzing. Aktuell leitet er die U15-Mädchenmannschaft seiner Heimatstadt. Nachdem der Frauenfußball in der Fuggerstadt aufgrund mangelnder Spielerinnen komplett aufgelöst wurde, will Kirchler diesen wieder aufbauen.
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Sie sagen, das Interesse an Frauenfußball steige. Seit wann sehen Sie diesen Anstieg?
Hauptsächlich letzthin merke ich, dass immer mehr Mädchen den Fußballplatz aufsuchen. Seit wir hier in Sterzing ein wenig Werbung für femininen Fußball gemacht haben, melden sich kontinuierlich Interessenten. Von einem Zuseher, der während eines Trainings anwesend war, habe ich einmal gehört, dass er seinen Augen nicht trauen konnte: So viele Mädchen waren hier auf dem Platz. Was ich außerdem beobachte, ist, dass auch das ein oder andere Talent dabei ist. Diese Spielerinnen müssen natürlich dementsprechend gefördert werden. Schade ist, dass der Sport immer etwas belächelt wird – das ist diskriminierend. Natürlich sind Frauen körperlich nicht so stark wie die Männer. Aber was Lernfähigkeit, Biss und Willen angeht, stehen sie den Herren nicht nach. Eher im Gegenteil. Sie sind aufmerksam, hören, was der Trainer sagt, und versuchen es umzusetzen. Und wenn sich eine verletzt, werden die Zähne zusammengebissen und weitergespielt.
„Sie ist auch der Grund, warum ich mich so für Frauenfußball einsetze: Damit andere Mädchen die Möglichkeit erhalten, die meine Schwester nie bekam.“
Was braucht der Frauenfußball in Südtirol?
Nun, das Interesse könnte natürlich noch größer sein – vor allem auch was die Zuschauer betrifft. Zudem müssten auch die Vereine selbst Damenfußball mehr fördern und unterstützen. Ich bin überzeugt, dass es noch viel mehr Mädchen und Frauen gebe, die Fußball spielen, wenn die Vereine das entsprechende Angebot zur Verfügung stellen. Außerdem könnten auch die Schulen Sensibilisierungsarbeit leisten. Das ganze System Damenfußball steckt in Südtirol noch ein bisschen in den Kinderschuhen. Es bräuchte ein paar Initiatoren, die sich für den Frauenfußball einsetzen und diesen im Land fördern wollen. Sodass es eines Tages in jedem größeren Ort eine Mannschaft gibt.
Und Sie gehen in Sterzing als gutes Vorbild voran…
In Sterzing gab es bereits etablierten Damenfußball. Damals spielte die Mannschaft in der Serie C. Aufgrund verschiedener Gegebenheiten kam jedoch kein Team mehr zustande und das Projekt wurde aufgelöst. Vor vier Jahren haben wir uns entschlossen, den Frauenfußball wieder aufzubauen, mit einem Fokus auf das Jugendangebot. Mittlerweile sind wir wieder soweit, dass wir letzte Saison eine Damen-Oberliga-Truppe zusammen hatten. Für die kommende Spielzeit müssen wir erst schauen. Vielleicht kommt auch eine Zusammenarbeit mit einem anderen Verein zustande. Aber wie gesagt: Das Interesse ist vorhanden, das sehe ich bei meinen Mädels – die sogar Freundinnen aus umliegenden Dörfern zum Reinschnuppern mitbringen. Was fehlt, ist leider oft das Angebot. Zudem ist auch die Konkurrenz sehr groß. Heute gibt es so viele Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche, dass diese sich kaum entscheiden können. Ich habe auch einige Mädels in meinem Team, die zum Beispiel die Musikschule besuchen und deshalb auch mal ein Training sausen lassen müssen. Das ist heute nun mal so.
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Frauenfußball in Zahlen
In der Saison 2024/2025 spielten in Südtirol 282 Frauen über 16 Jahre und 433 Mädchen bis 16 Jahre Fußball in einem Verein. In der nationalen Serie C spielte lediglich die erste Mannschaft des FC Südtirol, in der regionalen Oberliga spielten neun Mannschaften. Zudem spielte die Jugendmannschaft des FC Südtirol in der nationalen Liga der Junioren, 2 Mannschaften in der nationalen U17-Meisterschaft und 11 Mannschaften in der provinziellen U15-Meisterschaft. Nicht zuletzt nahmen 10 Mannschaften an U10- und U12-Turnieren teil.
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Bei all dem Angebot: Warum sollten Mädchen Fußball spielen?
Fußball ist eine Teamsportart. Das bedeutet, man lernt Tugenden wie Teamfähigkeit, Zusammenhalt, Pünktlichkeit oder Disziplin – allesamt Fähigkeiten, die auch im Leben von Vorteil sind. Weiters schließt man beim Fußball Freundschaften und hat Spaß an der frischen Luft.
Was wünschen Sie sich für den Frauenfußball in Südtirol?
Dass das Interesse weiter steigt – sowohl bei den Zuschauern als auch bei den potenziellen Spielerinnen. Damit einher geht auch die Unterstützung zu Hause von den Eltern. Es ist wichtig, dass der Fußball auch daheim unterstützt wird. Außerdem wäre es wichtig, dass Talente gefördert werden, damit sie nicht nach einigen Jahren die Schuhe an den Nagel hängen, sondern dranbleiben. Meine Schwester war als Kind und Anfang der Jugend eine begnadete Fußballerin, alle Jungs wollten, dass sie mit ihnen spielt. Als sie 11 oder 12 Jahre alt war, hat unsere Mutter dann aber beschlossen, dass jetzt Schluss ist mit Fußball. Zu dieser Zeit gab es für Mädchen auch nicht diese Möglichkeiten. Mit 15 Jahren ist sie dann leider bei einem Verkehrsunfall verstorben. Wäre sie richtig gefördert worden, hätte sie es sicherlich weit gebracht. Sie ist auch der Grund, warum ich mich so für Frauenfußball einsetze: Damit andere Mädchen die Möglichkeit erhalten, die meine Schwester nie bekam.
„Der Ball ist rund und die Italienerinnen nehmen durch den Einzug ins Halbfinale viel Euphorie mit.“
Aktuell findet die Fraueneuropameisterschaft statt. Italien steht im Halbfinale und spielt heute Abend gegen England. Wie bewerten Sie die italienische Mannschaft?
Die Italienerinnen sind spielerisch gesehen gleichauf mit den anderen verbleibenden Mannschaften. Meiner Meinung nach müssen sie aber etwas wacher, aufmerksamer, konsequenter und näher am Gegner sein. Außerdem müssen sie ihre Chancen besser nutzen. Sie brauchen viel zu viele Chancen, um ein Tor zu schießen – sie sollten etwas offensiver auftreten. Die italienische Nationalmannschaft hat gute Spielerinnen. Auch drei Südtirolerinnen sind im Kader, das zeigt, dass Südtirol durchaus talentierte Fußballerinnen hervorbringt. Das ist gut so. Die Engländerinnen sind physisch sehr stark. Sie werden sicher ihre körperliche Überlegenheit und internationale Erfahrung als amtierender Europameister ausnutzen und sind daher leicht zu favorisieren. Aber der Ball ist rund und die Italienerinnen nehmen durch den Einzug ins Halbfinale viel Euphorie mit. Mit etwas Glück und Cleverness können sie es schaffen, jedenfalls drücke ich ihnen fest die Daumen. Ein Sieg würde das Interesse am Damenfußball in Italien noch mehr steigern. Als letztendliche Favoritinnen sehe ich aber Spanien.
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