Umwelt | Salto-Gespräch

Im Supermarkt die Welt retten?

Kathrin Hartmann schreibt über die Grünen Lügen der Nahrungsmittelindustrie. Im Interview erzählt sie von Palmölfeldern und warum richtig Konsumieren nicht die Lösung ist
K_Hartmann
Foto: @ Stephanie Füssenich
Kathrin Hartmann ist freie Journalistin und Sachbuchautorin. Seit März 2018 ist sie unterwegs, um den Dokumentar-Film "The Green Lie", den sie gemeinsam mit dem österreichischen Regisseur Werner Boote gestaltet hat, zu zeigen und das Buch zum Film "Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell" (2018) zu präsentieren – dafür war sie letzte Woche auch in der Urania Meran zu Gast.
 
Salto.bz: Biolabels im Supermarkt, nachhaltiges Palmöl, Recyclingmaterialen bei H&M, C02-Kompensationen fürs Fliegen - alles nur Tricks, damit wir mit gutem Gewissen weiter konsumieren?
Kathrin Hartmann: Die letzteren Dinge schon. Beim Bio-Siegel steckt hingegen schon eine ganz andere Landwirtschaft mit verbindlichen Standards dahinter. Obwohl es natürlich Unterschiede gibt zwischen lokaler ökologischer Landwirtschaft und Bio im Supermarkt, wo es auch Fertigprodukte mit Palmöl und und Shrimps aus Bangladesh mit Biosiegel gibt – das finde ich fragwürdig. Nachhaltiges Palmöl, H&M-Recycling und C02-Kompensationen aber sind ganz klassisches Green-Washing.
 
Sie sind für den Film „The Green Lie“ und das dazugehörige Buch „Die grüne Lüge“ um die Welt gefahren, um sich die Situation vor Ort anzusehen. Mit dem Thema Green-Washing beschäftigen Sie sich ja schon länger. Haben Sie manche Dinge trotzdem noch überrascht?
Ja, auf jeden Fall. Zum Beispiel beim Palmöl: Ich wusste vorher, dass Regenwald abgeholzt wird, indigene Menschen vertrieben werden, dass die Arbeitsbedingungen katastrophal sind. Aber das wirklich zu sehen, haut einen einfach um:
Erstens sind die Dimensionen überwältigend – Sie können tagelang fahren, und links und rechts sehen Sie nur die Monokultur der Ölpalmen-Monokulturen. Zweitens lernt man die Betroffenen persönlich kennen, das bringt einem ihr Schicksal noch näher.
Das Siegel für nachhaltiges Palmöl nutzt gar nichts. Unter einem grünen Mäntelchen geht das Business weiter wie bisher.
Ich habe ganz deutlich gesehen, dass sich „sozial“ und „ökologisch“ nicht trennen lassen. Bei uns wird es ja oft so dargestellt: Naturschutz ist schon ganz nett, Arbeitsplätze soll man aber auch nicht gefährden. Aber die Ausbeutung von Mensch und Natur gehört zusammen.
 
Gibt es denn einen Unterschied zwischen Palmöl mit und ohne Nachhaltigkeitssiegel?
Nein. Monokulturen sind grundsätzlich schädlich. In Indonesien ist eine Fläche fast fünfmal so groß wie die Schweiz, nur mit Ölpalmen bebaut. Und die schnelle Ausbreitung der Anbaufläche führt zum Konflikt mit Bauern und Indigenen, die dort bisher per Gewohnheitsrecht lebten.
Ich war mit Graswurzelaktivisten unterwegs, um zu sehen, was abseits der Propaganda hinter dem Nachhaltigkeitssiegel RSPO (Runder Tisch zur Nachhaltigen Produktion von Palmöl – Siegel von Produzenten, initiiert von WWF und Unilever) steckt.
In Nord-Sumatra schmuggelte mich ein Aktivist in eine Plantage, die in diesem Moment für das RSPO-Siegel zertifiziert wurde. Am Haupteingang gab es Blumenbeete, Picknickplätze und Infotafeln zur ökologischen Schädlingsbekämpfung. Als wir die Plantagen immer weiter entlang fuhren, hingegen: Frauen mit Giftkanistern am Rücken, 10jährige Kinder, die  Macheten herumschleppten. Und Arbeiterbarracken, für die das Wort Slums geschönt wäre. Dort eine Gewerkschaft zu gründen, ist sehr schwer. Und so ein Betrieb bekommt ein Zertifikat!
Es nutzt gar nichts, unter einem grünen Mäntelchen geht das Business weiter wie bisher.
 
Aber die Regierungen wollen Palmöl exportieren, weil es Geld ins Land bringt – es profitieren doch auch manche davon.
Ja, klar. Die Ober- und Mittelschichten. Viele Regierungsmitglieder haben mehr oder weniger direkte Verbindungen zum Palmölgeschäft. Diese Leute wollen sich am liebsten gar nichts sagen lassen von NGOs. Das Geld, das der Export bringt, wird nicht verteilt. Es ist ein einfaches Geschäft, denn der Regenwald ist schnell niedergebrannt oder abgeholzt, die Menschen werden mit Gewalt vertrieben und dann gibt es genug Arme, die sich als Arbeiter ausbeuten lassen.
 
Müsste man mehr fürs Palmöl bezahlen, damit es ökologischer und sozialer hergestellt werden kann?
Der Preis ist so niedrig, weil sich unter diesen Bedingungen die Produktion so schnell ausgebreitet hat. Und wenn es Gewerkschaften gelänge, sich durchzusetzen und die Landrechte der Indigenen anerkannt würden, dann würde das System nicht mehr so funktionieren und das Öl würde teurer werden.
Diese Veränderung muss aber von unten passieren – ein höherer Preis wird nicht von oben verordnet werden. Aber die Regierung will so eine Veränderung natürlich verhindern – auch mit Hilfe des Militärs.
 
Nun sind bei Konzernen wie Unilever und Nestlé viele skeptisch, was grüne Strategien angeht. Aber was ist mit kleineren Firmen, findet man hier ein echtes Interesse an Nachhaltigkeit?
Kleine und lokale Unternehmen stehen unter einer ganz anderen gesellschaftlichen Kontrolle, sie müssen meist auch keine Aktionäre befriedigen. Großkonzerne haben Macht: Auf dem Markt bestimmen sie Preise, in Institutionen sind sie durch Lobbyisten vertreten, die die Politik beeinflussen – so war Unilever in Gremien zur Ausverhandlung der UN-Entwicklungsziele dabei, da haben die echt nichts verloren, die UN sollte uns vor diesen Leuten ja schützen! Sowas zeigt die Macht dieser Unternehmen.
Diese Machtkonzentration muss gebrochen werden. Ein Instrument dafür wäre das UN-Treaty – ein verbindliches Menschenrechtsabkommen für transnationale Konzerne und andere Unternehmen.
 
Was ist das für ein Abkommen?
Dieses Abkommen würde es Unternehmen rechtlich bindend vorschreiben, die Menschenrechte einzuhalten, das ist im Moment ja gar nicht der Fall. Auf UN-Ebene wird das gerade diskutiert. In der Schweiz gibt es dazu die Volksabstimmung „Konzernintiative“. Dieses Abkommen würde so manches verbessern.
Niemand geht in ein Geschäft und will ein Kleid oder Kaffee, die unter Ausbeutung und mit Kinderarbeit hergestellt wurden.
Menschenrechte zu verletzen, ist im Moment nicht illegal?
Theoretisch ja, praktisch nein: In Freihandelsabkommen stehen Menschenrechte nett in der Präambel. Aber rechtlich bindend ist, dass Firmen ihre Profite bekommen, und auf dieser Basis verklagen sie Staaten, die Umweltbestimmungen und das Arbeitsrecht verschärfen – das ist verrückt. Durch dieses UN-Abkommen könnten Betroffene Konzerne direkt verklagen. Das ist heute nicht möglich. Vor dem Menschenrechtsgerichtshof kann man nur Personen und Staaten verklagen, keine Unternehmen.
 
Wobei die Unternehmen sagen würden, dass sie nicht schuld daran sind. Dass Kohlestrom die Erderwärmung beschleunigt und dass für Palmöl der Urwald gerodet wird, weiß man ja. Trifft nicht auch die Menschen Verantwortung, die diese Dinge kaufen?
Politik und Unternehmen wälzen die Verantwortung gerne auf die Verbraucher ab. Aber niemand geht in ein Geschäft und will ein Kleid oder Kaffee, die unter Ausbeutung und mit Kinderarbeit hergestellt wurden. Es ist doch wahnsinnig zynisch zu sagen, man müsste sich als Verbraucher dafür oder dagegen entscheiden - und bei vielen Dingen gibt es die Wahl gar nicht, denken Sie an elektronische Geräte.
Die Verbraucher verantwortlich zu machen, ist eine Bankrotterklärung der Politik, die eigentlich sicherstellen müsste, dass ich mir keine Gedanken über die Herstellung aller Produkte machen muss. Statt „Was soll ich kaufen“ möchte ich fragen: Wie kann es sein, dass ein Großteil der Dinge unter Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen produziert wird?
Ich weiß, es macht keinen Unterschied, ob ich persönlich keine Unilever-Tütensuppen kaufe. Ich tue es einfach nicht, weil ich es ekelhaft finde.
Sie machen bekannt, dass hinter den grünen Versprechen wenig und nichts steckt. Befürchten Sie nicht, dass die Leute irgendwann aufgeben, weil „eh alles dasselbe ist“ und dann am Ende ihr Verhalten nicht ändern, weil es sowieso keinen Unterschied macht?
Mir ist es wichtig, das falsche Gute zu entlarven. Wenn wir uns einlullen lassen und der Industrie alles glauben, ändert sich sicher nichts. Außerdem: Solche Entscheidungen trifft man ja nicht aus einem Kosten-Nutzen-Prinzip. Ich esse zum Beispiel seit fast 30 Jahren kein Fleisch mehr. Mir ist klar, dass das global nichts ändern wird. Ich weiß auch, es macht keinen Unterschied, ob ich persönlich keine Unilever-Tütensuppen kaufe. Ich tue es einfach nicht, weil ich es ekelhaft finde.
Aber es muss uns klar sein: Man kann im Supermarkt nicht die Welt retten. Es wird unter Garantie nicht passieren, dass ein kritische Masse „schlechte“ Produkte boykottiert. Diese falsche Hoffnung führt tatsächlich zu Resignation. Firmen wie Unilever machen ja sowieso schon ein Drittel ihres Umsatzes in sogenannten Schwellenländern.
Den großen Protest gegen Glyphosat hätte es vor 10 Jahren vielleicht so nicht gegeben.
Aber gibt es diese kritische Masse in der Politik? Im Moment hat man ja nicht diesen Eindruck.
Nein, aber der Protest von unten wächst. Es gibt starke Kleinbauernbewegungen im Süden, die Land besetzen. Ich habe bei meinen Recherchen auch tolle Leute kennengelernt, Feri Irawan, einen indonesischen Aktivisten, der mit seinem  Dorf den Wald zurückerkämpft hat, den eine Palmölfirma illegal abgeholzt hat. Andere setzen sich für Gewerkschaften ein. Und auch bei uns ändert sich was. Es gibt eine Bewegung für eine gute Landwirtschaft, die solidarischen Landwirtschaften werden mehr. Den großen Protest gegen Glyphosat hätte es vor 10 Jahren vielleicht so nicht gegeben.
 
In der Parteipolitik scheint die Umwelt aber gerade keine große Rolle zu spielen.
Parteipolitik ist immer damit beschäftigt, den Status quo aufrecht zu erhalten. Und was soziale Bewegungen angeht: Da müssen nicht alle auf die Straße – eine kritische Masse reicht. Und die Leute gehen durchaus auf die Straße - zum Beispiel gegen TTIP.
Gerade deshalb ist es so wichtig, von dieser Idee vom „richtig Konsumieren“ wegzukommen. Denn auf diese Idee zielt Green-Washing ab: Es vermittelt uns ein Schuldgefühl und Machtlosigkeit, das nur dadurch verringert wird, dass wir eben ein bestimmtes Produkt kaufen.
 
In den großen Konzernen arbeiten aber auch durchaus engagierte Leute – sie hoffen, dort etwas ausrichten zu können.
Ja, auch dafür ist Green-Washing gut. Denn wer will schon in einem Unternehmen arbeiten, dass im Ruf steht, mit Milchpulver Babys umzubringen? Aber ausrichten tut man dort nichts.
 
Wie kann Veränderung sonst passieren? Man weiß ja gar nicht wo anfangen, bei all den Schwierigkeiten.
Eigentlich ist es einfach. Man kann bei der Frage ansetzen: Wo sitzen die, die verhindern, dass sich was verändert. In der Landwirtschaft zum Beispiel ist es offensichtlich, dass sich etwas ändern muss. Laut Landwirtschaftsministerium könnte sich Deutschland zu 93% mit Lebensmitteln selbst versorgen. Im Moment ist es aber der drittgrößte Lebensmittelimporteur der Welt nach USA und China! Zwei Drittel der Fläche gehen nämlich für die Produktion von Fleisch für den Export drauf - für Futter und Weidefläche.  Es ginge auch anders – früher war es anders.
Deutschland könnte sich zu 93% mit Lebensmitteln selbst versorgen... Es ginge auch anders – früher war es anders.
Und die Leute wollen das auch, es gibt gesellschaftlichen Rückhalt für Flüsse ohne Nitrat, Felder ohne Glyphosat. Es gab Demos gegen die Fusion von Bayer und Monsanto.
Blockiert wird die Entwicklung von denen, die damit sehr sehr viel Geld verdienen. Sie machen aus billigen Stoffen wie Palmöl Schrottlebensmittel,  aus Zucker, Stärke und Fett, die ungesund und teuer sind – für die Produzenten aber reine Gelddruckmaschinen. Es wäre vieles machbar...
 
Die Politik könnte also mutiger sein?
Ja, eine andere Form der Landwirtschaft, der Mobilität und der Energieversorgung ist erwünscht und kann funktionieren. Aber dafür müssen Machtkonstellationen gebrochen werden. Wir müssen uns emanzipieren, und zwar gemeinsam.