Wirtschaft | Sennereien

Milch aus Irgendwo?

Das Siegel „Milch aus Südtirol“ ist eine Augenauswischerei. Südtirols Milchhöfe kaufen Tankmilch zu und es gibt keine echte Analyse, was wirklich in die Packung kommt.
Milch
Foto: Othmar Seehauser
Ein Bauer lässt sich nicht gern in den Stall schauen.
Noch deutlicher wird das bei den Sennereingenossenschaften. „Ich sage es nur ungern, aber das erinnert mich an das Wort Omertá“, meint Andreas Leiter-Reber. Der freiheitliche Landtagsabgeordnete, selbst Obst- und Weinbauer, beschäftigt sich mit dem Thema Südtiroler Milch seit Jahren. Leiter meint heute ernüchtert: „Ich bin hier auf eine Mauer des Schweigens gestoßen“.
Verständlich werden diese Aussagen, wenn man sich den Eiertanz anschaut, den der Südtiroler Sennereiverband aufführt, wenn es um eine einfache und durchaus berechtigte Frage geht. Seit über zwei Jahren versucht Andreas Leiter-Reber offiziell zu erfahren, wieviel Südtirols Milchhöfe an Milch von auswärts zukaufen. Doch genau das soll die Öffentlichkeit anscheinend nicht erfahren.
 

Keine Daten

 
Ende Juli 2020 stellt Andreas Leiter Reber eine detaillierte Anfrage im Landtag. Der freiheitliche Obmann will wissen, wieviel Kilogramm Milch die einzelnen Milchhöfe in Südtirol in den vergangenen fünf Jahren aus anderen italienischen Regionen oder autonomen Provinzen bezogen haben. Ebenso fragt Leiter Reber nach den Zukäufen aus dem Ausland und nach einer Aufschlüsselung nach Herkunftsländern.
 
 
Anfang September 2020 antwortet Arnold Schuler. Es ist eine atemberaubende Antwort. Der Landwirtschaftslandesart schreibt: "Zu den Fragen 1 bis 3 liegen der Landesverwaltung keine Daten bzw. Informationen vor. Da die Sennereigenossenschaften rein private Unternehmen sind, besteht für diese auch keine Pflicht, betriebsinterne Informationen und Daten an die öffentliche Verwaltung bzw. an die Legislative zu liefern.“
Andreas Leiter-Reber traut seinen Augen nicht. Der blaue Politiker lässt aber nicht locker. Ende März 2021 reicht er eine weitere Anfrage zu den Milchzukäufen ein. Diesmal will es der Freiheitliche genau wissen. Seine Frage:   
 
„Hat die Landesregierung anlässlich der Anfrage 1058/2020 bei den Milchhöfen oder anderweitig (z.B. Sennereiverband) schriftlich um die Lieferung der Daten angefragt, und daraufhin eine ablehnende Antwort mit den vorstehend gemachten Begründungen bekommen, oder ist eine solche Anfrage nicht gemacht worden? Wenn ja, bitte um Aushändigung der Begründung.“
 
 
Arnold Schulers Antwort: Man habe beim Sennereiverband um die Lieferung der Daten angefragt und diese nur zum Teil erhalten, auch weil diese zum Teil nicht verfügbar gewesen seien. Zusätzlich wurde vom Sennereiverband eine grundsätzliche Begründung geliefert:

 
„Uns ist keine Norm bekannt, welche ein rein privates Unternehmen (wie die Sennereigenossenschaften oder den Sennereiverband) verpflichten würde, betriebsinterne Informationen und Daten an die öffentliche Verwaltung bzw. an die Legislative zu liefern. Der öffentlich-rechtliche Charakter von Landtagsanfragen kann und darf sich unserer Ansicht nach nur auf öffentlich relevante Themen bzw. von der öffentlichen Hand verantwortete Bereiche beziehen (z.B. Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung, Tätigkeit der Landesregierung, Zahlungen an Private) usw.). Dies ist bei gegenständlicher Anfrage unserer Ansicht nach nicht gegeben. Entsprechend besteht unserer Auffassung nach auch keine Verpflichtung für den Sennereiverband, die angefragten Informationen/Daten zur Verfügung zu stellen. Sollte es bei der Anfrage um Beiträge/Zahlungen/Förderungen seitens der Provinz gehen, so empfiehlt sich eine Rücksprache mit dem zuständigen Amt samt Bitte zur Angabe der normativen Grundlage der Anfrage.“
 

Ausland ja, Inland nein.

 
Noch absurder aber wird die ganze Geschichte, wenn man weiß, dass diesmal der Sennereiverband wenigstens einen kleinen Teil der angefragten Daten liefert.
Denn Leiter Reber hat in seiner zweiten Landtagsanfrage auch nachgefragt, ob die Landesregierung darüber in Kenntnis sei, dass Daten hinsichtlich der aus dem Ausland gelieferten Milch in der Vergangenheit seitens der Landesregierung mitgeteilt wurden. Als Beispiel legt er eine Landtagsanfrage von 2017 bei.
Der Landesregierung ist bekannt, dass Daten hinsichtlich der aus dem Ausland gelieferten Milch in der Vergangenheit bekannt gegeben worden sind“, antwortet diesmal Arnold Schuler. Und weiter:
 
 
„Die Landesregierung kann nun mitteilen, dass die Milchhöfe Brimi, Sterzing und Burgeis im Milchwirtschaftsjahr 2018/2019 insgesamt 20.578.802 kg Milch und im Milchwirtschaftsjahr 2019/2020 insgesamt 18.634.578 kg Milch aus Deutschland und Österreich bezogen haben.“
 
 
Es geht also anscheinend doch.
Die große Frage bleibt aber: Warum rückt der Sennereiverband mit den Zahlen über die Milchzukäufe aus dem Ausland heraus, hütet jene aus dem Inland aber wie ein Staatsgeheimnis?
Auch darauf gibt es eine ebenso klare wie verstörende Antwort.
 

Die Zukäufe

 
In Wirklichkeit kennt man die Zahlen und Daten im Südtiroler Sennereiverband bestens. Wobei man sagen muss, dass auch hier die Situation von Milchhof zu Milchhof verschieden ist.
Der Südtiroler Milchriese „Milkon“, inzwischen zu Bergmilch umbenannt, hat jährlich rund 20 bis 25 Millionen Kilo an Überschussmilch. Also Südtiroler Milch, die er nicht verarbeiten kann und die man als Tankmilch nach Italien oder ins Ausland verkauft. Bergmilch kauft vor allem Rahm für seine Mascarpone-Produktion zu.
Eine völlig andere Situation aber zeigt sich bei den anderen, durchaus gutgehenden Südtiroler Milchhöfen. So kaufen vor allem der Sterzinger Milchhof, die Brixner Brimi und der Meraner Milchhof ordentlich zu.
Hier werden hunderte Tanklaster an Milch jährlich aus Nord-, aber auch aus Süditalien zugeliefert. In welchem Ausmaß sich diese Zukäufe inzwischen bewegen, zeigt sich an der Brixner Brimi: Südtiroler Bauern liefern in Brixen jährlich rund 100 Millionen Kilo Milch an. Die Brimi kauft aber - vor allem für die Mozzarella-Produktion - weitere 35 Millionen Kilo Milch aus Italien dazu. Auch beim Meraner Milchhof und beim Sterzinger Milchhof belaufen sich die Zukäufe - nach Auskunft eines Insiders - bei rund einem Drittel der Gesamtverarbeitungsmenge.
 
 
Wie elastisch dabei die Bestimmungen sind, zeigt sich am Milchhof Sterzing. Seit 2013 ist dort auch die Milchgenossenschaft Wipptal-Stubai Mitglied. Es handelt sich um 208 Nordtiroler Bauern, die im Jahr 2019 insgesamt 14.194.984 Kilo Milch nach Sterzing geliefert haben. Wobei diese Mitglieder - laut eigener Bilanz - im selben Jahr nur 12.891.340 Kilo abgeliefert haben. Das heißt:  Auch die Wipptal-Stubai Genossenschaft kauft Milch zu, die sie dann nach Sterzing liefert. Alle diese Lieferungen aus Nordtirol gelten formal natürlich nicht als ausländische Zukäufe, sondern als Anlieferungen bzw. „Einbringungen“ der Mitglieder
Welchen Sinn der Zukauf von Tankmilch aus Italien, Österreich oder einem anderem EU-Land macht, wird aus der Preisstruktur verständlich. Milch aus Südtirol kostet zwischen 52 und 55 Cent pro Kilo, Milche aus dem restlichen Staatsgebiet hingegen zwischen 32 und 35 Cent.
Wirtschaftlich macht der Zukauf damit nicht nur Sinn, sondern er ist für manchen Milchhof auch überlebensnotwendig.
 

Chimäre Südtiroler Milch

 
Tatsache aber ist, dass dort, wo Südtirol draufsteht, nicht nur Südtirol drinnen ist. Konkret: Die angebliche „Milch aus Südtirol“ ist eine Augenauswischerei.
Auf die Frage von Salto.bz, ob Sie ausschließe, dass in die „Milch aus Südtirol“ auch zugekaufte Tankmilch aus Rest-Italien einfließt, antwortet die Direktorin des Südtiroler Sennereiverbandes Annemarie Kaser mit einem einfachen: „Ja“. Kaser weiter: „Die Südtiroler Milch ist genau rückverfolgbar. Es ist daher sichergestellt, dass in jenen Produkten, wo es einen Hinweis auf die Südtiroler Milch gibt, auch Südtiroler Milch enthalten ist.
Was tut man dann aber mit der zugekauften Milch? Die offizielle Version: Die Milchhöfe stellen damit Produkte für andere Abnehmer, etwa Eigenmarken für große Supermarkt-Ketten her. Oder sie produzieren eigene Produkte, auf denen weder das Siegel „Milch aus Südtirol“ noch das Südtiroler Qualitätszeichen aufscheint.
 
 
 
Dass Südtiroler Milch und zugekaufte Milch vermischt werden und dort, wo „100 Prozent Südtiroler Bergmilch“ steht, 10 oder 20 Prozent Milch aus der Poebene enthalten ist, verneinen alle Akteure energisch. Der Geschäftsführer eines Milchhofes führt an, dass das nicht möglich sei, weil es zig Stellen gebe – so etwa der tierärztliche Dienst, die Südtiroler Qualitätskontrolle oder der Senneiverband -, die genauestens kontrollieren. Zudem führe die Carabinierisondereinheit NAS italienweit immer wieder Stichproben-Analysen an den Endprodukten durch.
Die Aufgabe des Sennereiverbandes ist die Qualitätskontrolle der Rohmilch der Milchlieferanten, welche an Südtiroler Milchhöfe liefern“, sagt auch Annemarie Kaser zu Salto.bz.
In Wirklichkeit hat man in Südtirol ein System aufgebaut, mit dem man sich durch die geltenden Bestimmungen schlängelt und gleichzeitig den Endabnehmer und Konsumenten an der Nase herumführt.
 

Keine Herkunftsanalyse

 
Südtirols Milchwirtschaft wird vor allem durch das hervorragend ausgerüstete Labor des Sennereiverbandes kontrolliert. Es gibt ein durchaus dichtes Netz an Kontrollen, das den gesamten Herstellungsprozess, die verwendeten Futtermittel, die Milchverarbeitung und die Auslieferung umfasst. So werden Rohmilchkontrollen, Milchsammelwagenkontrollen, Kontrollen der Milchprodukte und Abwasserkontrollen durchgeführt.
Aber eine Herkunftskontrolle der Milch gibt es nicht. Salto.bz hat mit mehreren Fachleuten gesprochen. Das Ergebnis: Es gibt in Südtirol kein Labor, das eine Herkunftsanalyse der Milch machen kann. Konkret: Es wird keineswegs im Labor kontrolliert, woher die Frischmilch kommt. Das muss auch Annemarie Kaser bestätigen.
Dies erfolgt durch Dokumentation, nicht durch Laboranalysen. Dieses System ist auch durch eine Kontrollstelle zertifiziert“, meint die Direktorin des Sennereiverbandes. Anhand der Lieferscheine und der Produktionsprotokolle könne man genau nachverfolgen, woher die Milch kommt, die abgefüllt oder verarbeitet wird.
Aber auch hier sagt man nur die halbe Wahrheit. Das wird deutlich, wenn man sich die Zertifizierung, die der Sennereiverband von einer gesamtstaatlichen Stelle bekommen hat genau anschaut. Dort ist die Rede von der Rückverfolgbarkeit, und dann heißt es: „Den italienischen Ursprung der Milch von der Produktion bis zum Endprodukt sicherzustellen“.
 
 
Ermächtigung für den Sennereiverband als Kontrollstelle: "Garantire l' origine italiana del latte della produzione al prodotto finito".
 
Wohlgemerkt italienischer Ursprung und nicht Südtiroler Milch. Das heißt: Auch die massiven Zukäufe der Milchhöfe im Inland können so abgesegnet werden.
„Milch aus Südtirol“ ist damit ein Verkaufsgag. Mehr nicht.
Dass das Auflagenheft des Südtiroler Qualitätszeichens vorsieht, dass die gesamte Rohmilch, die zur Herstellung der Milch und Milchprodukte mit dem Qualitätszeichen „Qualität mit Herkunftsangabe“ verwendet wird, aus dem Land oder der Region, die auf dem Qualitätszeichen für die Herkunft steht, stammen muss und ein Zukauf aus anderen Provinzen oder Ländern nicht zulässig ist, steht auf einem anderen Blatt Papier.
Denn auch für diese Kontrolle fühlt sich - mit Ausnahme des Sennereiverbandes - niemand zuständig.
Vor diesem Hintergrund wird auch klar, warum man die genauen Zukäufe aus Italien top-secret hält. Denn dann könnte jeder 1 und 1 zusammenzählen.