Kultur | Salto Weekend
Über Videospiele nachdenken
Foto: Naughty Dog
Reizvoll war allein schon der Kontrast zwischen dem historischen Merkantil-Gebäude und den Vortragsthemen. Den Anfang machte Mario Petillo mit den Spielwelten von Final Fantasy. In seiner Präsentation warf er einen Blick auf die Spielwelten von Final Fantasy VII, IX und X und der Funktion für die jeweiligen Erzählungen der Japanischen Rollenspielserie. Es gilt eine leichte Spoilerwarnung.
Dabei ging es weniger um eine Analyse der zum Teil 5000 Jahre langen Historien, welche vor Spielbeginn zum Status Quo führen, sondern vielmehr um eine Bestandsaufnahme der wichtigsten Elemente und eine Positionierung gegenüber (westlichen) Fantasy-Genres wie Steam-Punk.
Im siebenten Teil der Reihe trägt diese Welt die Namen Gaja oder wird einfach als der Planet bezeichnet und es finden sich trotz einem industriellen Setting klare Marker westlicher Fantasy Traditionen. Wie auch im 9. Teil der Reihe, in welchem wir uns wiederum auf einem Planeten namens Gaja befinden, ist der Motor für Konflikte in der Welt eine endliche Resource. In VII nennt sich diese Mako und gibt der Geschichte ein klares Umweltschutz Thema, da es sich um eine aus dem Boden geförderte Substanz handelt, die gleichzeitig Lebensenergie des Planeten ist.
Der für die Handlung zentrale Konflikt - welcher den Kampf um die Resource übersteigt - wird dabei von außen, durch einen Meteoriten, mit einer bösartigen Lebensform eingeführt, es gilt den Planeten zu retten.
Während das Setting von Final Fantasy IX dem von VII in vielen Zügen ähnelt, sind es die Unterschiede, welche Petillo als nächstes Beleuchtete. Hier sind wir - zu Beginn des Spiels unwissentlich - Teil der Alien-Art Genome, welche den Konflikt nach Gaja bringt. Amnesie - eine lange gebräuchliche narrative Krücke, um dem Spieler einen Einstieg in ein neues Setting zu erleichtern - bedeutet, dass wir unseren Auftrag vergessen haben. Der Twist des Spieles, dass wir Teil der Außenseiterfraktion und in Wahrheit vom Planeten Terra abstammen ist dabei weniger interessant als Petillos Einschätzung, dass es sich hier um das „japanischste Spiel“ der Reihe handle: In einer Handlung in der es vielfach um die Folgen des Krieges geht, sieht der Videospielkritiker das japanische Trauma nach dem zweiten Weltkrieg aufgegriffen.
Der zehnte Teil der Reihe sah mit der Spielwelt Spira mehrere große Wechsel: In der traditionalistischen Welt Spira ist es weniger der Status Quo, der verändert wird, sondern mehr das Schicksal unseres Protagonisten Titus. Der Status Quo ist durch eine alle 10 Jahre wiederkehrende Katastrophe namens Sin geregelt, die als eines von wenigen Elementen auf westliche Traditionen (der Morallehre und Religion verweist). Die Welt ist stärker durch ein östliches Traditions- und Religionsverständnis bestimmt und ihre Macher waren in besonderem Maß um Realismus und Glaubhaftigkeit des Settings bemüht. Zu diesem Zweck hält eine Sportkultur und zu realem Rassismus analog gedachter Fantasy-Rassismus Einzug.
Seinen kleinen, kursorischen Überblick beendete Petillo mit einem Ausblick - mehr Zeit blieb in den 50 Minuten nicht - auf die Spielwelt Ivalice, welche mehreren Spielen als Setting dient.
Videospiele und die „Promessi Sposi“?
Vorweg versicherte der Dozent Francesco Toniolo, dessen Werdegang über das Literaturstudium führte, dass es seines Wissens nach kein Videospiel zu den „Promessi Sposi“ von Alessandro Manzoni gäbe. Normalerweise verwiesen auch eher Videospiele auf die Literatur, wie etwa das 2010 erschienene mittelmäßige Actionspiel Dante’s Inferno, in welchem der Protagonist ein aus dem heiligen Land heimgekehrter Kreuzfahrer Namens Dante ist, der die Sense des Todes stiehlt, um sich mit dieser durch die Dämonen der Hölle zu metzeln um die Seele Beatrices zu retten. Fast genau so, wie es Alighieri beschrieben hatte.
Toniolo wolle im Umkehrschluss Videospiel-Konzepte anhand der Promessi Sposi erklären. Eine wirkliche Erklärung waren die Analogien, die er aus seinem Buch „Scopri i videogiochi con i Promessi sposi (e viceversa)“ entnommen hatte nicht, das Publikum schien diese allerdings auch kaum zu brauchen.
Hier daher nur drei Beispiele: Don Abbondios Begegnung mit Don Rodrigos Schergen auf einer Landstraße ließe sich mit dem Korridor-Effekt vergleichen, einer Methode um Ressourcen in der Spieleentwicklung zu sparen. Besteht unsere Umgebung aus schmalen, von (un)sichtbaren Mauern begrenzten Wegen, so kann man uns lediglich die Illusion von Möglichkeiten vorgaukeln. Abbondio hätte zwar die Möglichkeit zu versuchen, sich links oder rechts des Weges über die Felder durchzuschlagen, diese Wahl sei allerdings ebenso eine Illusion, da dieses Unterfangen aussichtslos ist. So bleibt Abbondio nur der Weg nach vorn kommt es zur berühmten Drohung: „Questo matrimonio non s'ha da fare, nè domani nè Mai.“
In beiden Feldern, in der Literaturwissenschaft, wie auch in Videospiel-Analysen lasse sich Varianten-Kritik betreiben und ist „Fermo e Lucia“ noch die „Alpha“ - also die Vorläufer-Version des Endprodukts, so kann man die „Quarantana“ mit einer GOTY (Game of the Year/Spiel des Jahres Edition) vergleichen, die alle Zusatzinhalte umfasst und der Absicht des Autors - oder der Autoren - am nächsten kommt.
Fra Galdino, der mit einem Sack voll Nüssen vom Sammeln zurück kommt und, statt diese unter Bedürftigen zu verteilen, alle an eine Person überreicht, verhielte sich auch wie ein Videospiel-Charakter mit einer Sammel-Quest.
Auf Nachfrage wusste Toniolo auch gute Videospiele basierend auf Literarischen Vorlagen zu nennen, welche respektvoller als Dante’s Inferno mit ihrem Quellenmaterial umgingen, so etwa „Walden, a game“ (2017, nach H.D. Thorau), oder „I wish I were the Moon“ (2008, inspiriert von Italo Calvinos „La distanza della luna“). Es gibt sie also, Videospiele zur Italienischen Literatur.
Videospiele und das Kino
Der Blockbuster-Reihe „The Last of Us“ widmete der Dozent Matteo Genovesi seine 50 Minuten Redezeit. Mit der post-apokalyptischen Überlebensgeschichte in welcher unsere Welt von Zombies überrannt wurde konnte das Entwickler-Studio Naughty Dog viel Geld einspielen. Den Traum die Sprache des Films auf Videospiele zu übertragen hatten die beiden Gründungsmitglieder Andy Gavin und Jason Rubin bereits in den späten 80ern, als die Technik dafür noch nicht reif war. Anders als andere Entwickler setzten sie dann in den 90ern, als ihr Plattformer Crash Bandicoot auf den Markt kam nicht auf separat am Computer generierte Videosequenzen, sondern sogenannte „In-engine Cutscenes“, also Videosequenzen, die im selben Programm entstehen, in dem wir auch Kontrolle über die Spielfigur haben.
Das hatte den Vorteil, dass weniger Unterschied zwischen der Figur, als welche wir spielen und deren von uns nicht gesteuerten Version besteht und welche in geskripteten Passagen die Handlung vorantreibt. Und da man schon beim Thema Skript ist: Diese würden, so Rubin, genau wie ein Drehbuchskript für einen Film geschrieben. Diese für die Videospiel unübliche Praxis zeigte man auch an einem Beispiel. Genovesi betonte dabei, dass er sich knapp hielte, da der Kurs in Script-Writing, den er für angehende Videospielentwickler an der Accademia delle belle Arti Bari unterrichtet, immerhin 125 Stunden dauere.
Der technische Fortschritt erlaubte Naughty Dog auch, 2013, bei der erstmaligen Veröffentlichung von The Last of Us auf ein weiteres Mittel zu setzen, das uns besser erlaubt uns mit den Spielfiguren Joel und Elly zu identifizieren: Motion- und Face-Capture. Mit Hilfe von Sensoren und Kameratechnik lassen sich in einem Studio eingespielte Bewegungen auf das digitale Skelett von Spielfiguren übertragen, von realistischer Fortbewegung bis hin zu den Feinheiten Non-Verbaler Kommunikation, wie das Senken des Blickes bei einer Lüge. Vieles davon nehmen wir beim Spielen nicht bewusst wahr, es steigert allerdings die Immersion in das Geschehen.
Gegen Ende seines Vortrags berichtete Genovesi, dass die häufigste Reaktion auf seinen Beruf die Frage sei, was er von gewalttätigen Videospielen halte. „The Last of Us“ beschrieb er daran anschließend als ein Spiel, das „…uns dazu bringt, Gewalt zu hassen, indem es uns zwingt, sie zu benutzen“, was eine spannende Sicht auf eine Geschichte ist, die uns im Kampf ums Überleben oft zwingt, Moral beiseite zu legen, uns aber auch Denkanstöße liefern will.
Man würde wohl auch einem Kriegsfilm nicht vorwerfen, dass er Gewalt fördere, schließlich ist die Darstellung von Gewalt immer auch eine Frage der Kontextualisierung.
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