Gesellschaft | Philosophie/Ethik

Wer zeigt uns den richtigen Weg?

In Vergangenheit war das bei uns die Kath. Kirche und ihre Moraltheologie. An welchen Werten orientiert sich heute die Masse? Lässt sie sich nur vom Konsumrausch leiten?
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Foto: Diego Poggio

Seit der Aufklärung sollten in diesen Fragen aber die konfessionsunabhängigen Philosophen die Diskussion und aktuelle Ethik beherrschen. Das entspricht aber leider nicht der Realität – nein das Gegenteil ist der Fall!
Ich habe einmal eine recht einfache Erklärung gelesen, die geht in etwa so: Ursprünglich waren die Philosophen die Denker, die den Sachen auf dem Grund gehen und sie erklären. Dabei ergaben sich Disziplinen wie Mathematik, Physik, Astrologie, usw. Die Disziplinen vermehrten und teilten sich und wurden immer spezieller und spezialisierter. Die heutige Philosophie habe die Aufgabe, eine Zusammenschau und Synthese der Wissenschaften zu machen! Dabei müssen sie ihre Ergebnisse, die Sinnhaftigkeit ihrer Aussagen, und deren Mehrwert für die Menschheit bewerten. Diese Funktion übt meines Erachtens die Philosophie in Südtirol nicht aus, obwohl es einen ständigen Bedarf gäbe!?

Ich habe einen Oberschullehrer gefunden, der bereit ist, mir diesbezüglich einige Fragen zu beantworten. Er heißt Diego Poggio, stammt aus Bozen, ist studierter Philosoph, Gymnasiallehrer für Philosophie und Geschichte und leidenschaftlicher Existentialist, für den das Leben eine nie endende Suche ist.  (schriftliches Interview)

Wenn man sich an Personen wendet, welche einen Hochschulabschluss in Philosophie haben, dann erhält man Bemerkungen wie „Leider ist die Philosophie als Disziplin gesellschaftlich ins Hintertreffen geraten.“ oder, dass sich die aktuelle Bedeutung der Philosophie in der Gesellschaft wohl in Krise befände. Ich wundere mich, dass sich Studenten und Doktoren dieses Fachs, nicht in die Gesellschaft einbringen und nicht ihre Erkenntnisse und Meinungen in öffentlichen Diskussionen kundtun?

Es ist grundsätzlich richtig zu sagen, dass die Zeit der großen Strömungen vorbei zu sein scheint; die großen Innovationen und die Wirksamkeit philosophischer Diskussion liegen 30, 40 Jahre zurück, als der öffentliche Raum noch das einzige und gewissermaßen adäquate Feld der philosophischen Auseinandersetzung war. Damals wurden noch große Theoriegebäude entworfen, wie der Existentialismus, die Frankfurter Schule, die Postmoderne, der Poststrukturalismus. Diese hatten in der Öffentlichkeit und in vielen anderen Disziplinen große Wirksamkeit erreicht. Heutzutage wird bevorzugt in den sozialen Netzwerken eine „Philosophie des Individualismus“ gepflegt. Dennoch gibt es weiterhin öffentliche Bereiche in denen sich die Philosophie, zumindest in der Form der Wissensvermittlung, großer Beliebtheit erfreut. Ich denke, beispielsweise, an das alljährliche Treffen beim „festival di filosofia“ in Modena, das namhafte Philosophie-Professoren aus ganz Europa anzieht und tausende von begeisterten Besuchern anlockt. Es gibt natürlich noch weitere Beispiele, die ich hier nicht explizit anführe. So gesehen ist es natürlich nicht richtig zu sagen, dass Philosophen sich nicht in die Gesellschaft einbringen. Einer der sich ständig und zu allem einbringt ist beispielsweise der aus Slowenien stammende Philosoph Slavoj Žižek. In Deutschland gab es eine Zeit lang das Philosophische Quartett unter der Leitung von Peter Sloterdijk. Aktuell ist der Populärphilosoph Richard David Precht mit seinen philosophischen Bestsellern im deutschsprachigen Raum sehr bekannt.
Wenn wir sagen, dass der allgemeine Einfluss der Philosophie geringer geworden ist, dann führen wir das für Gewöhnlich auf den aktuellen Zeitgeist zurück der in unserer Gesellschaft in erster Linie durch den absoluten Glauben an den szientistischen und technologischen Wahrheitsanspruch geprägt ist. Aber wie bereits Hegel sagte, ist Philosophie „ihre Zeit in Gedanken gefasst“. Darin findet eine reflexive Auseinandersetzung der Stellung des Menschen in seiner Welt statt. Und so glaube ich, dass philosophische Fragestellungen immer noch stark polarisieren können, gerade und vor allem wenn es um die Frage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens geht. Im Grunde liegt die Bedeutung der Philosophie in den Fragen die sich jede Generation von Neuen stellen muss. Und welche Frage sollte uns wichtiger erscheinen als jene nach dem Sinn der eigenen Existenz? Um es mit Camus zu sagen: man sollte sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht. Diese Frage kann man einigermaßen sinnvoll nur auf einer existentiell-philosophischen Ebene beantworten, weil Philosophie, wie Jaspers zu sagen pflegte, Existenzerhellung ist, und das bedeutet, dass sie sich mit dem Sein als Ganzem befasst. Die Sinnfrage ist im philosophischen Bereich sozusagen die Frage nach der Wahrheit.

Wenn es Fragen im Zusammenhang mit dem Tod gibt; z. B. muss demnächst im Parlament das Gesetz zur aktiven und passiven Sterbehilfe debattiert und beschlossen werden. Warum melden sich dazu nur die Kirche und ihre Moraltheologen und nicht die Philosophen und Ethiker zu Wort? Warum gibt es keine bekannten laizistischen Ethiker, die analog zu den Moraltheologen zu ethischen Fragen Stellung nehmen könnten?

Nein, das stimmt nicht. Es melden sich nicht nur Moraltheologen zu Wort. Es gibt zahlreiche Philosophen die dazu Stellung nehmen, ich denke beispielsweise an die italienischen Universitäts-Professoren Galimberti, Vattimo und Cacciari. Im deutschsprachigen Raum ist die Debatte unter Philosophen hochaktuell. Es ist natürlich richtig zu sagen, dass religiöse Autoritäten eine arrogante Deutungshoheit über bestimmte moralische Themen beanspruchen. Gerade auch was die Sterbehilfe betrifft. Freilich, die römisch-katholische Kirche müsste sich definitiv entscheiden, für welches Leben sie stehen will: für ein künstliches Leben, das jedes technische Eingreifen erlaubt, oder für ein natürliches Leben, das jede technisch-unterstützende Maßnahme absolut ausschließt. Wenn sie sich für ein künstliches Leben entscheidet, das beispielsweise einen Menschen lediglich durch künstlich aufrechterhaltene Atmung am „Leben“ erhält, dann ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass sie sich im Bereich der Empfängnisverhütung so entschieden gegen ein künstliches Eingreifen, beispielsweise durch den Gebrauch von Kondomen, einsetzt. Leider ist das wie so oft gezeigt die materialistische Argumentation des Katholizismus, über das Seelenleben in Allmacht-Allüren zu sprechen und sich dem Materialismus beugt. Entweder ist die römisch-katholische Kirche für oder gegen das künstliche Eingreifen ins Leben. Freilich, gegenüber der arroganten Anmaßung der Kirche in Moral und sittlichem Leben sind wir alle im Nachteil. Katholische Moraltheologen argumentieren, vereinfacht gesagt, in Bezug auf biblische und kirchendogmatische Verweise und haben dabei ihre Gesetze und Gebote einer Weltanschauung anzupassen, die den Menschen vor Gott stellt. Es gibt aber auch laizistische Ethiker, die Analog zu Moraltheologen zu ethischen Fragen Stellung beziehen. Ich führe hier das Beispiel des Australiers Peter Singer an, das mich immer wieder überzeugt. Es gab einstmals eine breite Diskussion in der Gesellschaft darüber, ob oder ab wann ein Fötus überhaupt als „Mensch“ zu bezeichnen sei. Singer zufolge ist eine moralische Beurteilung einzig an der gleichberechtigten Abwägung der Interessen aller Betroffenen vorzunehmen. Zu prüfen sei jeweils, in welchem Ausmaß diese Präferenzen durch die Konsequenzen einer Handlung erfüllt oder nicht erfüllt werden. Moralisch relevant seien mit der Ausbildung von Präferenzen zusammenhängende Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, Bewusstsein, Autonomie, Lust- und Schmerzempfinden. Nur Bewusstsein und Schmerzempfinden kommen in dem Zusammenhang, was den Embryo oder Fötus betrifft, überhaupt in Betracht. Hier werde dann allerdings auch nur eine Existenz beendet, meint Singer, die nicht mehr moralische Wert habe als höher entwickelte Tiere – deren Abschlachtung den meisten Menschen moralisch unbedenklich erscheint, nur, weil uns deren Fleisch schmeckt. Solange Schmerzempfinden und Bewusstsein nicht vorliegen, beende ein Schwangerschaftsabbruch eine Existenz, die überhaupt keinen Wert an sich hat, sagt Singer. Viele Abtreibungsgegner, darunter die Kirchenleute, argumentieren, dass bei einer Abtreibung der Fötus ein potentielles menschliches Leben sei und aufgrund dieses Potentials sei es falsch, ihn zu töten. Derartige potentielle Eigenschaften hält Singer aber grundsätzlich für moralisch irrelevant: es gebe keinen allgemeinen Grund, einem potentiellen X dieselben moralischen Rechte zuzusprechen wie einem wirklichen X.

Könnte man nicht – analog zur Ethik-Kommission im medizinischen Bereich - auch vergleichbare Ethik-Kommissionen im Bereich Wirtschaft, Finanzen, Verwaltung, Politik, verlangen oder mindestens vorschlagen? Gib es so etwas anderswo? Wer gibt in diesen Bereichen die Werte vor?

Es gibt in Südtirol, aber auch anderswo, das sogenannte Ethical Banking. Die Tatsache, dass es sowas überhaupt gibt deutet doch unmissverständlich darauf hin, dass im Allgemeinen die Banken und Finanzinstitute unethische Geschäfte mit dem investierten Geld der Bürger machen. Für das Wirtschaftssystem im Allgemeinen sind nicht-ökonomische Motive kein Anreiz. Solange Anleger keine nachhaltigen, sozialen und umweltbewussten Investitionen fordern, werden sich Banken weiterhin als egoistische und verantwortungslose Akteure präsentieren. Hier ist es wie mit der Diskussion um den Klimawandel: Der Einzelne kann nur in Ausnahmefällen etwas Großartiges bewegen. Wenn die Politik nicht mitspielt und keine verbindlichen Gesetze erlässt die im Interesse der Bürger sind, dann hilft alles individuelle Tun und Handeln nichts. Aber gerade die Politik bewegt sich selbst meistens im Inneren der ökonomischen Interessenssphäre und verzichtet auf Widerstand vor einem immer mächtiger werdenden technologisch-wirtschaftlichen Lobbyismus. Es handelt sich also um ein gefährliches Unterfangen mit bitteren Konsequenzen auf allen Ebenen des individuellen Lebens, welches der Großteil der Bürger aber stillschweigend und resignierend akzeptiert. Eine Gesellschaft, in der Sinn mit Nutzen und Profit identifiziert wird, führt, wie Marx bereits betont hat, zur Entfremdung des Menschen.

Und nun zur Hauptfrage: Warum ist die Philosophie ins Hintertreffen, in die Krise geraten? Welche Rolle hat die Philosophie im Alltag der Südtiroler Gesellschaft?

Wo immer Menschen ihr Dasein kritisch reflektieren ist Philosophie. Philosophie war so gesehen nie in der Krise. Philosophie ist Krise. Krísis ist Entscheidung, entscheidende Wendung, Umwendung. Wendung hin zur Wahrheit. Aber was ist Wahrheit? Sie ist das, was die Philosophie antreibt. Wahrheit gehört den Dingen an, sie ist die Dimension des Seins und des Seienden in seiner unmittelbaren Offenbarung. Wahrheit verbindet das zu enthüllende Objekt mit der menschlichen Fähigkeit es zu erkennen. Das Ding ist dadurch erkennbar, dass es sich zeigt, sich verkündet. Die Dinge aussprechen, so wie sie sind, verleiht dem philosophischen Diskurs Gewicht, weil die Dinge, so wie sie sind, also von einer phänomenologischen Perspektive aus betrachtet, die Wahrheit sind. In all dem, muss der Diskurs einer logischen Ordnung folgen, einer Ordnung, die der Wahrheit selbst entspricht. Mit Wahrheit beschäftigt sich die Philosophie, sagt Aristoteles, indem sie das Seiende als das Seiende in höchster Allgemeinheit behandelt. Vor dem Hintergrund dieser Auffassung muss man sich also fragen, was sich wesentlich zeigen lässt? Jedes Seiende hat eine natürliche Begrenzung das es in Relation zu einem anderen setzt – und nur in dieser Relation kann es wahrhaftig erkannt werden. Ich kann kein Seiendes nach seinem „an-sich-sein“ zum Ausdruck bringen, weil jedes Seiende niemals auf seine substantiellen Eigenschaften reduzierbar ist, sondern stets der Interpretation, der Deutung bedarf. Wir alle starten unser Leben als Gefangene in der Platonischen Höhle. Wir haben keinen anderen Anfang. Wir befinden uns also philosophisch gesehen stets in einer Relation zwischen den Dingen und ihrem Erscheinen. Die Wahrheit aber umfasst auch den Schein als Totalität des Seins. In dieser Ordnung des Erkennens nimmt die Wahrheit eine totalisierende Dimension ein. Kafka sagte: "Es ist schwer, die Wahrheit zu sagen, denn es gibt zwar nur eine, aber sie ist lebendig und hat daher ein lebendig welchselndes Gesicht." Das ist der Weg, den wir als Philosophierende und Suchende gehen sollten: hin zu einer lebendig pluralistischen Dimension der Wahrheit; in unserem Menschsein ist jeder aufgerufen sich in die Perspektive der Wahrheit zu stellen.
Um auf Ihre konkrete Frage zu antworten: Ich glaube nicht, dass die philosophische Reflexion in der Südtiroler Gesellschaft eine große Rolle spielt. Sie kann zwar durchaus einzelne Perspektiven aufreißen, aber der Großteil der Bevölkerung ist doch zu sehr damit beschäftigt finanziellen Profit aus jedem Zwischenmenschlichen zu generieren und die Auseinandersetzung mit der hohen Kunst der Philosophie eignet sich keineswegs, Reichtum im kapitalistischen Sinn zu erwirtschaften. Philosophie ist da schon viel eher der eigentliche Weg aus der ökonomischen Knechtschaft. Philosophische Erkenntnis will nicht den äußeren Nutzen, sondern die Freiheit.

Sie haben Philosophie studiert, dann nach Übergangsjobs eine Stelle als Oberschullehrer bekommen. Warum haben Sie dieses Fach studiert und welches berufliche Ziel haben Sie damit verbunden? Welche Rolle spielt die Ethik im Studium und im Beruf?

Zunächst scheint es mir wichtig zu sagen, dass ich nicht an die subsidiäre Funktion der Philosophie bezüglich der Wissenschaften, der Wirtschaft, der Technik oder der Politik glaube, auch nicht an irgendein privilegiertes Verhältnis zwischen Philosophie und allen anderen Bereichen des Lebens. Ihre Bedeutung liegt vielmehr in einem weltanschaulichen Verständnis. Auch wenn Politik, Wirtschaft und Technik die philosophische Wahrheit für gering einschätzt, so sind sie selbst doch unmissverständlich an Weltanschauungen gebunden, die man durchaus als philosophisch bezeichnen könnte. Philosophie hat nun die Aufgabe einer kritischen Beurteilung der Argumente zu leisten und das Aufzeigen von Möglichkeiten/Unmöglichkeiten, aber auch von Sinn/Unsinn, Wahrheit/Unwahrheit voranzutreiben. Wer sich mit Philosophie beschäftigt hat klar vor Augen, dass sie sich um ein Verständnis der Welt bemüht, um der Unwissenheit zu entkommen und nicht, um eines äußerlichen Nutzens willen. Heutzutage ist das freilich eine indirekte Antwort an all jene die besessen sind von der Frage nach dem „was nutzt dies?“ und das Wissen jedem Profit unterordnen. Aristoteles erinnert uns zu Recht, dass das authentische Wissen, um der Erkenntnis willen, in keinerlei Nutzen eingebunden ist. Es ist nicht servil, und es hilft uns, freie Menschen zu bleiben. Ethik spielt freilich eine bedeutende Rolle in Studium und Beruf – sie sollte aber grundsätzlich alle unsere praktischen Handlungen begleiten und dementsprechend reflektieren.

Wie interessiert ist die heutige Oberschul-Jugend an grundsätzlichen philosophischen und ethischen Fragen? Man hat den Eindruck, dass die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen alles abweisen, was von erfahrenen, reflektierten, für sie alten und vielleicht weisen Personen kommt, wenn sie nicht im Schulbuch oder im Internet stehen oder populär sind.

Einzelne interessieren sich sehr, das muss man sagen, der Großteil aber bleibt in seinem Interesse an der Oberfläche stehen. Es fehlt grundsätzlich an Tiefe und Bedachtsamkeit. Jahrzehntelanger Einfluss ökonomischer Propaganda vonseiten der profitorientierten kapitalistischen Wirtschaftsweise, die unstillbare Gier und die materialistisch-kapitalistischen Zielvorgaben haben den menschlichen Geist völlig ruiniert und Menschen zu brave Konsumenten erzogen, sie für den allgegenwärtigen Konsum gefügig gemacht. Das betrifft die Schule und die Universität genauso wie das Freizeitleben, die Arbeit und die Gesellschaft. Im Bereich des generellen Konformismus, der die Anerkennung und Gleichheit in Anpassung verwandelt, ist zwar grundsätzlich jeder frei zu wollen und zu tun was er will - aber dann wollen und tun alle immer nur dasselbe. Die umfassende Nivellierung des Geistes, die historisch gesehen den traditionellen Diktaturen gelungen ist mit Gewalt und Unterdrückung zu erzwingen, ist heute endgültig erreicht durch eine zivilisatorisch-dominante Ordnung, durch die Antriebe der Konsumgesellschaft und einer systematisch organisierten Manipulation der technokratischen Wirtschaftsweise. Die meisten Menschen träumen nur noch von dem, was eigentlich schon vorhanden ist, und zwar in der Form, in der die Dinge von der Welt der Ökonomie dem Konsum preisgegeben werden. Damit Menschen kritisch werden können ist es aber notwendig, dass es eine Alterität gibt, die auch wahrgenommen wird, einer Alterität und Differenz zwischen der Innenwahrnehmung und einer äußeren Ordnung der Dinge, zwischen dem Realen und dem Möglichen. Wo ist denn das aber in unserer Gesellschaft heute noch möglich? Die Suche nach der Wahrheit, von der wir gesprochen haben, ist immer ein leidenschaftlicher Vollzug, der nur durch Selbstentsagung und Überschreitung von Widerständen, sozusagen in einem leidvollen Prozess, erreicht werden kann. Hinzu kommt, dass Wahrheitssuche meistens eines äußeren Antriebs bedarf, der heutzutage kulturell und gesellschaftlich nicht gegeben ist. Die totale Technologisierung und Digitalisierung der Gesellschaft hat freilich das ihre dazu getan. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Eine massenhafte Abstumpfung in die Einfallslosigkeit, eine uniformierte, leistungsorientierte, von Gier und Materialität geprägte Bevölkerung von unkritischen, angepassten und verwöhnten Subjekten, derer sich der Finanz- und Wirtschaftszirkus mithin eine skrupellose und selbstgefällige Politik bedient.

Ich habe einmal eine recht einfache Erklärung gelesen, die geht in etwa so: Ursprünglich waren die Philosophen die Denker, die den Sachen auf dem Grund gehen und sie erklären. Dabei ergaben sich Disziplinen wie Mathematik, Physik, Astrologie, usw. Die Disziplinen vermehrten und teilten sich und wurden immer spezieller und spezialisierter. Die heutige Philosophie habe die Aufgabe, eine Zusammenschau und Synthese der Wissenschaften zu machen! Dabei müssen sie ihre Ergebnisse, die Sinnhaftigkeit ihrer Aussagen, und deren Mehrwert für die Menschheit bewerten. Diese Funktion übt meines Erachtens die Philosophie in Südtirol nicht aus, obwohl es einen ständigen Bedarf gäbe!?

Der letzte Denker einer großartigen Zusammenschau und Synthese der Wissenschaften war Hegel und nach ihm schieden sich die Denker in Anhänger und Kritiker. Es war allerdings sein Verdienst das Sich-Widersprechende als Wirklichkeit einzuführen. Nein, es braucht keine neuen Systemdenker - was es heutzutage braucht ist ein subversives Denken, das das Absurde, den Widerspruch zulässt. Wir müssen uns definitiv loslösen von dem Gedanken, dass die Welt einen höheren Sinn hat. Das auszuhalten aber, das ist das schwierigste im Leben. Für alles andere reicht ein bisschen ehrlich gemeinte Barmherzigkeit.