„Die Wahrheit wird euch frei machen“
Lange waren sexueller Missbrauch und Gewalt an Kindern und Jungendlichen in der Kirche ein Tabu. Nun wird das Thema Schritt für Schritt aufgearbeitet. Bereits 2010 hatte der damalige Bischof Karl Golser einen „unabhängigen Ombudsmann für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in diözesanen Einrichtungen“ ernannt. Damit es gar nicht so weit kommt, wird aber auch die Präventionsarbeit großgeschrieben. Auch hier gibt es mit Gottfried Ugolini einen eigenen Diözesanbeauftragten. Der organsierte am Donnerstag eine Tagung zum Thema. „Der Schutz der Kinder ist vorrangig“, lautete der Titel. Ugolinis damit verbundenes Plädoyer wäre wohl vor der Aufdeckung des dunkeln Kapitels der Kirchengeschichte ab der Mitte der Neunziger Jahre unvorstellbar gewesen: Weg vom „was kann denn schon passieren“ hin zum „wir wollen den Kindern geschützte Räume und Begegnungen anbieten“, lautete sein Aufruf. „Weg von einer Kultur des Wegschauens hin zu einer Kultur der Hinschauens, der wachen und achtsamen Wahrnehmung, des Ernstnehmens und der umsichtigen sowie kompetenten Begleitung und Beratung; weg von einer Kultur des Sich- nicht-Einmischens, „das geht uns nichts an“ hin zu einer Kultur der Transparenz, der Offenheit und der Mit-Verantwortung.“
Wie sehr diese Haltung bei der Prävention von sexuellem Missbrauch und von Gewalt auch in den verschiedenen kirchlichen Organisationen verbreitet ist, wurde in einer Umfrage erhoben, die auf der Tagung vorgestellt wurde. 24 von 33 Organisationen haben den Fragebogen ausgefüllt. Die Auswertung ihrer Antworten zeigt laut Aussendung der Diözese, dass sich über 70% der Einrichtungen mit dem Thema beschäftigt haben. Fragezeichen und den Bedarf an Unterstützung gibt es aber weiterhin – allen voran im Bereich der Verfahrensweisen bei Verdachts- und Vorfällen. Eine gezielte Ausbildung ihrer MitarbeiterInnen ermöglichten nur sieben der befragten Einrichtungen. In fast allen Organisationen wurde jedoch der Schutzes und die Sicherheit für Kinder und Jugendliche als primäres Ziel der Präventionsarbeit aufgegriffen, heißt es. In einigen Organisationen seien bereits konkrete Maßnahmen angedacht und durchgeführt worden.
„Mir ist das Thema sehr wichtig und ich bin mir meiner Verantwortung als Bischof in diesem Bereich bewusst“, versichert auch Bischof Ivo Muser. Von Fortschritten und nach wie vor offenen Herausforderungen in diesem Bereich sprach der Jesuit Hans Zollner, der aus Rom für seinen Vortrag über die internationale Präventionsarbeit in der Katholischen Kirche zugeschaltet war. Noch vor wenigen Jahren hätte man noch kaum eine Sprache gefunden, um die Thematik rund um sexuellen Missbrauch aufzugreifen und aufzuarbeiten, unterstrich er. Allerdings nicht ohne zu erwähnen, dass es auch heute noch in verschiedenen Teilen der Kirche ein Verschweigen und Vertuschen gäbe. Sein Maßstab bei den Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt ist ein biblischer Grundsatz: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“