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Gesellschaft | Eiertreter*in

10 Jahre IDM

Ein Gastbeitrag von Goggel Totsch, Beauftragte im Ressort „Pflegeleichter Gast“. Die vollinhaltliche Wiedergabe ihrer Festrede zum 10-Jahre-Jubiläum der IDM beim Festakt im ehemaligen Thermenhotel Meran.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Villnöss
Foto: Pixabay
  • Sehr geehrte Dam:*Innen,

    Mit einer Mischung aus Anerkennung und Schmunzeln haben wir Südtiroler im fernen Jahr 2024 die Massenproteste gegen Touristenmassen auf den Kanaren registriert - und uns gleichzeitig die Frage gestellt, ob dergleichen auch in unserem Hoametl möglich wäre? Eine Frage, die man mit Verweis auf die enge Durchdringung des Tourismus, tief in jeden Aspekt der Südtiroler Wirtschaft hinein, als absurd abgewiesen hat: Der Südtiroler mag maulen, doch ist er sich stets bewusst, wem er seinen Wohlstand zu verdanken hat - abgesehen davon, dass wir - bis auf die ewig undankbaren Bauern - kein Volk von Protestierern sind.

  • 2024

    Über Graffiti wie „Piefke go home“ und „No Tourist“-Wandschmierereien (in Anlehnung an die Überkopfschilder der Telepass-Ausfahrten der Brennerautobahn der 2000er Jahre) habe wir noch geschmunzelt. Ungläubig den Kopf geschüttelt, als auf Wanderwegen beim Aufeinandertreffen von Einheimischen und Gästen die Grußformel „Griaßt enk“ immer mehr einem gebellten „Verpisst enk“ wich. Auf Almhütten verbale Feindseligkeiten ungefiltert herausplatzen. In Verkennung der touristenfeindlichen Stimmung im Land, schwärmten unsere Gäste gegenüber dem ortsansässigen Tischnachbarn weiterhin von der Schönheit dieses Flecken Erde und wie wunderbar es man doch hier hätte: „Und ohne enk, war’s no viel schiandr!“, wurde nun im Dialekt zurückgeblafft.
    Das Dialektale, zuvor gerne als Ausweis für Anrecht auf eine Ermäßigung bei Liftfahrten und Eintritten verwendet - damit der Mann hinter der Kasse, an allen EU-Verordnungen vorbei, die Taste mit der Aufschrift AVS oder Bergführer auf seiner Kasse drückte - übernahm im Sommer 2024 die zusätzliche Funktion, Gäste von Einheimischen zu unterscheiden. Der allgemeine Trend weg von Knickerbocker und Karohemd, hin zu Funktionskleidung und Markenschuhen mit Vibram-Sohle mochte das Erscheinungsbild am Berg über die Jahre angeglichen, die Gebetsformel der Bergrettung von der schlechten Ausrüstung als Unfallgrund obsolet gemacht haben – aber zwei, drei Worte im breitesten Dialekt funktionierten weiterhin zuverlässig, um den Touristen vom Local zu unterscheiden.

    Tourismusverbände wie Bauernbund, Privatzimmervermieter und HGV waren baff, als Hüttenwirte begannen, kurz vor Ferragosto Einheimische und Gäste räumlich zu trennen und an Regentagen erstere privilegiert in die Stube zu lassen, um Randale zu vermeiden. Vorbei der zwischenzeitliche Usus polyglotter Südtiroler untereinander nur in Englisch zu kommunizieren, weil Kellnerinnen in Erwartung eines Trinkgeldes Ausländer vorrangig bedienten. „Siamo in Sudtirolo“, bekamen die „Sentas“ und „Scusi“ jetzt zu hören, wenn vom italienischen Gast angemerkt wurde, dass man mit seiner Brieftasche den Reichtum dieser nördlichsten Provinz finanzieren würde. Schockstarre auch dann noch, als Wanderer im September bei der Rückkehr zum Parkplatz ihre Fahrzeuge mit aufgestochenen Reifen vorfanden. Ansässigen, mit deutschen RO- und STA-Kennzeichen, die mit Zetteln und Aufklebern verzweifelt versuchten auf den Status ihrer Leasingwagen hinzuweisen, wurde zusätzlich der Lack zerkratzt. (Bis zum Ende des Jahres mussten in Bayern fünf Leasingfirmen, die sich auf Geschäfte mit Südtirolern spezialisiert hatten, Insolvenz anmelden).
    Es dauerte jedoch bis zur sogenannten Sternennacht am 30. Dezember 2024 bis die Politik endlich reagierte: Die konzertierte Sprengung der Sterne an allen 619 Vier- und Fünf-Sterne-Hotels im Land, bei gleichzeitigem Abfackeln der Luxuskarossen auf den Parkplätzen davor, markiert aus heutiger Sicht den Wendepunkt in der Südtiroler Tourismuswirtschaft. Das beliebte Böllern unserer Gäste in der Neujahrsnacht fiel einer kollektiven Abreise am Silvestertag zum Opfer. Wir erinnern uns des dreitägigen Megastaus auf der A22, die vom Ausland organisierten Luftbrücken, die den Flughafen Bozen für mehrere Tage in die Knie zwangen. Wer hätte sich damals vorzustellen vermocht, dass es die letzten Flugzeuge sein würden, die von einem Flugplatz mit dem IATA-Kürzel: BZO abgehoben sind.

  • 2025

    Aus der historischen Rückschau wissen wir um die damaligen Pläne der Terrorzelle „Sittirolr zärscht“ weiter an der Spirale der Gewalt zu drehen, die angespannte Situation eskalieren zu lassen. Vom Beklatschen einer schlechten Buchungslage im verregneten April-Mai in den sozialen Medien, hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, waren wir nur einen Wimpernschlag entfernt: Stolperdrähte auf Skipisten und Downhill-Routen; Sprengung von Sesselliftmasten bei Vollbetrieb im Geist der Bumser der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Sicherungsseile an Klettersteigen wollten die radikalisierten Hoteliers-Söhne und vernachlässigten UaB-Töchter unter Starkstrom setzen; Motorradfahrer auf den Dolomitenpässen wie in einer Schießbude auf dem Luna-Park ins Visier nehmen - in einem kollektiven Wahn planten die Tourismusgeschädigten Messerattacken auf Wanderwegen und Amokläufe vor dem Ötzimuseum. Nur dem raschen Handeln des europäischen Auslandes mit Reiseverboten nach Südtirol und Umleitung der Transitströme über Österreich und die Schweiz, ist es zu verdanken, dass der Konflikt keine Menschenleben forderte, während die Lokalpolitik - in Geiselhaft der Wirtschaftsverbände - weiter beschwichtigte und das tat, was sie bei Problemen seit 1948 generell macht: Aussitzen.
    Natürlich war diese zweite Vollbremsung von 36 Millionen Nächtigungen im Jahr 2023 auf Null - nur wenige Jahre nach den Lockdowns der Pandemie - eine wirtschaftliche Katastrophe, die nur einzelne Hotelkonzerne mit Ablegern in Italien oder im Ausland finanziell überlebten: Nicht jeder Hotelier hatte genügend Schwarzgeld auf Auslandskonten gebunkert. Andererseits erwirtschafteten die 11.747 Beherbergungsbetriebe der Tourismusindustrie gerade mal 8,8% der Südtiroler Wertschöpfung, der Verlust der 241.624 Betten war somit verkraftbar - nachdem sie für die starke Militärpräsenz des Zentralstaates zum Niederhalten der Spannungen ab 2029 nicht mehr gebraucht wurden.
    Soldaten vor jedem Vier-Sterne-Business und jedem Drei-Sterne-Familienbetrieb waren im Grunde von Beginn an sinnlos, da mit der überhasteten Abreise am Jahreswechsel aller Druck aus dem Kessel genommen worden war und die Einheimischen die Skipisten und -hütten an Drei-König für sich allein hatten. Das gefühlte Sicherheitsproblem, vor allem seitens einer Landesrätin, war aber Ausrede genug, um zumindest den Armeeangehörigen einen Urlaub im Kleinod der Alpen angedeihen zu lassen. Dem muss man hinzufügen, dass die zur Fremmenpolizei umfunktionierten Dorf- und Stadtputz bei der Ausforschung von Camperfahrern mit Migrationshintergrund auf der einen Seite und Schwarzvermietern an illegale Rucksacktouristen auf der anderen, ganze Arbeit leisteten. Zumal das Denunziantentum reibungslos funktionierte, wenn es wieder jemand zu Fuß über die grüne Grenze geschafft hatte. Allen war klar, dass diese „ver-Airbnb-te“ Quadratmeter als potenzieller Wohnraum „fir insra Leit“ verloren waren. Heute werden Sie deshalb niemanden mehr finden, der gegen die Enteignung der Zweit- und Ferienwohnungen mit Zuweisung an junge, einheimische Familien aufstehen würde. Schlagworte wie knapper Wohnraum und exorbitante Wohnungspreise sind längst Fremdworte geworden.

  • 2036

    Es kommt einem wie blanker Hohn vor, dass als Akronym für die 2036 neu aufgestellte Tourismus-Leitagentur ausgerechnet IDM für „Intelligent Dolomites Management“ gewählt wurde. Erinnerungen an den mit Steuergeld gemästeten Wasserkopf des Tourismusvermarkters IDM - Innovators, Developers & Marketers wurden wach, der sich damals auf seiner Website mit Marketingplaitüden wie: „Wir definieren Ziele in den drei Säulen der Nachhaltigkeit: People, Planet, Profit und messen die Entwicklung“, vorstellte und maßgeblich Schuld daran hatte, dass Jahr für Jahr mehr Touristen ins Land geschaufelt wurden. Politisch hatte man bereits dessen Zerschlagung beschlossen, doch die Umsetzung wurde aufgrund der gekränkten Eitelkeit ihres Gründervaters nie vorangetrieben. Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich das schlechte Omen des Taufnamens nie bewahrheitet. Im Gegenteil: Die Beibehaltung des Kürzels für alle Gastzentren im Land, wie IDM Schluderns oder IDM Ridnaun, muss man als Reminiszenz an diese ersten, vorsichtigen Schritte verstehen, als nach Jahren der Isolation, es wieder gestattet wurde Ausländer für dreiwöchige Kurztrips ins Land zu lassen. Wenn Südtirol heute der begehrenswerteste Lebensraum Europas ist und sich Jahr für Jahr über 60 Millionen Menschen an der Lotterie für die 12.000 saisonalen Touristen-Visa bewerben, ist dies allein dem umsichtigen Management des ersten Gastzentrums (GZ) in Pontives geschuldet. Das Konzept der kasernierten Wanderer und Ausflüger, die elektronischen Fußfesseln zum Erstellen eines 24-stündigen Bewegungsprofils, die strikte Separierung von Einheimischen und Gast, unter dem dem alten Leitspruch „Je besser wir uns trennen, desto besser verstehen wir uns“, wurden alle vom IDM-Team in Gröden entwickelt. Es war kein geradliniger Weg, das stellt niemand in Abrede, aber letztlich war immer die minimale Belastung durch unsere lieben Gäste Leitbild und Orientierung.
    Natürlich gab es auch Rückschläge: Ich möchte nur an den Fehltritt erinnern, die Landeswährung „Tschosch“ inkl. Zwangsumtausch zu spät eingeführt zu haben, Gästen auch Einkäufe außerhalb der maßlos überteuerten Touristshops zu erlauben, was eine sofortige Befeuerung der Lebenshaltungskosten nach sich zog. Oder auch der 10.000 Tschosch teure Zugangsbeitrag, der ohne Stornierungsmöglichkeit sechs Monate vor Reiseantritt zu entrichten war. Zwar erlaubte er die Finanzierung eines kostenlosen Personennahverkehrs, schränkte aber unsere Besucherschicht auf Menschen ein, die sich uns leisten konnten, aber uns nicht verdient hatten. Ich erinnere an die probeweise Aufweichung der Fast-Lane und Priority-Slots für Einheimische an der Seceda-Bahn und last, but not least, den Versuch in der Kantine des GZ Niederdorf etwas anderes, als das Dreigestirn der Pustertaler Kulinarik: Kasknödel, Pressknödel und Schlutzer zu servieren. Allein die Entscheidung das GZ am unattraktivsten Standort des Grödnertales zu bauen und die Umfassungsmauer einen Meter höher als notwendig zu errichten, sollte sich als perfekte Antithese zum Credo des früheren HGV etablieren: „Die drei wichtigsten Ingredienzien für einen erfolgreichen Betrieb sind: Die Lage, die Lage, die Lage.“

    Zehn Jahre „Intelligent Dolomites Management“ sind eine Erfolgsgeschichte. Die Tatsache, dass Menschen auf der ganzen Welt Onlinekurse im Südtiroler Dialekt belegen, nachdem sie eine Einreiseerlaubnis erhalten haben, um die Einwohner in ihrer Landessprache begrüßen zu können, zeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Und ich möchte an dieser Stelle anregen, diesem sündteuren Premiumpaket einen praktischen Nutzen entgegenzustellen und bei der Mittwochswanderung am Marlinger Waalweg oder dem Donnerstagausflug zum Lago di Pietro in Prags als Wegewarte oder Waldarbeiter getarnte Angestellte der IDM abzustellen, damit das Erlernte in der Praxis angewandt werden kann. Ein bisschen so wie Tirolerabende mit Volkstanz und Schuhplattler in der Hochzeit des Overtourism. Im Hypernet und Metaversum mehren sich die Kommentare, dass sich die Einheimischen offensichtlich verstecken würden und es keine Gelegenheit gebe, die erlernten Grußformeln anzuwenden. In diesem Sinne: „Vrgelt’s Gott für die Aufmerksamkeit und Pfiat enk!“

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Josef Fulterer Do., 23.05.2024 - 22:04

8,8 % Wirtschafts-Leistung, fleißig Landes-Beiträge abgreifen, emsig Steuer-Vermeidungs-Abschreibuns-Politik fahren + ständig das Geplärre von Pinzger & CO. vom allein-selig-machenden Tourismus für ganz Südtirol.

Do., 23.05.2024 - 22:04 Permalink