Kultur | Salto Weekend

Traum und Alptraum

Rudolf Frey und sein Team servierten mit "Dante:Dreams" eine abwechslungsreiche Bühnenperformance. Mit einer Flut an Rollen und Kostümen. Und mit einem Hauch Dante.
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Foto: Vereinigte Bühnen Bozen

Mit Dante:Dreams zauberte der neue Intendant(e) der Vereinigten Bühnen Bozen, Regisseur Rudolf Frey, in den letzten beiden Wochen ein zügiges Bühnenstück in das Studio des Stadttheaters – eine zeitgenössische Antwort auf den großen Dichter zum 700. Todestag. Frey zeichnete in Bozen bereits für die Stücke: Der Revisor, West Side Story, Liliom, Sunset Boulevard und Radetzkymarsch verantwortlich. Letzteres wurde im Februar 2020 aufgeführt, nur wenige Wochen vor dem 1. Lockdown. Dante:Dreams nun, wenige Monate nach dem letzten(?) Lockdown.
Zu sehen gab es ein wuchtiges Gesamtkunstwerk, als multidisziplinäres Theater konzipiert, mit viel Performance, etwas Tanz, rhythmischen Tanztheaterbeigaben und natürlich verschiedensten persönlichen Geschichten. Dazu mischte die Regie klug und beständig eingesetzte musikalische Beimengungen, in Form von Songs, die die offenbarten Traumdarstellungen versüßten oder verbitterten.


Dante:Dreams begann ruhig und unübersichtlich, mit einem lässig bis düsteren Publikumsvorlauf durch die Räume und Gänge hinter die Bühne. Spannungsgeladen gingen die Zuschauer*innen entlang skurriler Requisiten, vorbei an Schauspieler*innen die in einer mysteriösen Nervosität bzw. Schockstarre verharrten, bis zu ihrem nahenden Ausbruch (wenige Minuten später). Zu beständiger Musikkulisse agierten die Bühnenkünstler*innen wie Stehaufmännchen und -weibchen, fertigen in einer höllischen Jukebox gefangen einen Song nach dem anderen ab, ließen eine Rolle auf die nächste folgen und jagten mit dem einen Restexemplar aus dem Kostümfundus dem nächsten hinterher.
Hier eine Auseinandersetzung, da ein Hinweis, dort ein egomanischer Anfall oder ein tollpatschiger Sturz. Die Alptraumfantasien peitschen Darsteller*innen und Publikum vom Stadium des Grauens in ein rauschhaftes Dilemma. Für die ersten Dutzend Spielminuten ähnelte Dante:Dreams einem irren Pogotanz, der zwanglos und beklemmend die nahende Katastrophe bereits verinnerlicht hatte. Die absurden Figuren handelten (trotz Sportsgeist und halsbrecherischem Einsatz) ausgelassen und passiv zugleich, mit Anmut und Aggressivität. Blinde Selbstbezogenheit verkettete sich im Lauf des Abends zu melancholischer Selbstverlorenheit im kollektiven Wahn. 


Die Lichter-Video-Song- und Performanceschlacht ließ nebenbei einigermaßen nachvollziehen, welches gewaltiges Potenzial an Ausdruckmöglichkeiten (aufgestaut in Kopf und Glieder) bei den ausführenden Schauspieler*innen innewohnen musste. Über Monate waren sie von zahlreichen Live-Bühnen pandemiebedingt ein- und weggesperrt gewesen, nun eroberten sie hüpfend, schreiend, kriechend und springend, auf animalische Art ihren Bühnenraum zurück, konnten sich wieder vom Publikum und nicht von Klicks jagen lassen. 
Der Mann, der seine fünf Meter langen Arme hinter sich herzieht, die humpelnde Frau im Pelz, der Narr im hysterischen Monologausbruch: solche und unzählige weitere Eintagsfliegen und Wiederholungstäter, traten auf und ab, schlugen als Kostümtsunami wellenartig auf das Publikum ein und reizüberfluteten die Bühne bis in den verstaubtesten Winkel. Nach dem Schlag-auf-Schlag an menschlichen Explosionen, ging Dante:Dreams ruhiger weiter, vereinzelt sogar mit Szenen, die beinahe an einen klassischen Theaterabend erinnerten. Beinahe.


Im weiteren Verlauf blieb der erwartbare "Untergang" in Sichtweite. Nie plätscherte die "Handlung" dahin, die Performer*innen hatten schlicht keine Zeit dazu, schließlich waren sie ja nicht eingesperrt im Eigenheim, sondern verausgabten sich vor anderen Menschen – bevor ein möglicher nächster Lockdown sie zum erneuten Theaterstreaming verdonnern würde: einsam am Bildschirm und mitunter verschwörerisch kontrolliert und regiert von einem der reichsten Gutmenschen... 
In rascher Bilderfolge kam die Inszenierung nach über 90 Minuten an ein undurchschaubares Ende. In der Verlängerung "standen" sich Publikum und Bühnenakteure sitzend gegenüber. Aufgebraucht und ausgelaugt zogen die Figuren in einer bereinigenden Licht- und Soundsilhouette dahin, die einen leichtfüßig, die anderen beschwert, alle einer überirdisch vorgegeben Richtung folgend. Am Ende kehrten sie kollektiv in den Trott des persönlichen Stillstands zurück. Nach all den Strapazen war das Stück endlich beim Anfang angekommen.