Kultur | Mehrsprachigkeit

"Zulosen" erwünscht

In Meran wird am Samstag die (historische) Mehrsprachigkeit in Form von wissenschaftlichen Vorträgen zelebriert. Wird auch etwas für Gegenwart und Zukunft dabei sein?
Mittelalterliche Fresken in Runkelstein
Foto: Oswald Stimpfl
  • Losen, horchen, hören! Die Menschen im Mittelalter sprachen Dialekte, die je nach Region unterschiedlich waren. Die Verständigung zwischen Sprechern und Sprecherinnen aus verschiedenen Regionen war eine Herausforderung, entwickelte aber Sprache und Dialekte weiter. Und natürlich ganze Gesellschaften. Wenn beispielsweise die Menschen in der Sprachinsel Plodn/Sappada heute den mittelalterlichen Begriff Meindl oder Meinl aussprechen, werden sie von kaum jemandem im deutschen Sprachraum verstanden. Verständlich. Das Wort ist so gut wie verschwunden.

  • Mittelhochdeutsche Sprachfetzen: Vorstellung einer Eurac-Studie zur Sprache in der Sprachinsel in Plodn/Sappada vor wenigen Wochen. Foto: Salto.bz

    Mit Meindl oder Meinl wurde in früheren Zeiten der Bildstock (kleines M.) oder eine Kapelle (großes M.) bezeichnet. Während der mittelalterliche und in Vergessenheit geratene Begriff sich verdrängt hat, blieb er in der kleinen Sprachinsel erhalten, wird innerhalb der kleinen Gemeinschaft noch von rund 500 Sprecherinnen Sprecher und Sprecherinnen verstanden und verwendet, ansonsten ist er nur mehr auf Nachfrage der Sprachforschung erhältlich. Ursprünglich lässt sich Meinl von mein und klein ableiten, Meindl hingegen stand im Mittelhochdeutschen für Mittelpunkt oder Mitte

  • Schuss nach hinten oder nach vorne: Mehrsprachigkeit im historischen Vergleich Foto: Oswald Stimpfl

    Im Mittelpunkt einer Tagung in der Akademie Meran, die am 25. November ausgetragen werden wird, steht die Mehrsprachigkeit im Mittelalter, einer Zeit also, wo Sprachlandschaften und Sprachgrenzen unterschiedlich und mitunter fließend waren. Wie fließend aber war das Sprechen? 
    Nachdem es über viele Jahrhunderte keine nationale Standardisierung von Sprachen gab, dominierten eben regionale Dialekte und Sprachvarianten die Kommunikation. Das Verwenden nicht nur einer Sprache, war hingegen vor allem für jene Menschen unabdingbar, die in verschiedene Regionen reisten oder Handel trieben. 

  • Historische Mehrsprachigkeit in Südtirol lautet der Titel der Tagung zur Erforschung der Sprachgeschichte. In die Wege geleitet wurde die Veranstaltung von der Akademie Meran und – auf Neudeutsch – dem Center for Autonomy Experience der Eurac„Südtirol und das historische Tirol sind seit je eine mehrsprachige Alpenregion“, heißt es vielversprechend in der Ankündigung. Und weiter: „An der Überschneidungszone zweier großer Kultur- und Wirtschaftsräume gelegen, war das Italienische auch vor der Annexion Südtirols durch Italien von 1918-20 in Meran, Bozen oder im Unterland nicht unvertraut. Und auch im Trentino verwendete man seit dem Mittelalter mitunter Deutsch als Verkehrssprache.“ 

  • Verspieltes Lernen statt verspielte Mehrsprachigkeit: Der Mehrsprachigkeit mit Humor (und Doppelbödigkeit) begegnen Foto: Burgeis

    Neben den beiden großen Sprachen existierten natürlich weitere Sprachen (Ladinisch), die älter sind, oder auch solche, die nur eine geringe Anzahl an Sprecher*innen (etwa das sog. Rotwelsch) hatten. Mit zwölf Vorträgen – in deutscher oder italienischer Sprache – reichen die Ausführungen inhaltlich vom Frühmittelalter bis in das frühe 20. Jahrhundert, erkunden was man alles im südlichen Tirol zur Zeit von Oswald von Wolkenstein, Walther von der Vogelweide oder Dante Alighieri sprach, wie der einst weitgehend rätoromanische Vintschgau germanisiert wurde, oder was Orts- und Flurnamen über die Sprachgeschichte verraten. Die Linguistin Birgit Alber wird beispielsweise in ihrem Referat über den Sprachkontakt und die sprachliche Vitalität im Südbairischen (im Falle des Mòcheno, des Zimbrischen und beim Hutterischen) nachspüren, Maurizio Ferrandi über die Lavoratori di lingua italiana nel Tirolo meridionale a cavallo tra Otto e Novecento e una vertenza con gli albergatori del 1909 berichten, und Patrick Rina über die Mehrsprachigkeit in der Meraner Belle Époque. Weitere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Geschichtswissenschaft, Linguistik, Literatur- und Translationswissenschaft sowie der Kulturanthropologie werden Antworten geben und zum guten Schluss auch eine Brücke ins Jetzt schlagen. 

  • Bei einem Runden Tisch mit der Kulturschaffenden Adina Guarnieri, dem Historiker Werner Pescosta, der Linguistin Claudia M. Riehl und dem Historiker Lorenzo Vianini, wird über vorherrschende Vorstellungen von Mehrsprachigkeit in Geschichte und Gegenwart diskutiert werden. 
    Vielleicht wird es in Meran (nebenbei) auch darum gehen, welche Rolle aktuelle Lokalpolitik im Bereich Mehrsprachigkeit an Kindergärten, Schulen und ganz allgemein im Südtiroler Alltag spielt. Oder spielen könnte. Sowie natürlich darum, was eine Gesellschaft aus wissenschaftlichen Untersuchungen und der Geschichte lernen kann, für eine Gegenwart, die sich vor allem durch nichtssagenden Politikersprech hervortut, und eher mit "perfekter Einsilbigkeit" glänzt, anstelle "gelebter Mehrsprachigkeit". Aber das ist eine andere Geschichte.