Kunst | Hörspiel

Lauschangriffe

Gestern wurde im Museion „Life Chronicles of Dorothea Ïesj S.P.U.“ für offene Ohren und teils geschlossene Augen uraufgeführt. Ein dystopisches Hörspiel mit Untertiteln.
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Foto: almare
  • Das Werk „Life Chronicles of Dorothea Ïesj S.P.U.“ des italienischsprachigen Kollektivs Almare kann mit ruhigem Gewissen als ein High-Concept Science-Fiction Werk bezeichnet werden für das es gilt, sich auf ein recht abwegiges „e se…“ einzulassen: Was wäre wenn - ein Gedanke mit Wurzeln im 19. Jahrhundert - sich Klänge in Oberflächen unter günstigen Bedingungen absetzen und mit Hilfe der an Magie grenzenden und gleichzeitig auf interessante Art und Weise störanfälligen Technologie, genannt „ECHO“, zu neuem Leben erwecken ließen? Es entstünde wohl eine neue Art Archäologie der Klänge. Wie sich darüber hinaus in einer nebulösen, oft nur angedeuteten Welt innerhalb eines engen Kreises an recht wenigen Figuren unser Verhältnis zu ECHO gestaltet, ist die Hauptsache der von einer männlichen Ich-Erzähl-Stimme vorgetragenen Geschichte, welche selbst Teil der geheimnisvollen Societas Paleoacusticæ Universalis(S.P.U.) ist.

    Die Idee der „Archeoakustik“ stammt aus dem 19. Jahrhundert, deren Realisierung erfolgt in einer nicht näher definierten Zukunft. Wie oft in Genre-Geschichten stellen wir fest, dass auch das quasi-magische ECHO einer Reihe von sehr speziellen Limitierungen unterworfen ist, die in der „spiel“ Hälfte des Hörspiels erforscht werden. Hier sieht sich der Hörer auch schon mal mit als bedrohlich zu empfindendem Lärm und Verzerrungen konfrontiert, im starken Kontrast und ständigem Wechselspiel mit unserer männlich gesprochen, (über Pronomen) weiblich markierten Hauptfigur. Dies ist nicht die einzige interessante, allerdings nur durch eine Einführung dechiffrier- und deutbare künstlerische Entscheidung mit V-Effekt, die das Publikum im Laufe des Abends erleben sollte. Es sind auch Versatzstücke von Audioaufnahmen unterschiedlichsten Alters, teils bekannt doch verfremdet, die unser Trommelfell leicht gegen den Strich bürsten.

    Auf einer visuellen Ebene ist „Life Chronicles of Dorothea Ïesj S.P.U.“ von einer schlichten Kargheit. Vorab war von einer Filmpremiere die Rede, was wohl technisch korrekt ist. Hauptsächlich sehen wir auf schwarzem Grund, den helle Imperfektionen wie wechselnde Sterne sprenkeln, in der linken Bildhälfte eine italienische, in der rechten eine englische Untertitelung. Angefertigt wurde diese mit beweglichen Lettern, das Schriftbild verfremdet auf italienischer Seite ein „ß“ für zwei „ss“, auf englischer Seite steht statt „th“ dessen altenglisch/-nordische Entsprechung als Buchstabe „Þ“, Thorn genannt.

  • Life Chronicles of Dorothea Ïesj S.P.U.: Viel gab es gestern Abend im Keller des Museion nicht zu sehen. Dafür gab es ordentlich etwas auf die Ohren. Foto: SALTO

    Statt Unmittelbarkeit setzt das Kollektiv Almare in seinem Werk auf versteckte Zeichen, vom Hören geht man zum aufmerksamen Horchen über und erlebt die Geschichte mitunter auf eine Weise, die selbst einen gewissen Ausgrabungscharakter hat. Braucht es auch für viele dieser kleineren Eigenheiten eine Erklärung, so wurde dieser Vermittlungsarbeit vor der Premiere des vom Online Radio Papesse in Auftrag gegebenen Hörspiels, Genüge getan und sie erfolgt auch online. Dass sich das Projekt an einer Schnittmenge zwischen einem nun vollends gläsernen Mensch der Zukunft, zwischen Fragestellungen der Archivierung, spannenden Möglichkeiten und Science-Fiction bewegen kann, macht es in erster Linie interessant, bedeutet aber auch, dass „Life Chronicles of Dorothea Ïesj S.P.U.“ sich an ein kleineres Nischenpublikum richtet, das bereit ist, aufmerksam zuzuhorchen. Im Anschluss an die von den Menschen vor Ort beklatschte Premiere sollten noch ein Live-Set und ein DJ-Set folgen.

    Mit einem bezeichnend an ein Publikum mit ausgewählten Interessen gerichtetem Abend für den ein Bruchteil der Eröffnungsgäste anwesend war, lässt das Museion „Hope“ ziehen. Offiziell schließt die Ausstellung am Sonntag. Bis dahin kann, wer will, im frei zugänglichen Erdgeschoss des Museion in „Life Chronicles of Dorothea Ïesj S.P.U.“ hineinhorchen, welches das Museion auch für seine Sammlung erworben hat. Nachdem das Museion für kurze Zeit etwas mehr „scattola vuota“ sein wird, stehen die nächsten Ausstellungen an, wohl mit populäreren Themen: Geplant sind mit Doppel-Vernissage am 21. März, 19 Uhr, „Renaissance“ - eine Gruppenausstellungen zu jungen Positionen aus der Provinz und aus Mailand - sowie „Ezio Gribaudo - The Weight of the Concrete“, einer Schau um den 2022 verstorbenen Künstler und Verleger aus Turin.