Kultur | Salto Afternoon
Interessanter Quatsch
Foto: Andreas Tauber
Mit der ersten Eigenproduktion des Jahres unter Regie Dietmar Gampers (auch: dramaturgische Bearbeitung) setzt die Dekadenz auch ein Signal: Es geht um die Macht und Ohnmacht des Theaters. Ausgangspunkt hierfür ist das Werk (und ein wenig auch das Leben) von Daniil Charms. Das kurze, dichte Leben (1905-42) des Gründungsmitglieds der avantgardistischen Künstlergruppe OBERIU, welche nach zwei Jahren Tätigkeit verboten wurde, gilt unter Literaturwissenschaftlern als Voraussetzung dafür, um sein Werk zu verstehen. Es wird in einem eigens zusammengestellten Begleitheft umrissen. Das Werk Charms wurde erst im Zuge der Perestroika vollständig erschlossen, zu Lebzeiten waren etwa lediglich zwei Gedichte „für Erwachsene“ Charms veröffentlicht. Es galt für ihn ein Auftrittsverbot und seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Kinderliteratur. „Mich interessiert nur der Quatsch“, wird der Autor in den Begleittexten zitiert, und weiter: „nur das, was gar keinen praktischen Sinn hat. Mich interessiert das Leben nur in seiner unsinnigen Erscheinung“, wobei zu betonen ist, dass dieser „Quatsch“ auf der Bühne mehr hintersinnig als unsinnig ist.
Löblich ist, in Bezug auf Dietmar Gampers Vorliebe für seinen „Lieblingsautor“ zu erwähnen, dass die Montage aus Textfragmenten des Charms, für sich stehen kann. Real war die Gefahr, dass hier ein Stück nur für Kenner entsteht, statt dessen wurde ein gegenwärtiges Stück Theaterliteratur aus der Collage, welche die Grenzen des im Theater Möglichen aushandelt. Dazu lässt man sich an Anfang und Ende Zeit, in das bürgerliche Milieu der Fragmente in einem halbtransparenten Bühnenraum (Sara Burchia), ein- beziehungsweise aus diesem wieder herauszuführen. Dafür steckt die textlose Vokalmusik Simon Gampers einen Rahmen ab, die mobilen Vorhänge gestatten halben Einblick in eine zweigeteilte Bühnensitutation: Margot Mayrhofer schnarcht auf der einen Seite, groß und schlaksig wie sie ist, entspricht sie im Aufzug eines Sherlock Holmes (mit Pfeife, Kostüme von Sieglinde Michaeler und Walter Granuzzo), genau dem Bild, welches wir vom Autor haben. Markus Oberrauch und Frederick Redavid spielen nebenan Szenen einer Ehe.
Hinzu kommt bei allen pantomimenhafte Schminke (Maske: Gudrun Pichler), welche klar den Stückcharakter unterstreichen. Die dumpfen Sounds, welche wie durch eine Wand zu uns dringen und den Filter verlieren, wenn im Stück eine Tür offen steht, evozieren die beengten Wohnverhältnisse einer „Kommunalka“, wo für Menschen kaum und für Klassenunterschiede überhaupt kein Platz ist. Die technische Leitung von André Niederkofler trägt damit das ihre dazu bei, dass, bei aller Stückhaftigkeit, eine historische Realität jenseits des Bühnenraums erahnt werden kann.
Den Schauspielern kommen dabei verschiedene Rollen zu, die meist bürgerlich sind, ab und an aber auch, weniger mit Text und mehr mit mimischen Mitteln, Zensur und Polizei abbilden. Redavid findet sich dabei häufiger als seine Mittspieler in humorigen Rollen, ihm fehlt am Abend etwas die Gelegenheit auch ernst zu spielen. Oberrauch und Mayrhofer hingegen warten mit Rollen und Darbietungen auf, welche an beiden Enden des breit gespannten Spektrums von Ernst und Humor überzeugen können. Die Belanglosigkeiten, die sich dabei vor unseren Augen abspielen sind immer wieder vordergründig komisch und hintergründig bedenklich, weil sie auf größere sozialpolitische Themen verweisen und absurd in ihrer inneren Logik, doch von den Figuren auf der Bühne mit Ernsthaftigkeit behandelt werden. In etwa so, wie sich auch die Gruppe OBERIU auf die Fahne schrieb, in Ablehnung einer bürgerlichen oder weltlichen Ordnung.
Immer wieder stockt das Theater auf der Bühne, wenn Männer (oder eine Frau) in Uniform im Publikumsraum kritisch zusehen. Eine Anekdote bricht ab: Ein Mann trifft einen anderen beim Kauf von Braunbrot und… das war es eigentlich schon. Man bricht ab und wir erfahren damit nie auf welche „antisowjetische“ Pointe der Schwank hinausgelaufen wäre. Ein anderes mal, wenn mehr zu hören ist, aber aus unserer Sicht auch nichts augenscheinlich kritisches, erleben wir Polizeiwillkür und Prügelstrafen. Auch eine Szene mit einem Arzt stellt Autoritätshörigkeit in Fragen, als dieser ein Medikament verschreibt, mit ungeahnten Folgen für den Patienten, dessen Fragen nach der Art des Mittels gänzlich unbeantwortet bleiben. Der Grundton des Stückes ist, bei allem humoristischen Gegengewicht, trostlos und finster.
Die Spannung der Unterbrechung muss man allerdings auch dann aushalten, wenn sich das Stück Gedanken zu seinem eigenen Medium macht, sich fragt, was nun Theater ist, oder wie das Lachen des Publikums zu werten sei. Das Lachen teilt man in zwei Grundarten, denn entweder, es würde ein großer Teil des Publikums doch nicht vollends lachen, oder es würde das Lachen lediglich einige wenige erreichen, die dafür, hintergründig, umso lauter lachen würden. Man findet auf der Bühne seine Antwort, welches der beiden Lachen wertvoller sei. Das Stück sprach dabei beide Gruppen an, es gab immer wieder auch Slapstickhaftes zur Auflockerung, wie auch Pointen zum Einsickern und Spätlachen. Dass beides nahtlos in einander übergeht und wir ein Instrumentarium zur Hand bekommen um unser eigenes Lachen zu reflektieren, sieht uns grübelnd, aber nicht verstimmt einen Theaterabend verbringen. Dabei werden auch die einzelnen Szenen nicht immer zu Ende gespielt. Es handelt sich, wie gesagt, um Fragmente, die manchmal auch nur damit enden, dass zwei Figuren zeitgleich stolpern und die Schauspieler zur nächsten Szene übergehen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Ende: Ein weiterer Schwank, der am Ende aber den Tonwechsel schafft und an die Opfer systemischer Gewalt erinnert, bricht ab und es begleiten uns Musik- und Lichtwechsel emotional aus der Stückerfahrung heraus. Danach gibt es vom dicht gesetzten Premierenpublikum wohlverdienten Applaus.
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