Politik | Sterzing

Sterzinger Tauschgeschäfte

Posten, Partner, Protest: In Sterzing wird die Stadtregierung neu gemischt – mit Halbzeit-Ressorts, alten Rivalen und einer mutigen Schulentscheidung.
Peter Volgger
Foto: AT/SALTO
  • Ein strahlender Bürgermeister, weniger glückliche Parteigenossen, eine abgestrafte Ex-Stadträtin, eine deutlich geschwächte SVP, dafür Bessone und die STF mit ins Boot geholt – die einzigen echten Gewinner bei der neuen Stadtregierung scheinen Bürgermeister Peter Volgger und der Koalitionspartner Insieme per Vipiteno – Zusammen für Sterzing zu sein.

    Wie berichtet, wird die Bürgerliste „Für Sterzing Wipptal“ die Regierungskoalition mit der interethnischen Liste fortsetzen. Bei der ersten konstituierenden Sitzung des neuen Gemeinderates, die am vergangenen Mittwoch (21. Mai) stattgefunden hat, gab es dennoch einige kleinere und größere Überraschungen: Ein wesentlicher Richtungswechsel betrifft dabei das Schulressort: Mit Chiara Martorelli übernimmt erstmals eine Italienerin nicht nur die italienischen Kindergärten und Schulen, sondern auch jene der deutschen Sprachgruppe – ein Paradigmenwechsel in der Südtiroler Geschichte, den die bisherige Schulstadträtin Verena Debiasi (Für Sterzing Wipptal) zwar lobend hervorhob, sich bei der Abstimmung über die Verteilung der Kompetenzen jedoch ihrer Stimme enthielt. Auch die restlichen „alten Hasen“ der Bürgerliste schienen ihrem Gesichtsausdruck nach nicht in helle Freude ausbrechen zu wollen. Ob der Grund darin liegt, dass es keine „klassische“ Aufteilung der Ressorts im neuen Stadtrat gibt, sondern jeder – ausgenommen Debiasi – ein bisschen mitmischen darf? Auf Nachfrage verneinte dies Bürgermeister Peter Volgger: Die Aufgabenverteilung hätten sich alle Beteiligten untereinander ausgemacht – auch wie die finanzielle Vergütung (ein Gemeindereferent erhält in Sterzing knapp 2.000 Euro) aufgeteilt wird. 

  • Halbzeitlösungen und Helfer

    SVP-Gemeinderat Werner Graus: „Die Halbzeitlösung ist nur dazu da, um Posten zu besetzen und Ansprüche zu befriedigen.“ Foto: AT/SALTO

    Auf Vorschlag von Bürgermeister Peter Volgger sind für zwei Ressortbereiche sogenannte „Halbzeitlösungen“ vorgesehen, bei denen die Zuständigkeit nach der Hälfte der Amtszeit wechselt. Zudem sollen allen Ressortleitern zusätzliche „Helfer“ zur Seite gestellt werden – dies wurde allerdings erst auf Nachfrage von Werner Graus (SVP) und Daniel Seidner (SVP) offengelegt. Graus, noch nie recht zimperlich in seiner Wortwahl, übte heftige Kritik an dieser Entscheidung. 

  • So sei die Halbzeitlösung nur dazu da, „um Posten zu besetzen und Ansprüche zu befriedigen“. Dies sei die falsche Lösung und behindere die Arbeit des Stadtrates, so der SVP-Gemeinderat. „Die Aufgaben werden von Anfang an gemeinsam wahrgenommen“, widersprach hingegen Volgger. „Offiziell“ soll demnach Heinrich Forer nach der Hälfte der Legislatur an Walter Gögl abgeben, der damit doch noch zu einem wichtigen Posten kommt. Wohl mit ein Grund für die harsche Reaktion der SVP-Vertreter: Gögl saß während der letzten Legislaturperiode noch für die Edelweiß-Partei im Sterzinger Rathaus, und zwar nicht als einfacher Gemeinderat, sondern er trat bei den letzten Wahlen sogar als Bürgermeisterkandidat für sie an. Auch Benno Egger wird sein Ressort nach der Hälfte der Amtszeit an Manuel Ernandes übergeben. Parallel dazu tauschen sie auch die Vertretung im Bezirksrat. Kein Ressort bleibt also ausschließlich in einer Hand. Sogar Jonas Gasser (Süd-Tiroler Freiheit) erhielt ein Mitspracherecht – im geförderten Wohnbau. Ein Affront für Verena Debiasi, die über Jahre hinweg Verantwortung trug, nun aber leer ausgeht. War es also ein taktischer Schachzug von Volgger, beide Schulbereiche an Martorelli zu übertragen, um Debiasi aus dem Spiel zu nehmen? Debiasis Reaktion ist vor diesem Hintergrund verständlich: Als Einzige der Koalition enthielt sie sich der Stimme. In ihrer Stellungnahme klang Enttäuschung durch, auch wenn sie die Entscheidung grundsätzlich begrüßte: „Ich denke, die Zusammenführung beider Schulen hat Signalwirkung, und sie sind bei Chiara Martorelli in guten Händen.“ Sie hätte sich jedoch gewünscht, dass auch der Kulturbereich vereint worden wäre – als Zeichen gegenseitigen Vertrauens. Debiasi bemängelte zudem mangelnde Erneuerung in der Bürgerliste. Kritisch sah sie auch die Rolle von Manuel Ernandes – dem meistgewählten Gemeinderat der Bürgerliste –, der in der ersten Hälfte der Legislatur nur ein Mitspracherecht bekommt. Sie hätte andere Lösungen vorgezogen, wolle sich jedoch in Zukunft mit Sorgfalt den Aufgaben eines Gemeinderates widmen. Damit ging die Bürgerlistlerin zwar nicht in die offene Opposition, zwischen den Zeilen hat aber jeder verstanden, was sie davon hielt. Während sich Debiasi ihrer Stimme enthielt, stimmte die SVP offen gegen Volggers Vorschlag.

     

  • Süd-Tiroler Freiheit für Schulzusammenführung?

    Das wohl bemerkenswerteste Novum – die Zusammenlegung der deutschen und italienischen Schule unter Führung einer Italienerin – geriet fast zur Nebensache, schließlich erkannte die Mehrheit den richtungsweisenden Vorstoß. Aus Parteiräson musste die SVP natürlich dieser Entscheidung widersprechen – oder um es mit den Worten von Daniel Seidner zu sagen: „Formal ist es natürlich möglich, die deutsche und italienische Schule in eine Hand zu legen, politisch jedoch nicht vertretbar – auch im Sinne unserer Geschichte. Wir haben für unser Schulsystem gekämpft – dafür werden wir von jeder anderen autonomen Provinz beneidet. Deshalb glaube ich nicht, dass wir als Erste zu solchen Experimenten greifen müssen.“ Sein Vorschlag: Bürgermeister Volgger solle selbst die deutsche Schule übernehmen – ebenso wie die deutsche Kultur. 

  • Jonas Gasser: Der STF-Gemeinderat stimmte der Kompetenzverteilung zu und damit auch der Zusammenlegung der italienischen und deutschen Schule unter Führung von Chiara Martorelli. Foto: privat

    Jonas Gasser (STF) hingegen äußerte sich nicht explizit zur Schulzusammenlegung, obwohl der Erhalt des muttersprachlichen Unterrichts ein Kernthema der Süd-Tiroler Freiheit ist. Überraschend stimmte er dann auch der Kompetenzverteilung, und damit auch der Zusammenlegung der italienischen und deutschen Schule unter Führung von Chiara Martorelli, zu. Keine Unvereinbarkeit mit der Parteilinie? Man stelle sich vor, im Landtag würde ein Abgeordneter der Heimatpartei ausscheren und für so einen Vorschlag votieren – Sven Knoll würde Zeter und Mordio brüllen und den „Verräter“ aus dem Saal jagen. Aber die Sterzinger Uhren laufen offenbar anders, und möglicherweise hat das verlockende Angebot der Mitsprache im geförderten Wohnbau und in Krankenhausbelangen das Seinige dazu beigetragen. Sogar der ehemalige Landesrat Massimo Bessone, der für die Liste „sìAmo Vipiteno“ einen Sitz ergattert hatte, bekam eine Aufgabe zugewiesen: Und zwar soll er Kontakte nach Bozen herstellen, die seit dem Bruch der Sterzinger mit der Landesregierung wegen der Schließung der Geburtenstation arg ramponiert sind. Ob nun eine Zusammenarbeit – und in welcher Form – der SVP-Fraktion angeboten worden ist, gestaltete sich ebenfalls kurios: „Nicht nur die anderen haben die Zusammenarbeit angeboten, sondern auch wir. Wir wurden aber leider nicht berücksichtigt“, so Seidner. Dem widersprach Bürgermeister Volgger. Seiner Meinung nach wurde der Wunsch nach Mitarbeit wohl zu wenig deutlich geäußert bzw. nicht klar genug benannt, in welchen Bereichen. Beide Seiten erklärten letztlich, das Angebot zur Zusammenarbeit bleibe aufrecht – was allerdings eher wie eine leere Floskel klang. Denn wie ein Gemeinderat nach Ende der Sitzung treffend bemerkte: Wenn alle mitarbeiten – wer macht dann die Oppositionsarbeit?