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„Du bist mir so Eine“

Maddalena Fingerle hat mit ihrem noch unveröffentlichten Roman den "Premio Italo Calvino 2020" gewonnen. Ein Gespräch und literarische Einblicke zu "Lingua madre".
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Foto: Julia Mayer

salto.bz: Wie ist Ihnen die Figur Paolo Prescher zugefallen? Woran soll er die Leser*innen erinnern, bzw. wo soll er sie hinführen?

Maddalena Fingerle: Am Anfang hatte ich nur ein Wortspiel im Kopf bzw. ein Anagramm – „parole sporche“ –, ein Bild von Lucian Freud und die Idee, dass er von Wörtern fasziniert sein muss. Später hat sich alles noch entwickelt und geschärft. Meine Hoffnung ist, dass man in ihm keinen Verrückten sieht, sondern die personifizierte Übertreibung von Charakterzügen, die wir alle haben. Vielleicht könnte er die Leser vielleicht in die Obsession oder Faszination von Sprache einführen, das erhoffe ich mir zumindest.

Sie sind in Bozen aufgewachsen und in Bozen zur Schule gegangen. Wie haben Sie sich sprachlich zurechtfinden müssen?

Ich bin italienischer Muttersprache und daheim haben wir nur Italienisch gesprochen. In der Schule hatten wir natürlich Deutsch, aber es war und ist für mich eine Fremdsprache. Schon in der Schule war ich von der deutschen Sprache sehr fasziniert und hatte auch immer sehr gute Lehrerinnen.

Sie tragen einen deutsch tönenden Familiennamen. Wie hat sich dieser in Ihrem Leben festgemacht?

Das ist mein Kreuz! Die Wahrheit ist, dass ich ihn schlecht ausspreche, weil darin ein deutsches „r“ da ist. Mit meinen Kollegen in München machen wir Aussprache-Sessions, in denen wir alle meinen Namen aussprechen, eigentlich ist es ziemlich witzig.

Mia madre piange perché ho le parole in testa. È da quando sono nato, che mia madre piange. Piange perché la mia prima parola è parola. Piange perché dico parola e non mamma. Piange perché mio padre non parla nemmeno quando io dico parola e non mamma. Piange perché quando sono più grande le dico che ormai parola non significa più parola perché lei mi sporca la parola. Piange perché le dico che odio le parole sporche perché sporche come la parola parola. Lei non capisce e quindi piange.
[aus "Lingua madre"]

Wann haben Sie Ihre Freude an der „anderen Sprache“ entdeckt? Wann die Vorteile von Zweisprachigkeit?

Schon im Gymnasium war ich davon fasziniert, vor allem wegen meiner Lektüre von deutschsprachigen Autoren, von Kafka bis zu Thomas Mann. Dann an der Uni habe ich Mittelhochdeutsch entdeckt und da ist die große Liebe zur deutschen Sprache noch stärker geworden. Ich liebe auch deutsche Dialekte.
Die Vorteile der Zweisprachigkeit kann ich nur aus der Perspektive einer nicht Zweisprachigen beurteilen: Es gibt bestimmte Wörter, die auf Deutsch viel natürlicher klingen als auf Italienisch, und andersrum. „Fremdschämen“ ist etwas, was mich sehr fasziniert, genauso wie „ansia“ – ich finde, man kann sie nicht wirklich übersetzen. Und dann gibt es noch so einen Ausdruck, den ich nie wirklich verstehen kann: „Du bist mir so Eine“. Die Vorteile sind so zu verstehen: Man kann viel mehr sagen, und zwar anders, und deswegen auch viel mehr denken, und anders denken.

Sie haben einen sozialpolitischen Gesellschaftsroman geschrieben... 

Ja, man könnte es so sagen. Aber die politische Perspektive des Protagonisten ist die meiner Generation, die sich in Hinblick auf Politik weniger als Gruppe versteht und eher als Individuen. Es geht vor allem um das Problem der Sprache und die Suche nach einer „sauberen“ Sprache im Sinne einer ehrlichen Sprache, die frei von Erfahrungen ist, vielleicht eine Utopie?

Weniger utopisch ist nun wohl eine baldige Veröffentlichung des Romans...

Die Veröffentlichung steht noch offen, ich hoffe natürlich, dass es klappt!

Lo ripete sempre mia madre: papà è afasico. A me fa paura la parola afasico perché mi fa soffocare e mi viene l’asma, che non ho mai avuto, ma me la sono fatta venire perché se lui è afasico io devo essere asmatico.
All’inizio il papà aveva il mutismo selettivo – parola che mi fa soffocare meno – e io speravo di cavarmela con un’asma selettiva. Ma poi ha smesso completamente di parlare, così ora lui ha l’afasia, e io l’asma.
Un po’ di ventolin e tanto aerosol e io già sto meglio, invece per il mio papà non è così facile
[aus "Lingua madre"]

Sie schreiben in italienischer Sprache. Glauben Sie in 20 Jahren – umgekehrt wie etwa die Jurorin des Premio Italo Calvino, die Schriftstellerin Helena Janeczek aus München – in der anderen Sprache Literatur zu machen?

Das wäre so schön! Aber ich glaube, dass es viel schwieriger wäre und es noch mehr Arbeit kosten würde. Ich habe nur einmal auf Deutsch geschrieben, und zwar für einen Wettbewerb von der Bayerischen Akademie des Schreibens. Es hat wirklich viel Spaß gemacht, aber mir ist auch sofort klar geworden, dass die sprachliche Grenze auch eine mentale ist. Aber vielleicht in 20 Jahren...

München, die Stadt in der sie mittlerweile leben, hat eine lebendige Literaturszene. Sind Sie Teil davon?

Ein Teil davon bin ich nicht, nein, weil ich auf Italienisch schreibe, aber ich folge der Literaturszene in München mit großem Interesse! Es gibt verschiedene Kreise und Events, nicht zuletzt im Literaturhaus – ich liebe das Literaturhaus in München.

A Bolzano tutto ha due nomi, a volte anche tre: uno in tedesco, uno in italiano e a volte, quando si deve, anche in ladino. Questo è un gran casino perché le parole hanno un potere metamorfico sulle cose. Non puoi pensare che una strada a Firenze abbia la stessa natura di una strada a Bolzano che non è solo una strada, ma anche una Straße. Per esempio c’è una montagna che si chiama Catinaccio, è un brutto nome ed è pure una brutta montagna, scura. Però succede, quando tramonta il sole, una cosa stranissima. La montagna inizia a cambiare e diventa tutta rosa e allora cambia anche il nome e diventa il Rosengarten, che è un nome molto, molto rosa e caldo. È la maledizione di re Laurino e del suo giardino di rose, ma dopo il tramonto torna a essere il Catinaccio ed è di nuovo scuro e freddo e brutto.
[aus "Lingua madre"]

Muss man sich als Boznerin mit dem Thema Zweisprachigkeit beschäftigen, um davon loszukommen?

Ich fürchte, ja. Bozen hätte so viel Potential, dass es einfach schade ist, wenn das nicht ausgenutzt wird. Ich finde natürlich auch schade, dass wir heute noch darüber reden müssen, aber andererseits ist es ja auch wichtig, damit sich etwas ändern kann.

Warum ist das „mehrsprachige Südtirol“ eine Farce?

Leider sprechen die italienischsprachigen Südtiroler selten Deutsch. Das Lernen der Sprache wird in der Schule häufig als Zwang empfunden – sicher auch, weil die Barriere des Dialekts noch hinzukommt. Oft hatte ich das Gefühl, dass deutschsprachige Südtiroler lieber Italienisch als die Standardsprache sprechen. Ich schäme mich ehrlich gesagt auch sehr dafür, dass ich den deutschen Dialekt aus Bozen immer noch nicht wirklich verstehen kann. Dafür beschäftige ich mich gerade mit dem Allgäuischen, das ist auch nicht viel einfacher.

Seit wann bewegen Sie sich nun schon auf literarischen Pfaden? 

2017 habe ich zum ersten Mal eine Erzählung in einer literarischen Online-Zeitschrift veröffentlicht. Seitdem habe ich mehrere Erzählungen auf diesem Wege publiziert und dann kam die Idee für den Roman.

Und wie geht es weiter?

Nun versuche ich erst einmal, diesen Roman zu veröffentlichen, dann schaue ich weiter. Aber eine Idee habe ich vielleicht schon, allerdings muss ich noch viel Recherchearbeit dafür leisten.