Repettos Erbe
Eine Morddrohung gegen Führungskräfte des Landesdienstes, der Vorwurf, die Mittel der EU-Strukturfonds nicht ausreichend zu nutzen: Die Abteilung Europa, ein sonst der Öffentlichkeit weitgehend unbekanntes Terrain der Südtiroler Landesverwaltung, kommt derzeit nicht aus den Schlagzeilen. Nachdem erst vergangene Woche bekannt wurde, dass Abteilungsdirektor Thomas Mathà, Amtsdirektorin Judith Nothdurfter sowie eine weitere Mitarbeiterin im Frühjahr eine anonyme Morddrohung erhalten hatten, spielte Landeshauptmann Luis Durnwalder in seiner Montag-Pressekonferenz Feuerwehr in Sachen EU-Gelder. Nichts sei dran an dem – zuletzt von der Südtiroler Tageszeitung erhobenen – Vorwurf, dass Südtirol Millionen verschlampe, weil es Schlusslicht beim Ausschöpfen der europäischen Strukturfonds ist, stellte Durnwalder klar. Sein Resümee: Südtirol habe im aktuellen Planungszeitraum 100 Prozent der Mittel aus dem Regionalfonds ausgeschöpft, für die Auszahlung der Mittel sei noch bis 2015 Zeit. Kurzum: „Wir können davon ausgehen, dass uns kein Cent verloren geht.“
Eine Feststellung, die auch der Verantwortliche der zuständigen Abteilung Europa Thomas Mathà teilt – zumindest wenn es darum geht, ob die insgesamt rund 315 Millionen Euro ausgeschöpft werden, die Südtirol im Zeitraum 2007 bis 2013 für grenzüberschreitende Interreg-Projekte mit Österreich, Investitionsprojekte des Europäischen Fonds für Regionalentwicklung (EFRE) sowie Maßnahmen für Aus- und Weiterbildung des Europäischen Sozialfonds (ESF) zur Verfügung standen. So werden die 75 Millionen Euro des EFRE unter anderem für die Projekte des Landes im Bereich Wasserstoffproduktion oder Mobilität eingesetzt; mit den 160 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds wurden seit 2007 1042 Projekte im Bereich Beschäftigungspolitik finanziert, die letzten Zuweisungen erfolgen nun im August.
Alles paletti also? Zumindest im Bereich der ESF-Gelder keineswegs. Denn hier ist der ehemalige Karneider Gemeindesekretär, der den Bereich 2010 mit Amtsdirektorin Judith Nothdurfter übernommen hat, gewissermaßen dabei, das Erbe der langjährigen Südtiroler Grande Dame der ESF-Gelder Barbara Repetto zu ordnen. Und auch wenn Thomas Mathà sich mit Kritik an seiner Vorgängerin zurückhält, macht er doch klar, dass dabei zwei kritische Tatsachen an den Tag kamen: die Verteilung der Mittel, die bis dahin „nach einem gewissen Ordnungsschema abgelaufen ist“ sowie „sehr viele Unsicherheiten in der verwaltungstechnischen Abwicklung“.
Lockere Handhabe
In anderen Worten: Die komplizierten Regeln bei der Verwendung der ESF-Gelder seien in Südtirol bis dahin trotz eines mehrstufigen Kontrollsystems weit lockerer genommen worden als auf italienischer und EU-Ebene, meint Mathà. Dies gelte vor allem für die Vorgaben bezüglich der Weitergabe von genehmigten Projekten an Dritte, bei der vielfach weder die Pflicht zur Ausschreibung noch die Grenzwerte eingehalten worden seien, wie viel des Projektes selbst gemacht werden muss. Die Folge? Bei der Abrechnung dieser Projekte kommt es teilweise zu Problemen und Verzögerungen, weil die notwendigen Dokumente oder Erfordernisse fehlen. Obwohl Mathà versichert, dass in den meisten Fällen versucht wird, eine einvernehmliche Lösung zu finden, werde es deshalb bei einigen Projekten zu Kürzungen der ursprünglich genehmigten Beiträge kommen.
Der Fakt, dass ein Jahr vor Auslaufen des aktuellen Siebenjahreszeitraumes noch nicht einmal die Hälfte der Gelder ausbezahlt sind, hat laut dem Abteilungsdirektor aber auch damit zu tun, dass einige Projektträger mit der Abrechnung nicht nachkommen. So habe allein die italienische Berufsschule Luigi Einaudi derzeit noch 90 offene Projekte. Ein gewisser Spiegel für die Verteilung der Gelder, bei der die Berufsbildung traditionell eine der Hauptadressatinnen war, wie Mathà bestätigt. Allerdings nicht die zahlenmäßig weit stärkere deutsche Berufsbildung, sondern ihr italienisches Pendant – für das ESF-Verantwortliche Repetto bekanntlich jahrelang als Ressortdirektorin verantwortlich war.
Potential nicht ausgenutzt
Doch auch insgesamt sieht der Direktor der Abteilung Europa das Potential der ESF-Gelder in Südtirol bei weitem nicht ausgeschöpft. Denn diese könnten nicht, wie bislang in Südtirol üblich, für eine „sehr traditionelle Art der Aus- und Weiterbildung genutzt werden, wobei bei manchen Projekten schon der konkrete Nutzen in Frage gestellt werden muss“, sondern sie könnten weit breiter und effizienter eingesetzt werden – eine Aufforderung, die laut Mathà auch von den externen Bewertern der Südtiroler ESF-Aktivitäten kommt. Nur einige Beispiele möglicher weiterer Einsatzbereiche für die Mittel, die von der Europäischen Union zur Förderung der Beschäftigung geschaffen wurden? Mikrokredite für Startups, Vouchers für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Maßnahmen zur Verbesserung des Spracherwerbs oder gar die Finanzierung der Lohnausgleichskasse.
Alles Maßnahmen, die in Zeiten eines schrumpfenden Haushaltes und zunehmender Arbeitsmarktprobleme auch in Südtirol mehr als willkommen sind. In diesem Sinne wird jetzt schon an den Kriterien für den Tätigkeitszeitraum ab 2014 gearbeitet, in dem laut Mathà vor allem die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, die soziale Integration und Inklusion sowie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Vordergrund stehen werden. Viel Raum für neue Ideen und Projekte also – auch wenn im Gegenzug so manche Stammkundschaft auf der Strecke bleiben könnte. Sieht der Abteilungsdirektor also auch die Morddrohung vor dem Hintergrund der großen Summen und vielen Interessen, die beim ESF-Rennen auf dem Spiel stehen? „Klar ist, dass der Wind nun schärfer weht“, antwortet Mathà. „Und auch wenn die Drohung die Tat eines oder einer geistig Verwirrten sein mag, ist sie absolut in dieser Art zu lesen.“