Politik | Migration

Irreguläre Migration ohne Ende?

Klaus Vogel, Kapitän von SOS Méditerranée, hat natürlich recht, dass nicht nur eine moralische, sondern auch rechtliche Pflicht besteht, Menschen aus Seenot zu retten.
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In einem FF-Interview (Nr.28/17) hatte Vogel kürzlich darauf verwiesen, dass es nicht nur eine moralische, sondern auch rechtliche Pflicht der europäischen Staaten ist, Menschen in Seenot zu retten. In einem Urteil zu Italien hat es der Europäische Menschenrechtsgerichtshof 2012 sogar verboten, Migranten an einer territorialen Grenze – das wäre jene der Hoheitsgewässer der nordafrikanischen Staaten – ohne Prüfung eventueller Rechtsansprüche auf Asyl zurückzudrängen. Deshalb versuchen die Schleuser, die seeuntauglichen Schlauchboote zumindest über die 12-Meilen-Zone hinauszujagen.

Allerdings hat auch Außenminister Kurz recht, wenn er vor 10 Tagen in Bozen dringend einen „Systemwechsel“ forderte: „Eine Europa ohne Grenzen nach innen kann es nur geben, wenn die Außengrenzen funktionieren. Das Ziel ist klar: eine Schließung der Mittelmeerroute, die Beendigung der illegalen Migration übers Mittelmeer. Es kann nicht sein, dass die Entscheidung, wer nach Europa zuwandern darf, von den Schleppern getroffen wird, und nicht von der EU oder den betroffenen Nationalstaaten.“

Für Italien wird das schon immer dringender: wie kann man verhindern, dass immer mehr Migranten kommen? Wie ist zu verhindern, dass sich hunderttausende Afrikaner aus der Subsahara überhaupt auf den Weg nach Europa machen? Es ist kaum zu bestreiten, dass eine Migrationsdynamik entstanden ist, die Italien auch 2017 mindestens 200.000 nicht erwünschte Zuwanderer über die Libyenroute bescheren wird. Die hohe Wahrscheinlichkeit, gerettet zu werden - gleich ob von FRONTEX oder SOS Méditerranée - und die geringe Wahrscheinlichkeit, nach Ablehnung des Asylantrags in Italien wieder ins Herkunftsland zurückgeführt zu werden, lässt unzählige Afrikaner Monate elender Internierung in Libyen, Ausbeutung durch Schlepper und Lebensgefahr auf dem Meer in Kauf nehmen. Hier stimmen Kurz und Vogel sogar überein: es läge im Interesse der migrationsbereiten Menschen selbst, davon abgehalten zu werden, in libyschen Sklavenlagern ausgebeutet und gefoltert zu werden und dann das Leben bei der Überfahrt zu riskieren.

Kurz verweist immer wieder auf die Schließung der Westbalkanroute, die den Zustrom irregulärer Migranten um 98% gedrosselt hat. Er hätte auch auf die Marokkoroute verweisen können, wo nur noch rund 5.000  Migranten jährlich nach Spanien durchkommen, seit Spanien zusammen mit FRONTEX und der lokalen Polizei die Küsten Marokkos patrouilliert und Schlepperboote gleich an der Küste abfängt. Dies ist allerdings nur ein Teil einer Gesamtstrategie zur Begrenzung der irregulären Migration, die funktionierte. Mit militärischer und finanzieller Hilfe konnte Spanien die westafrikanischen Regierungen, vor allem Marokko, Mauretanien und Senegal, zur Zusammenarbeit bewegen. In diesen Ländern liefen massiv Spots, um vor den Risiken einer Migration zu warnen. Gleichzeitig wurden mit jenen Ländern Abkommen zur schnellen Rückführung  von Illegalen ausgehandelt. Spanien bringt abgelehnte Asylbewerber tatsächlich zum Großteil zurück und ist heute kein bedeutendes Einfallstor für Bootsmigranten mehr. Allerdings ist Marokko auch nicht Libyen.

Auffanglager in Libyen, wie jetzt immer öfter vorgeschlagen, hält Klaus Vogel für blanken Zynismus. Tatsächlich würde man damit den Bock zum Gärtner machen. Wenn die Migranten an der Küste zusammen mit der libyschen Küstenwache zurückgedrängt werden, müssten sie in die Herkunftsländer zurückgestellt werden. Dafür braucht es aber die Kooperation mit den Transitländern, die Migrationszentren errichten müssten. „Solange das nicht funktioniert,“ so Kurz in Bozen, „werden wir nicht weiterkommen. Die illegalen Migranten müssen an der Außengrenze gestoppt und von dort aus muss die Rückreise organisiert werden aus zwei Gründen: erstens, wenn Menschen an Außengrenze gestoppt werden, machen sich viel weniger auf den Weg, weil es nicht mehr attraktiv ist. Zweitens, die Rückreise von der Außengrenze der EU kann viel leichter organisiert werden, als wenn schon Wohnungen in Wien oder Berlin bezogen worden sind.“

Für Migrationszentren und kontrollierte Rückführung ist Libyen allerdings immer noch ein schwarzes Loch. Diese Länder scheinen derzeit weder willens noch in der Lage, den Zustrom von Migranten an den Südgrenzen aufzuhalten, auch weil am Menschenschmuggel viel Geld verdient wird. Die Menschenrechtslage in Libyen ist katastrophal. Zudem weigern sich viele Herkunftsländer der Migranten, ihre Staatsbürger zurückzunehmen.

Wenn die EU eine starke Botschaft „Kommt nicht!“ an Millionen von migrationsreiten Afrikanern senden will, muss die Migrationsdynamik an allen Schwungrädern gebremst werden: eine gemeinsame EU-Asylpolitik, effizientere nationale Asylverfahren, die Sicherung der Südgrenzen der EU, die Stabilisierung der Transitländer, die enge Zusammenarbeit mit Nordafrika, die Rücknahme abgelehnter Asylwerber durch die Herkunftsländer. Aber auch Informationskampagnen in Afrika, Marshallplan und Hilfsprogramme für Schwarzafrika, eine Reform der Handelsbeziehungen zwischen Afrika und der EU, ein anderes Verhältnis zu den herrschenden Eliten in den afrikanischen Staaten wären Teil einer solchen Strategie.

Die Schließung von irregulären Migrationsrouten ist nicht nur legitim, sondern auch geboten, um dieser Migrationsdynamik mit Versklavung, Ausbeutung sowie lebensgefährlicher Überfahrt übers Mittelmeer mit nachfolgender übermäßiger Belastung einiger weniger Aufnahmeländer Einhalt zu gebieten. Nicht nur SOS Méditerranée, auch eine solche Politik würde Menschenleben und Menschenwürde retten.