Kultur | Gastbeitrag

Das Einmaleins von Beharrlichkeit

Das Ziel nicht aus den Augen verlieren, Netzwerke spinnen, den x-ten Forderungskatalog schreiben, Rückschläge einstecken …
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Foto: Laura Volgger

und die eigene Geduld dehnen als wär’s ein Gummiband. Das Feminismus-Gebot 2021. Schade nur, dass Gummi spröde wird. 

Triggerwarnung: Das ist kein Gute-Laune-Thema. Es sei denn, in deiner persönlichen Humor-Bilanz überwiegt der Galgenhumor. Beharrlichkeit gepaart mit Netzwerk-Denken ist die einzige Chance, um zumindest unseren Enkelinnen die größten Steine aus dem Weg zu räumen. Ein Samstag in Bozen will die Lethargie durchbrechen. Aufgelöst wird das Rätsel zum Schluss.
Genauso wie der Klimawandel ist Sexismus ein folgenschweres gesamtgesellschaftliches Problem. Das gilt auch für Rassismus und andere Ismen, die eines gemeinsam haben: Verhältnisse von Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu verbreiten. Und da landen wir früher oder später bei der Gewalt gegen Frauen. Die Bilanz der Femizide ist ernüchternd: Italienweit wurden im vergangenen Jahr 112 Frauen von ihren Partnern, Ex-Partnern oder Familienangehörigen ermordet (3 davon in Südtirol). Gesamtstaatlich rechnet man mit einem Femizid alle 60-72 Stunden: Letzthin nahmen Femizide zu, während die Morde insgesamt abgenommen haben. 2020 haben sich an die Kontaktstelle gegen Gewalt in Bozen 257 Frauen gewandt, um Hilfe und Beratung zu erhalten, in Meran waren es 165. Das ist nur ein Blick auf die zwei größten Südtiroler Einzugsgebiete.
Dabei gab es durchaus gutgemeinte gesetzgeberische Versuche, so den 2019 eingeführten Codice Rosso. Mit dieser Reform des italienischen Strafrechts und der italienischen Strafprozessordnung begegnet man dem Gewaltphänomen gegen Frauen und der häuslichen Gewalt damit, dass man Strafen verschärft und neue Straftaten eingeführt hat, u.a. Revenge Porn oder den Verstoß gegen ein Annäherungsverbot. Außerdem hat man damit eine Vorzugsspur bei den Ermittlungen und im Gerichtsverfahren eingerichtet. Trotzdem kam es nicht zum Durchbruch. Vielleicht, weil man zum Beispiel zwar verpflichtende Schulungen für die Exekutive vorsieht, ohne dafür Geld bereitzustellen. Selbst Strafrechtler*innen kritisieren mehrheitlich, dass der Staat auch mit diesem Codice Rosso nicht imstande war, jene zu schützen, die sich zu einer Anzeige durchringen. 


Und in Südtirol? Da werden auf der einen Seite nebulöse Erfolge gefeiert (am vergangenen Dienstag), die reinen Symbolwert haben, wie die Unterschrift unter der „Europäischen Charta für die Gleichstellung auf lokaler Ebene“ von 2006 (!), um eigene Akzente beim Abbau von Diskriminierungen setzen zu wollen. Vorerst nur wollen, denn der entsprechende Aktionsplan ist erst auszuhandeln. Es wird darum gehen, die Geschlechterperspektive in alle Aktivitäten von Lokal- und Regionalregierungen einzuführen, als Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern, sprich Gender-Mainstreaming und Gender-Budgeting. Brauchte es dazu 15 Jahre Nachdenkpause? 
Oder 


Auf der anderen Seite sollen im Namen einer falsch verstandenen Niederschwelligkeit Frauenhäuser und ihre Dienste ausgehöhlt werden, möchte die Landespolitik (mit welchen Fachkompetenzen?) die Arbeit der Expertinnen koordinieren, sollte der Gesetzentwurf von Soziallandesrätin Waltraud Deeg vom Landtag in ein Gesetz umgewandelt werden. So sahen sich die Frauenhausdienste am heutigen Freitag gezwungen, in einem Offenen Brief zu erklären, warum diese Einführung ein gefährlicher Schachzug ist, gefährlich für die Gewaltbetroffenen – für Frauen und ihre Kinder. Die bisherigen Versuche, es der Politik zu verdeutlichen, waren fehlgeschlagen. Bitte erkläre mir eine*r, was daran niederschwellig sein soll, wenn eine Betroffene in ihrem Dorf – wo, wie wir wissen, nichts verborgen bleibt (Ist Südtirol als Ganzes nicht schon Dorf genug?) – ins Rathaus, zum Bürger*innen-Schalter oder sonst wohin schleichen muss, um einer*einem Schalterbeamten mitzuteilen, dass sie Gewalt erfährt und sich dort Erstberatung zu holen? Ganz abgesehen davon, dass die Einführung von Neuem immer etwas kostet, hier wäre es die Schulung von nicht ausgebildetem Personal. Umso absurder die Tatsache, dass wir nicht einmal einen eigenen Topf haben, um Polizei, Gerichtspersonal u.a. zum heiklen Thema kontinuierlich weiterzubilden. Geschweige denn, um andere präventive und flankierende Maßnahmen zu setzen. Und bitte erkläre mir jemand auch, warum wir nicht auf die jahrzehntelange Erfahrung der Frauenhausdienste in Südtirol zurückgreifen sollen, mit ihren nationalen und internationalen Netzwerken und Synergien? Soll dieses neue Gesetz (noch ist es ein Entwurf) im Ernst das Geschenk zum heurigen Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen sein? Nach dem peinlichen politischen Hickhack am 25.11. vor einem Jahr. Soll es der alles wiedergutzumachende Trumpf sein, nachdem die Mehrheit 2020 den Vorstoß der grünen Opposition niedergeschmettert hat, die einen Beschlussantrag zu Präventionsmaßnahmen in Kindergarten und Schule vorgebracht hatte?

Warum tut sich Politik so verdammt schwer, auf Wissenschaft und Expert*innen zu hören?

Sie schafft‘s nicht bei der drohenden Klimakatastrophe (Fridays for Future, bitte lasst nicht locker!). Und sie schafft‘s offensichtlich auch nicht beim Thema Gendergerechtigkeit. Wo ist sie, die versprochene Radikalität in der Nachhaltigkeit? Weil die Uhr ja schon nach 12 zeigt, wie die Biologin Ulrike Tappeiner, Forscherin an der Eurac und Uni Bozen-Präsidentin, der Rai vor wenigen Tagen ins Mikrophon gesprochen hat. Wo ist eine Sozialpolitik, die den Rand in die Mitte zieht, die Prävention zum obersten Ziel macht (neben Hilfe im Akutfall natürlich)? Um endlich das Problem Gewalt an seiner Wurzel zu packen – die da heißt „toxische Männlichkeit“ oder „patriarchale Machtmechanismen“, unter denen übrigens auch Männer leiden. 
Das World Economic Forum hat in einer optimistischen Schätzung errechnet, dass es noch circa 95 Jahre brauchen wird, um eine Politik des Halbe:Halbe zu etablieren, 135 Jahre bis wir weltweit Lohngleichheit und Gleichheit bei der Besetzung von Führungspositionen erreicht haben werden, wenn wir in diesem Tempo weitermachen. Und wie ernst nehmen wir die UN-Nachhaltigkeitsziele 2030, unter denen Punkt 5 Gendergerechtigkeit lautet? Nur neun Jahre bleiben uns bis dahin. Nochmal als Ziffer: 9. Wie viel Geld ist hierzulande speziell dafür reserviert? 
Umso dringender ist es, beharrlich am Paradigmenwechsel zu arbeiten. Basta Ankündigungspolitik und Schubladendokumente, konkretes Handeln! Grund, um morgen nach Bozen zu kommen, zum Frauenmarsch|donne in marcia