Bühne | Jazz

Mythos Miles

Paolo Fresu, selbstbeschreibender „sardo testardo“, liebt die Trompete und die Trompete liebt ihn. Im Stadttheater Bozen stellt er mit 7 Musikern „seinen“ Miles Davis vor. Premiere gestern Abend im Bozner Stadttheater für das neue Material Fresus.
kind of Miles, Paolo Fresu
Foto: T. le Pera
  • „kind of Miles“ ist, man kann es ruhig sagen, ein ausgesprochen zugänglicher eineinhalbstündiger Jazz-Abend geworden. Auf großer Bühne und mit viel Schwarz (und seltener in Farbe) projizierte man den Geist von Miles Davis – etwa als Punktwolke im schwarzen Weltall, die durchflogen wird – als Visualizer an die Bühnenrückwand hinter der Band. Als „new media artists“ werden Marco Usuelli und Alexandre Cayuela geführt. Das ist manchmal schön, oft lenkt es etwas von den im Spiel miteinander versunkenen Musikern ab. Besonders die schöne dreifarbige Live-Projektion abstrakter Bilder der Hirnströme eines schweigenden Trompeters, die es im Foyer schon als partizipative Installation vorgelagert gab, war eine Ablenkung von der Musik.

    Die um den renommierten Jazz-Trompeter Paolo Fresu (Trompete, Flügelhorn, Soundeffekte) gescharte Band besteht aus Bebo Ferra (E-Gitarre), Christian Meyer (Schlagzeug), Dino Rubino (Klavier und Fender Rhodes), Federico Malaman (E-Bass), Filippo Vignato, (Posaune, Soundeffekte, Synthesizer), Marco Bardoscia (Kontrabass) und Stefano Bagnoli (Schlagzeug). Im Zusammenspiel mit dem Star bekommen sie im Bühnenraum Platz für Soli, sowie Angebote zum Dialog mit dem Sarden und seinem Instrument. Fresu, der wie mancher Kollege im Jazz am Saxofon die Nähe zur menschlichen Stimme sucht, unterstreicht dabei durch Abwendung vom Publikum seine Zuwendung zur Musik.

  • Paolo Fresu: Nostalgie nach einer Zeit in der man (nicht) gelebt hat, bekommt man von den wie für Freunde erzählten Musikgeschichten von Paolo Fresu, der sein Publikum auch musikalisch zu überzeugen weiß. Foto: Tommaso Le Pera

    Die Versunkenheit in letzterer – Rücken zum Publikum, Schallstück zum Boden vor einem Kollegen – wurde Miles Davis als Arroganz ausgelegt. Fresu erklärt und kontextualisiert neu, verteidigt den Musiker, dem er sich in besonderer Weise verbunden fühlt, der als prägender Einfluss offengelegt und zu dessen Stimme er einen leichteren Draht findet als etwa zum Zeitgenossen Gillespie. Im kurzweiligen Abendprogramm gehen wir nicht besonders tief auf das ein, was diese Stimme ausmacht. Die Stimme an der Trompete ist gemeint: Rauschend und knisternd geben Archivaufnahmen von Davis eine pointierte Gedankenklammer. Hier kommt man aber auch an den Rand der Jazzvermittlung: Da vielleicht mehr durch Afroamerikanisches Englisch und Audioqualität, dort dadurch, dass Sprache für die Nuancen von Musik oft ein zu grobes Mittel ist. Den wiederholten Eindruck, den Fresu in der Männerrunde auf der Bühne mitteilt, dass dieser ureigene Miles Davis Klang in den „mittleren Tonlagen“ etwas habe, dass er als „weiblich“ identifiziert, können wir nicht teilen.

    Neben der Vermittlung von einigem Triviawissen um den großen Jazz-Trompeter (sowie den Jazz der 50er bis 80er), werden viele Evergreens eingespielt. Das ist glatter, mit Spielfreude und Gefühl vorgetragener Jazz, der wenig Grund für Beschwerden gibt. Ausgesprochen locker geht es von einem Lied zum nächsten, vor dem letzten Stück noch einmal Weisheit aus dem Off, in Miles Davis rauer Altersstimme. Was als Letztes aus den Instrumenten kommt, ist gar nicht von Davis, nicht eigentlich: Cyndi Laupers „Time After Time“, das von Miles Davis in einer eigenen Version für sein Album „You’re Under Arrest“ von 1985 eingespielt wurde, dem letzten Album vor dem Wechsel von Columbia zu Warner Bros. in den letzten Lebensjahren.

  • Band und Bild: Die Band trug, trotz zweier Starttrompeter, einen ausgesprochen großen Anteil am Erfolg des Konzepts von „kind of Miles“. Fresu und Publikum applaudieren am Ende beide für die Männer. Foto: Tommaso Le Pera

    Irgendwie stört hier, kurz vor zwölf, doch noch die bis dahin unauffällige Regie (Andrea Bernard) für die Veranstaltung. An eine Regie hatten wir nicht gedacht, da Paolo Fresus Art, das Publikum in den Jazz einzuführen, eher etwas Erzählendes hat, das umgänglicher und weniger starr als etwa ein Monolog wirkt. Am Ende geht es neben Miles im Jazz aber eben auch um das Spiel in der Gruppe: So gibt es glücklicherweise im Anschluss noch eine kurze Zugabe mit neuerlichen „Tusch“- und Solomöglichkeiten für die uns nun mit Vornamen vorgestellten Musiker. Der Ohrwurm für den Heimweg ist aber eher der Text zu Laupers im Stadttheater wunderschön und in warmen Klangfarben interpretierter Balade. Witzig, dass hier der Text dem Gedanken an Miles im Weg steht. Unter den Jazzanekdoten, die Paolo Fresu im Gepäck hatte, ist auch die vom Saxofonisten Ben Webster, der ein Solo unterbrochen haben soll, weil ihm der Text einer von ihm mit Band gecoverten Ballade nicht mehr einfiel. Er sang in sein Saxofon hinein.

    Miles Davis Sprache ist dagegen eine wortlose. Am Ende ist das, was Fresu mit seinen Interpretationen und auch dem Gespräch zum Publikum an „Deep Cuts“ für bestimmte Aufnahmen und Stücke oder aber an Achtsamkeit für Details mitgibt, ausgesprochen zugänglich gestalteter Jazz. Das kann am Anfang eines tieferen Eintauchens stehen.

  • kind of Miles

    Bevor Paolo Fresu und Band mit dem Stück auf Italien-Tour gehen, ist es diese Woche noch im Bozner Stadttheater zu sehen. Heute (24. Oktober, 20.30 Uhr), morgen und übermorgen (jeweils 19 Uhr), sowie am Sonntag-Nachmittag (16 Uhr) wird „kind of Miles“ auf der großen Bühne des Stadttheaters gezeigt und liegt am Ausgang auch als Doppelalbum auf CD und Vinyl zum Verkauf bereit. Infos und Tickets finden Sie hier.