Politik | Wohnungsmarkt

Nahende Revolution

Seit Jahren fordert die Bauwirtschaft eine neue Wohnbaupolitik. Nun scheint die Stunde zur Abkehr von der Planwirtschaft gekommen zu sein. Doch was kommt stattdessen?
Haus
Foto: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

Thomas Ausserhofer hat viele Argumente für ein neues Südtiroler Wohnbaumodell. „Wo bleibt die Gerechtigkeit“, fragt er beispielsweise, „wenn jemand einen geförderten Grund um 30.000 oder 40.000 Euro bekommt und sich dann ein Haus um 400.000 Euro drauf bauen darf – während andere Familien wegen 2000 Euro zu viel in der Steuererklärung aus den Ranglisten fallen und auf dem freiem Markt suchen müssen?“ Dass der Bauunternehmer (Unionbau) und frühere Präsident des Südtiroler Baukollegiums in diesen Wochen den Dauerbrenner Wohnbauförderung aufgreift, hängt mit der Hoffnung zusammen, endlich eine Forderung umsetzen zu können, die Südtirols Bauwirtschaft bereits seit vielen Jahren vorantreibt: eine Neuausrichtung der Südtiroler Wohnbaupolitik. Ein Ansinnen, das Landeshauptmann Arno Kompatscher in seiner Haushaltsrede zugesichert hat und auch von Raumordnungs-Landesrat Richard Theiner offen kundengetan wird. „Das Thema leistbares Wohnen ist eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die wir anzugehen haben“, sagt Theiner. „Denn wenn wir ehrlich sind, hat heute nur jemand, der von seiner Familie erbt, wirklich die Chance, ein eigenes Dach über dem Kopf zu erwerben.“ Insofern sei der Wohnbau einer der großen Brocken, die mit der laufenden Überarbeitung des Raumordnungsgesetzes angegangen werden soll.

Ein Vorhaben, das dem Rütteln an einem der Grundpfeiler des Südtiroler Gesellschaftsmodells gleichkommt. Immerhin hat das von Alfons Benedikter in den Siebziger Jahren entworfene Wohnbaumodell dazu beigetragen, dass rund 80 Prozent der Südtiroler ein Eigenheim haben – und das in einem Land, in dem die Marktpreise für Grund aufgrund der knappen Verfügbarkeit jenen in europäischen Metropolen gleichkommen. Basis dafür war eine oft als planwirtschaftlich kritisierte Verteilung von Grund nach der Formel „60 :40“. 60 Prozent jeder für den Wohnbau ausgewiesenen Fläche müssen demnach dem geförderten Wohnbau zufließen. Von der verbleibenden Fläche kann auch nur über 40 Prozent frei verfügt werden; die restlichen 60 Prozent werden konventioniert, also Ansässigen vorbehalten, um so dem Ausverkauf der Heimat vorzubeugen.

 „Familien brauchen kein Grundstück, sie brauchen leistbaren Wohnraum“

Ein knappes halbes Jahrhundert nach seiner Erfindung scheint jedoch nicht nur den Bauunternehmern klar zu sein, dass die Nachteile des Modells seine Erfolge mittlerweile überschatten. Das zeigt sich nicht nur an einem erst kürzlich vom Arbeitsförderungsinstitut erhobenen Umfrageergebnis, wonach 96 % der Südtioler Arbeitnehmer die Preise für Immobilien als zu hoch einstufen. Die Konzentration auf das Eigenheim und vor allem das theoretische Vermietungsverbot von gefördertem Wohnraum hat darüber hinaus zu einer extremen Einschränkung des Mietmarktes geführt. „Wir sehen aber, dass immer mehr junge Menschen den Wunsch haben, zu mieten statt zu kaufen, und kein leistbares Angebot finden“, sagt Gemeindenverbandspräsident Andreas Schatzer. In den Gemeindestuben wächst laut ihm aber auch der Wunsch nach einer Aufweichung der strikten 60:40-Formel. „Denn es gibt Gemeinden, wo noch mehr Bedarf nach gefördertem Grund bestehen würde, während man in anderen wiederum mehr freie Flächen bräuchte“, sagt Schatzer. 

Ein Punkt, den auch die Bauunternehmen im Land berücksichtigen, wenn sie nun mit einem Vorschlag ein radikales Umdenken in der Wohnbauförderung eintreten. „Leistbares Wohnen UND Kosteneinsparungen für das Land“, lautet das Versprechen ihres Zukunftskonzepts, für das sie in dieser Woche nicht zuletzt Applaus vom SVP-Wirtschaftsflügel bekommen haben. Basis des Vorschlags ist das Abweichen von der Zurverfügungstellung von Grund. „Familien brauchen kein Grundstück, sie brauchen leistbaren Wohnraum“, sagt Thomas Ausserhofer. Deshalb schlagen die Bauunternehmer vor, dass der geförderte Wohnbau künftig nicht mehr in der Zurverfügungstellung von vergünstigtem Grund, sondern von gedeckelten Wohnungspreisen bestehen soll. „Sprich: In einer geförderten Wohnbauzone darf der Quadratmeterpreis für Wohnungen nicht höher 2200 oder 2500 Euro sein“, macht Ausserhofer ein Beispiel. Die Entscheidung darüber soll die jeweilige Gemeinde treffen, die bei der Umwidmung eines Grundes selbst soll gestalten dürfen, wie viel davon gefördert wird und zu welchen Preisen der Wohnraum dort verkauft werden kann. „Sie kann beispielsweise auch sagen, 20 Prozent darf nicht mehr als 2000 Euro kosten und weitere 20 Prozent nicht mehr als 2200 Euro“, so Ausserhofer.

Verdichtung statt Enteignung

Statt die dafür nötigen Grundstücke zu enteignen, sollen die Bauherren in Verhandlung mit dem Grundeigentümer gehen, der laut Ausserhofer sogar selbst darauf bauen könnte. „Bauen kann im Grund jeder, ob ein Bauträger, eine Genossenschaft oder der Grundeigentümer selbst“, sagt er. Klar sei, dass jeder Bauherr maximal zu dem dort vorgegebenem Preis verkaufen könne, wodurch sich auch der Preis für das Grundstück ergebe. Neben einer Entbürokratisierung sieht der Bauunternehmer in solch einem Modell auch den Vorteil einer gerechteren Aufteilung der doch beachtlichen Mittel, die für den Wohnbau eingesetzt werden. Satte 140 Millionen Euro sind auch im aktuellen Landeshaushalt für die Wohnbauförderung, die Enteignung von Wohnbauflächen, für das Bausparen und die Bevorschussung von Steuerabzügen veranschlagt.

Als wenig bekanntes Problem wirft Ausserhofer dabei unter anderem die mehrfache Förderung auf, die Nutznießer von gefördertem Wohnraum erhalten. Bereits bei der Enteignung von Grundstücken zahlt der neue Eigentümer nur rund ein Viertel des Marktwertes, ruft Thomas Ausserhofer in Erinnerung: Denn der Grundeigentümer bekommt bei einer Enteignung die Hälfte des Marktwertes plus zehn Prozent; die Gemeinde verkauft das Grundstück dann an die neuen Eigentümer noch einem um die Hälfte dieses Preises. „Danach gibt es aber im geförderten Wohnbau noch einmal eine Rückerstattung von 60 % der Infrastrukturkosten und dann oft auch noch Beiträge für den Bau selbst.“ Im Modell des Baukollegiums würde dagegen erst beim Kauf der Wohnungen zu gedeckeltem Preis bestimmt, wer aufgrund seiner finanziellen Situation noch Anrecht auf zusätzliche Beiträge hat. Auch den Mietmarkt könnte man stark beleben, wenn die geförderten Wohnungen auch zu ensprechend gedeckelten Preisen vermietet werden können.

Sicher ist laut Ausserhofer, dass das Modell des Baukollegiums zu einer Vedichtung der Baumasse in geförderten Wohnbauzonen führen würde. Denn die vergünstigen Preise könnten in dem Fall nur durch mehr Wohnkubatur auf den geförderten Grundstücken ermöglicht werden. „Es ist aber auch nicht einzusehen, dass öffentliche Gelder eingesetzt werden, damit sich dann jemand mit einem Architekten ein luxuriöses Haus hinstellt“, sagt Ausserhofer. Das soll vielmehr in der entsprechenden freien Fläche passieren können, wo ein Teil der Fläche laut dem Modell des Baukollegiums weiterhin Ansässigen vorbehalten wird sowie ein weiterer Teil ohne Auflagen verbaut werden kann.

"Interessantes Modell"

Wie hoch die Chancen sind, dass auf dem Südtiroler Wohnungsmarkt eine solche Revolution stattfindet, ist noch schwer abzuschätzen. Am kommenden Freitag wird das Baukollegium seinen Vorschlag noch einmal Südtirols Bürgermeistern erläutern. Beim Landeshauptmann und dem zuständigen Landesrat ist man bereits vor Weihnachten vorstellig geworden. „Ich muss sagen, dass es wirklich ein sehr interessantes Modell ist“, wird Landesrat Richard Theiner nicht müde zu unterstreichen. Allerdings müsste man noch eine Reihe von rechtlichen Punkten überprüfen, um ein endgültiges Urteil zu seiner Umsatzbarkeit abgeben zu gehen. Darüber hinaus gilt es laut dem Raumordnungslandesrat auch noch eine Reihe weiterer Probleme zu lösen. „Eine der größten offenen Fragen ist, wie wir dem Leerstand in vielen Dorf- und Stadtzentren beikommen, also diese Flächen nutzen können bevor wie neuen Grund auf der grünen Wiese beanspruchen“, sagt Theiner. Sicher ist aber auch laut dem Landesrat, dass die Stunde für eine Neuschreibung des Südtiroler Wohnbaumodells geschlagen hat. Und das kommt in jedem Fall einer Revolution gleich.