Politik | Geburtenzahlen

Was Frauen wollen

"So scheint ein sehr enger Zusammenhang zwischen vertraglicher Sicherheit und Anzahl der Kinder zu bestehen." (stol)
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Foto: ilgiornale.it

Erinnert sich noch jemand? An jenen (widerrechtlich, wie es hieß) öffentlich gewordenen Zank zwischen Jean Asselborn und dem italienischen Innenminister (aka Salvini)? Es ging darin um – wie auch nicht, Salvini war dabei - Migration, in Wahrheit aber ging’s um die negative demografische Entwicklung in Italien (und nahezu allen europäischen Ländern) und um die Frage, wie ihr zu begegnen sei. Expert*innen sind sich weitestgehend einig darin, dass dem Problem – es geht, immerhin, um das Überleben unserer Gesellschaften - ohne Migration nicht beizukommen sei. Salvini sah das naturgemäß anders. „Io”, stob er in das Mikrofon, “in Italia voglio aiutare gli italiani a tornare a fare figli.“

Wollen wir einmal großzügig darüber hinwegsehen, dass es in manchen Fällen – diesem hier zum Beispiel – wohl angemessen wäre, und zwar jenseits aller gendersprachlichen Differenzen und Ansichten, die vordergründigen Adressatinnen der Initiative korrekt anzusprechen, nämlich als „le italiane.“ Es sind ja nämlich immer noch die Italienerinnen, die die Kinder Italiens zur Welt bringen, und dafür übrigens nur bedingt auf „gli italiani“ angewiesen sind (zwar, man rüttelt heftig an diesen Errungenschaften; wir sollten auf der Hut sein).

Diese keineswegs Nebensächlichkeit soll aber heute, wie gesagt, lediglich als „Garnitur“ mitserviert werden, zum Hauptgericht der in meinen Augen überaus beunruhigenden Art, in der Salvini nicht nur in die Schlafzimmer  der Bürgerinnen Italiens hineinregiert, sondern überdies - und mit welcher Selbstverständlichkeit! – sich über Wünsche und Wollen der weiblichen Mehrheit hinwegsetzt, oder auch: die Bäuche der Bürgerinnen Italiens für seine politischen Zwecke beschlagnahmt.

Denn das ist doch nicht normal, und sogar, wenn man ganz genau hinschaut, (auch) eine Form von Gewalt gegen Frauen, dass der unabdingbare Beitrag der weiblichen Bevölkerungsmehrheit so sehr geringgeschätzt wird, und die maßgeblichen Beiträgerinnen in keiner, wirklich gar keiner Weise in die Entscheidungen über notwendige mögliche zu tätigende Maßnahmen und/oder Notwendigkeiten Auswirkungen Folgen… einbezogen werden.  In aller Schärfe und aller Kürze: Keiner fragt, was (die) Frauen wollen (aber alle wissen, was Frauen sollen). Womöglich (kleiner Nebenstrang), drängte sich mir die ein wenig bitter schmeckende Frage auf, liegt das ja „nur“ daran, dass man bei den Herren Regierern gar nicht weiß, wer an die Verhandlungstische zu bitten wäre? Frauenlobbyistinnen, vielleicht? Oder Frauengewerkschafterinnen?

Zwar, habe ich verstanden, hat diese Regierung angeboten, Eltern eines dritten Kindes ein Stück ländlichen Bodens gewissermaßen im Eigentum zu überlassen, wobei aber noch lange nicht geklärt ist, ob damit den Müttern dieser dritten Kinder geholfen ist, und ob sie das überhaupt wollen, vom reichen Norden in den ärmeren Süden ziehen, zum Beispiel, um ein Stück Land zu bebauen (falls sie dafür überhaupt die Zeit aufbringen können, als Mütter dreier Kinder).

Denn es ja keineswegs gesichert, dass das Fehlen eines Stücks bebaubaren Landes einer der hauptsächlichen Beweggründe ist für die Frauen Italiens, weniger zu gebären als in der Vergangenheit, und jedenfalls weniger als im gesamtgesellschaftlichen Sinne nötig wäre. (Wie kommt, schleicht sich en passant die Frage an, man überhaupt auf die Idee, es könne sich so verhalten?). Allerdings leuchtet ein, dass derlei Bilder – Frau, Mutter vor allem, pendelt zwischen Küche und Feld, ihre drei Kinder am Rockzipfel hängend – in das gesellschaftliche Ideal eines Salvini und seiner Jünger passt.

Dabei hätte der Herr Minister doch nur nach Südtirol blicken müssen. Dort – "stol" hat berichtet, rep: (la Repubblica) sekundiert, vielleicht war’s aber auch umgekehrt –, im kleinen Land also inmitten der großen Berge, ist die Geburtenrate überdurchschnittlich hoch, im Vergleich nicht nur gegenüber Restitalien. Doch damit nicht genug, weiß man auch sehr genau, warum das so ist: It’s the workplace (stup*d)!

Tatsächlich scheinen langfristig sichere – gesicherte – Arbeitsplätze für die weibliche Bevölkerung das Mittel der Wahl zu sein, wenn die Geburtenrate nach oben gehievt werden soll (schade allenfalls, dass in Südtirol die Privatwirtschaft in diesem Bereich, also der Arbeitsplatzsicherheit, der Öffentlichen Hand nicht das Wasser reichen kann (in anderen Bereichen mag sich das umgekehrt verhalten). Bei „stol“ brachte man diese Tatsache kurz und knapp folgendermaßen auf den Punkt bzw. zu Papier: „Frauen im öffentlichen Sektor bekommen mehr Kinder.

Drängt sich übrigens, in Anbetracht solcher Titel und Erkenntnisse, ein Appell an die Privatwirtschaft nicht förmlich auf? Weiß man dort eigentlich, welch gewaltiges Potential in der Bevölkerung brachliegt bzw. in Haushalten vergammelt (gewissermaßen)? Oder, im besten aller Fälle, sich dem Öffentlichen Dienst zuwendet, und somit für die Privatwirtschaft verloren ist? Aus vielleicht ideologischen, möglicherweise unbewussten, vielleicht auch nur finanziellen Gründen, die aber jedenfalls nur schwer nachvollziehbar sind? Der finanzielle und gesamtgesellschaftliche Schaden ist gewaltig – aber irgendwie scheint’s keinen zu stören: „secondo l’agenzia europea Eurofound il costo complessivo per l’Italia della sottoutilizzazione del capitale umano femminile è pari a 88 miliardi di euro, cioè al 5,7% del Pil, il 23% di tutta la ricchezza persa in Europa a causa della discriminazione di genere. 

Tatsächlich sind es also vor allem zwei Dinge, die Frauen daran hindern, mit Freude und Zuversicht mehr als nur ein oder überhaupt ein Kind zur Welt zu bringen: Da sind auf der einen Seite immer noch patriarchal geprägte Grundstrukturen, die zur Folge haben, dass die weibliche Mehrheit mühevoll errungene Freiheiten und Teil-Gleichheiten größtenteils wieder abgibt (abgeben muss), kaum dass frau zum ersten Mal Mutter wurde: Die allermeisten hängen ihre Berufe gleich nach dem ersten Kind entweder ganz an den Nagel, oder reduzieren die aushäusige Arbeit drastisch (dramatisch!), und begeben sich damit, unter anderem, in oft verhängnisvolle Abhängigkeiten, mit teils schrecklichen Folgen (Femizid!).  Außerhalb der öffentlichen Strukturen gelingt es nämlich nur sehr wenigen, meist von Haus aus „Bessergestellten“, und selbst diesen nur unter beträchtlichem finanziellen personellen energetischen Aufwand, ihre drei bis vier Leben  - das der Frau das der Partnerin das der Berufstätigen das der Mutter - in ein einziges Leben zu packen. Wobei auffällt: Dem Muttersein – jenem Sein, das letztlich am wenigsten Raum in Anspruch nimmt, auf der imaginären Zeitleiste eines Frauenlebens, werden alle anderen Realitäten untergeordnet. Das ist unlogisch.

Auf der anderen Seite sind es weder Ackerflächen noch Geld fürs Zuhause bleiben (was ja beides. bei Licht betrachtet, in erster Linie den Vätern bzw. Männern zugutekommt), sondern einzig und aufgrund gesicherter Fakten: mehr Arbeitsplätze für Frauen, bessere Arbeitsplätze für Frauen, sicherere Arbeitsplätze für Frauen, gut – besser! aber zumindest gleich! – bezahlte Arbeitsplätze für Frauen. Und natürlich, damit eng zusammenhängend, die Strukturen, die den Frauen unbelastetes und sorgloses Arbeiten überhaupt erst ermöglichen, weil sie ihren größeren und kleinen Nachwuchs in guten, kompetenten und liebevollen Händen wissen.

Alles, was es also braucht, um rückläufige Geburtenzahlen nach oben zu korrigieren sind in erster Linie: Frauen, und dann die Frage danach, was Frauen wollen.