Umwelt | Interview

„Es funktioniert nirgends“

Er stand wegen Landesrat Schuler und Hunderten Bauern vor Gericht, heute sitzt er als Grüner im deutschen Bundestag: Karl Bär über den neu entfachten Pestizid-Streit.
Karl Bär
Foto: Privat
salto.bz: Herr Bär, essen Sie noch Südtiroler Äpfel?
 
Karl Bär: Selten. Ich esse meistens Äpfel aus Deutschland, die ich in meinem Bioladen in Holzkirchen (Kleinstadt in Bayern, Anmerkung d. R.) kaufe. Wenn ich in Südtirol bin, esse ich Südtiroler Öko-Äpfel.
 
Versuchen Sie also, sich von biologischen Lebensmitteln zu ernähren?
 
Wenn ich die Gelegenheit habe, ja. Es gibt Situationen, wo ich Äpfel geschenkt kriege, dann esse ich die auch.
Das Problem der Südtiroler ist nicht, dass deutsche Umweltaktivisten zu viel über Südtirol reden.
Wie beurteilen Sie die Analyse der Spritzhefte aus dem Vinschgau, die von Ihrem ehemaligen Arbeitgeber dem Münchner Umweltinstitut durchgeführt wurde?
 
Ich bin ehrlich gesagt wenig überrascht. Die Ergebnisse entsprechen den Aussagen der Südtiroler, mit denen wir gesprochen haben, und auch den Luftmessungen, die ich beim Umweltinstitut im Vinschgau gemacht habe. Es wird zu viel gespritzt und in meinen Augen ist diese Geschichte vom integrierten Anbau letztendlich eine Art von Greenwashing.
 
 
Der integrierte Anbau setzt auf so wenig Pestizide wie möglich.
 
Genau. Wenn dieses Prinzip wirklich umgesetzt werden würde, dann dürften nirgends Herbizide wie Glyphosat gegen Unkraut eingesetzt werden. Sie werden aber eingesetzt, um sich Arbeit und Geld zu sparen. Unkraut kann auch maschinell beseitig werden, was ein relevanter Anteil von Betrieben im Vinschgau inzwischen so macht. Dieses Prinzip hat die EU 2014 für alle Landwirte im integrierten Anbau festgelegt, es funktioniert in Europa aber meist nirgends.
 
Es wird also gespritzt, anstatt das Unkraut händisch oder maschinell zu beseitigen.
 
Händisch wäre ein wenig übertrieben, aber maschinell geht. Außerdem schreibt die EU-Richtlinie zu integriertem Anbau vor, Sorten zu wählen, bei denen man nicht so viel spritzen muss. In Südtirol wird aber vor allem auf Sorten gesetzt, die anfällig für Pilzkrankheiten sind. Da aber auch das nirgends funktioniert, will die EU jetzt die Vorschriften deutlich verschärfen.
 
 
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das durchkommt?
 
Das ist tatsächlich umstritten, weil das von einigen Leuten sehr bekämpft wird, zu denen auch Herr Dorfmann (SVP-Parlamentarier, Anmerkung d. R.) und viele osteuropäische Mitgliedsstaaten gehören. Ob das vor der nächsten Europawahl was wird, weiß ich nicht, aber ich hoffe es sehr.
 
Landesrat Schuler bezeichnete die Ergebnisse des Umweltinstituts als Polemik und beschuldigte die Medien, Halbwahrheiten zu verbreiten.
 
Ich finde sehr lustig, dass Herr Schuler in den Medien zitiert wird, dass er dem Umweltinstitut vorwirft, es ginge nur darum anzuklagen. Dabei war er derjenige, der uns vor Gericht gezerrt hat. Das Ganze beruht auf realistischen Daten, die sind zwar ein paar Jahre alt, aber die sind sehr brisant und interessant. Das Problem der Südtiroler ist nicht, dass deutsche Umweltaktivisten zu viel über Südtirol reden. Das Problem der Südtiroler ist, dass zu viel gespritzt wird. Offensichtlich hat man keinen sinnvollen Umgang mit Kritik. Wenn jemand Kritik äußert, dann kriegt er auf den Deckel. Das ist keine Methode, mit der man Probleme lösen kann. Das ist eine Methode, um Probleme zu unterbinden. Aber das geht nicht dauerhaft.
Normalerweise sind das Daten, die nur die landwirtschaftlichen Betriebe selbst haben.
Welche Folgen haben Pestizide für Mensch und Umwelt?
 
Es gibt viele Pestizide, die die Wissenschaft für giftig hält. In den veröffentlichten Daten des Umweltinstituts sind einige Stoffe dabei, die inzwischen in ganz Europa verboten sind, aber vor fünf Jahren noch zugelassen waren. Denn es hat sich nach langem Streit die Erkenntnis durchgesetzt, dass die zum Beispiel für Insekten oder auch für menschliche Föten zu große Probleme machen. Auch andere Stoffe wie Kalkan oder Glyphosat werden nicht mehr lange legal sein, weil sie extrem umstritten sind und beide in Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen. Zudem zeigen die Daten aus dem Vinschgau, dass, wenn es keinen Tag gibt, wo nicht gespritzt wird und durchschnittlich zwei, aber im Extremfall bis zu neun Mittel gespritzt werden, es eine Dauerbelastung mit verschiedenen Stoffen gibt.
 
Mit welchen Folgen?
 
Das ist nochmal etwas ganz anderes als die einzelne Wirkung eines Stoffs, den ich einmal abbekomme. Das ist eine Situation, die wissenschaftlich schwer zu erforschen ist, aber das Ganze definitiv um ein gutes Stück gefährlicher macht.
Wenn die von Marketing ein bisschen mehr Ahnung gehabt und ein Pilotprojekt daraus gemacht hätten, dann wäre die ganze Geschichte nicht passiert.
Wünschen Sie sich hier mehr Forschung?
 
Ja, es wäre eigentlich die Aufgabe der europäischen Zulassungsbehörden zu erforschen, wie Kombinationen von Pflanzenschutzmitteln wirken. Das wissen sie auch schon lange, aber es geht nur schleppend voran. Das Umweltinstitut ist nur an diese Daten aus dem Vinschgau herangekommen, weil ich von Herrn Schuler und sehr vielen Landwirtinnen und Landwirten im Jahr 2017 angezeigt wurde und wir diese Daten als Beweismaterial erhielten. Normalerweise sind das Daten, die nur die landwirtschaftlichen Betriebe selbst haben. Ich würde es gut finden, wenn all diese Daten der Forschung zur Verfügung stehen würden, auch in Deutschland. Das ist einmalig, was jetzt über Südtirol veröffentlicht wurde.
 
 
Was war eigentlich der Auslöser für das Umweltinstitut, ausgerechnet die Südtiroler Obstwirtschaft zu kritisieren? Andernorts scheint es schließlich die gleichen Probleme zu geben.
 
Der Auslöser war der Umgang mit der Volksabstimmung in Mals im Jahr 2014. Hätte die Südtiroler Landesregierung und die Südtiroler Obstwirtschaft ein pestizidfreies Pilotprojekt daraus gemacht, dann hätte die ganze europäische Umweltbewegung nur positiv über Südtirol gesprochen. Die Volksabstimmung war für viele Leute eine aufmunternde Geschichte. Erst als wir festgestellt haben, dass die Südtiroler Landesregierung massiv dagegen vorgegangen ist, entschieden wir uns für die Kritik. Dabei waren wir wissenschaftlich punktuell sehr polemisch. Aber der Grund dafür ist der Umgang mit der Situation in Mals. Wenn die von Marketing ein bisschen mehr Ahnung gehabt und ein Pilotprojekt daraus gemacht hätten, dann wäre die ganze Geschichte nicht passiert. Aber dann hätten sie riskiert, dass vielleicht andere Dörfer in Südtirol das wiederholen wollen.
 
Ist die Pestizidreduktion auch auf der Grünen Woche in Berlin Thema?
 
Bei den Veranstaltungen, die ich besucht habe, war die Pestizidreduktion schon immer wieder Thema. Die Reduktion entspricht auch dem Plan der deutschen Bundesregierung unter dem Landwirtschaftsminister Özdemir. Teil des Ergebnisses der Biodiversitätsgipfels der Vereinten Nationen in Montréal im Dezember war außerdem, dass das Risiko durch den Einsatz von Pestiziden in diesem Jahrzehnt halbiert werden soll. Dieses Ziel wurde in den großen Reden der Grünen Woche auch wiederholt genannt.