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„Es ist wie eine Droge“

Klemens Gasser hat mit Vogel-Fotos eine online Ausstellung kreiert. Im Interview erzählt er von seinem Geduldsfaden, der niemals reißt und warum er Pro Flughafen ist.
Sandregenpfeifer
Foto: Klemens Gasser

salto.bz.: Hallo Herr Gasser. Was war zuerst da – Ihre Leidenschaft für die Kamera oder jene für die Vögel? 
Klemens Gasser: Zuerst war das Hobby „Vogelschauen“. Dann kam die Kamera ins Spiel, um Beweise dafür zu liefern, dass man einen seltenen Vogel auch wirklich gesehen hat und dann die Kunst, mit diesen Vögel-Fotos mehr zu machen. Am Ende kommt dann ein anderes Hobby heraus – Vogelbilder in einer Galerie auszustellen. Ich finde, dass die Vogel-Fotos, die wir z.B. von der National Geografic kennen, super schön sind, aber halt keine Kunst. Und ich versuche Vogel, Kamera und Kunst zu verbinden. 

Ist „Vogelschauen“ ein Hobby? 
In Großbritannien oder Amerika ist „Vögelschauen“ ein sehr ausgeprägtes Hobby, birding oder bird-watching heißt das dort. Vogelschauen an sich ist schwierig, weil es mit der Zeit komplizierter wird. Kennt man sich mit Vogelarten besser aus, kann man automatisch mehr Vögel erkennen. Man will dann auch immer mehr und mehr sehen. Südtiroler schauen nur auf Rehe und so. Amerikaner und Engländer sehen aber auch Vögel. Viele Vogelbeobachter haben Kameras dabei, um die Vögel zuhause genauer anzuschauen oder identifizieren zu können. 
 


Sind Sie hauptberuflich Fotograf? 
Nein, meine Kunst bringt mir wenig Geld. Ich war mal Bauentwickler, mal Galerist. Zurzeit lebe ich in Berlin und seit einigen Jahren verdiene ich mir das Geld als Koch. Als Corona ausgebrochen ist, wurde die Gastronomie geschlossen. Damals bin ich kurzerhand für einen Zahnarzttermin nach Südtirol zu meinen Eltern gefahren und über die Pandemie-Zeit in Südtirol geblieben. 

Wie sieht Ihr Geduldsfaden aus? Lange an Plätzen verharren und auf etwas warten, was vielleicht gar nicht kommt – das braucht viel Geduld, oder? 
Geduld ist bei Vogelbeobachtern kein Problem. Man ist schon vor Sonnenaufgang in der Natur und macht so lange mit dem Vogelschauen weiter, bis die Sonne weg ist – ohne Unterbrechung. Es ist wie eine Droge – man ist dabei, dabei, dabei. Es geht immer weiter, es ist wie eine richtige Leidenschaft. 
Die Schwierigkeit ist vor allem, an die Vögel nahe ran zu kommen. Wenn ein Vogel mehr als zehn Meter entfernt ist, hat man schon verloren. Mir geht es aber auch nicht so sehr darum, Details einzufangen. Es macht mit einfach sehr viel Spaß.
 


Wie funktioniert das genau? Woher wissen Sie, dass Sie gerade einen seltenen Vogel fotografiert haben? Studieren Sie vorher die Vogelarten? 
Es gibt tatsächlich Vogelführer. Der vom Kosmos-Verlag beispielsweise ist sehr gut. Aber niemand rennt gerne mit einem Buch herum, weil das der beste Beweis dafür ist, dass man sich noch nicht super gut auskennt. Heute gibt es die App „birdguide“, die man sich auf das Smartphone laden und anschließend direkt mit dem Vogel vor der Linse vergleichen kann. Außerdem gibt es in Bozen eine WhatsApp Gruppe, der man mitteilen kann, wenn man einen seltenen Vogel gesehen hat. 
Die größte Blamage ist es, wenn man einen Vogel mitteilt und andere Menschen einen aufklären und sagen, dass es sich um einen andere Vogelart handelt und dass es nicht jener ist, den man eigentlich meinte. 
 

Ein Zaun ist natürlich eine ganz normale Sicherheitsvorkehrung, aber letztendlich auch eine Symbolik für die Welt, in der wir heute leben. Und die Vögel fliegen einfach drüber, das ist beeindruckend. 


Was passiert, wenn man einen seltenen Vogel sieht? Fühlt man da was? 
Ja, definitiv. Das war auch wichtig für meinen Südtirol-Bezug. Wenn man z.B. auf einem Acker einen seltenen Vogel sieht, dann füllt sich der Ort mit Bedeutung und Erinnerung. Aufgrund des Fotoprojekts am Bozner Flughafen hat sich mein Südtiroler Naturverständnis verändert. Die Orte sind aufgeladen mit einer eigenen Geschichte. Wenn man später dann an Orten vorbeifährt, fällt einen genau wieder der Vogel ein, den man vor zwei Jahren genau an diesem Platz gesehen hat. 

Wie ist das aktuelle Projekt entstanden? 
Ein Foto ist mir damals richtig gut gelungen – das war dann der Anfang. Dann habe ich versucht, mehrere gute Fotos zu schießen, damit daraus ein Projekt entstehen kann. 
Die Gegenden, wo man besondere Vögel zu sehen bekommt, sind meist hässlich. Und am Flughafen gibt es eben auch so urbane Randgebiete. Vorteilhaft am Flughafen war auch eine Baustelle, die nur eineinhalb Meter ausgehoben war. Dort hat sich dann ein Mini-Teich gefüllt, der so einige Vögel angezogen hat. Es geht mir auch um das Zeitgenössische. Meist fotografiere ich vom Auto aus, manchmal muss ich auch aussteigen. Und aussteigen muss ich vermehrt da, wo Zäune sind. Ich laufe dann mit meiner Kamera einen Stacheldrahtzaun entlang und finde, dass das oft gut unsere Welt darstellt: Es gibt eine erste Welt und eine zweite. Und letztere wird mit Gewalt aus der ersten Welt draußen gehalten – Flüchtlinge usw. Ein Zaun ist natürlich auch eine ganz normale Sicherheitsvorkehrung, aber letztendlich ist es eine Symbolik für die Welt, in der wir heute leben. Und die Vögel fliegen da einfach drüber, das ist beeindruckend. 
 


Sind Sie Pro Flughafen? Wäre Ihr Projekt auch ohne Flughafen entstanden? 
Es hat den Flughafen gebraucht. Mit gefällt diese öde Landschaft. Und wenn man Vögel sehen will, geht man dorthin, wo man sie antrifft. Alpine Vögel haben mich, ehrlich gesagt, nicht so interessiert – in dem Gelände wo es abschüssig ist und ich schwindlig werde. Der Flughafen ist mit dem Auto erreichbar, in der Nähe der Stadt. 
Zur Thematik Flughafen: Ich habe lange in New York gelebt, in der Nähe eines Parks, wo ich oft Vogelschauen war. Und dort fliegt das Flugzeug, ziemlich tief, alle drei Minuten vorbei. Eines nach dem anderen. Von der Lärm- und Luftverschmutzung her, muss man letztendlich objektiv sagen, dass diese acht Flieger am Tag, sieben Minuten Brennerautobahn entsprechen. Also quasi – ein Tag Brennerautobahn entspricht ein Jahr Flughafen. Außerdem denke ich, dass die Vernetzung im Gebiet sehr wichtig ist. Der Flughafen soll also in jenem Maße bestehen, wie viel’s ihn braucht. 

Warum haben Sie sich für eine online Ausstellung entschieden? 
Es ist billiger und einfacher. Auch wegen Corona. Es war die Entscheidung der Galeristin Tanja Grunnert. Sie hat mich damals gefragt, ob ich eine online Ausstellung machen will und, obwohl ich mich technisch nicht so sehr auskenne, habe ich mich dafür entschieden. 
Außerdem hat mir die Idee gefallen, dass meine online Ausstellung den iPhone- Memories ähnlich sehen könnte. Da macht mir das Handy auch manchmal Kurzvideos, die mich an tolle Momente zurückerinnern lassen. Und das wollte ich auch mit meiner Ausstellung erreichen. 

Haben Sie sich bei Ihrem Projekt etwas vorgenommen? Gibt’s Tages- oder Uhrzeiten an denen bestimmte Vögel vorbeifliegen? 
Dieses „Abpassen“, um aufregende Vögel zu sehen, nennt man „target-birding“. Da ich mich mit den Vogelarten in Europa nicht besonders vertraut war, musste ich mich vorher einlesen. Der Vorteil war mein Freund Maurizio. Er hat mir erklärt, welche Vögel speziell sind, und welche gewöhnlich. 
 

Mir hat es immer schon gefallen, die Natur zu beobachten, aber langsam. Nicht so, wie es die meisten Südtiroler machen – schnell, schnell durchwandern.


Sind Vögel ihre Lieblingstiere? 
Ja, klar. Außer mein Hund Chu do, der vor einiger Zeit verstorben ist. Der war auf Beziehungsebene mein Lieblingstier – weil der Gefühle hatte. Vögel sind Wildtiere, die haben kein Interesse am Menschen. Wenn sie nett sind, bleiben sie einige Zeit länger da, sonst sind sie halt weg. Plus gefällt mir an den Vögeln, dass man an einem Tag in der Natur 30-40 Arten von Vögeln zu sehen bekommen kann. Bei Säugetieren gibt’s nicht so viele Möglichkeiten: Sieht man ein Reh, dann hat man’s gesehen – da gibt es keine große Varietät. Mir hat es immer schon gefallen, die Natur zu beobachten, aber langsam. Nicht so, wie es die meisten Südtiroler machen – schnell, schnell durchwandern. Und wenn man in der Natur für einige Zeit ruhig sitzt, sieht man ganz schön viel. 

Haben sie einen Lieblingsvogel? 
Eigentlich ist es eher eine Vogelart. Möwen gefallen mir sehr gut. Möwen gibt es in Südtirol sehr selten, eigentlich nur die Schwarzkopfmöwe. Es sind sehr schwierige Vögel – man kann sie nur sehr schwer bestimmen. Sie fliegen einfach so schön, sind frech und haben total interessante, soziale Gefüge. 

Gibt es ein weiteres Foto-Projekt? 
Ich möchte irgendwann mal Seevögel fotografieren. Es gibt Bootstouren, die angeboten werden, um aufregende Vögel zu sehen. Vielleicht wird so etwas in der Art mein nächstes Projekt.