Kultur | Kommentar

Antifaschistisches Tanzbein

„Nuovo canzoniere partigiano“ hat am Samstag die Veranstaltungsreihe „REsistenze“ eröffnet, rund um den Tag der Befreiung. Notizen zu Partisanenlieder im Rockgewand.
Nuovo Canzoniere Partigiano
Foto: Privat
Nicht zu verwechseln mit der Mailänder Band „Il nuovo canzoniere Italiano“ aus den 60ern, welche am Wiederaufleben des liebsten Partisanenlieds ausländischer Werbetreibender, welche ihren Produkten mit „Bella Ciao“ einen italienischen Touch verleihen wollen, geht das Engagement der fünfköpfigen Nischen-Band aus Vicenza ein Stück weiter. Das Konzept ist schnell erklärt: Melodie und Texte alter Partisanenlieder sollen in neuem Klangkleid einer neuen Generation zugänglich gemacht werden. Dass die Botschaft politisch und/oder historisch ist (hier kommt es wohl auf den einzelnen Zuhörer an), soll nicht der Freude am Spiel und am Konzerterlebnis im Wege stehen. Auch nicht, dass man seit Jahren Gelder für gute Zwecke sammelt, im gegebenen Fall im Pippo für das Flüchtlingshilfswerk „La Rotta Balcanica“. Am meisten kam am Merch-Stand wohl durch den Verkauf bunter Socken zusammen: An den Zehen steht der Bandname, seitlich links wie rechts „sinistra“ und ganz oben „This machine kicks fascists“, in Anlehnung an den viel zitierten Aufkleber an der Gitarre des Amerikanischen Folksängers Woodie Guthries am beliebten Artikel zu lesen.
Historischen Kontext gibt es im Umfang klassischer Song-Ansagen zwischen den einzelnen Liedern, also auf zwei, drei Sätze verknappt, was bedeutet, dass wenig Raum zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Gesungenen besteht, öfter wird gescherzt. Nicht, dass sich diesen junge Generationen nicht auch an anderer Stelle, etwa bei der Italienischen Nationalhymne wünschen würden, etwa bei der Mameli-Hymne, aber Rockmusik wird meist eher emotional als rational erlebt. Die Lieder sind textlich kämpferisch, bissig, national-stolz und ja - auch wenn ich den Eindruck weder von Band noch Publikum hatte - gewaltbereit in der Verteidigung,
Was „Nuovo canzoniere partigiano“ auf der Bühne musikalisch darbietet ist mitreißend, lässt sich Zeit für Highlights an akustischer und elektrischer Gitarre und ausgiebige Crescendos, wie man Sie eher bei einer Post Rock Band vermutet, die ohne Sänger:in auskäme, was aber das gemeinschaftliche Moment dieser Musik unterstreichen. Ein Lob an die Technik, welche es schaffte aus einem opulenten Instrumentensound Stimmen einzeln, wie auch als Gruppe noch klar hervortreten zu lassen. Da ist kein Moshpit, man steht und wippt versunken mit. Vielleicht hätte es, damit die Musik sich in kinetische Energie übersetzt auch einfach ein paar mehr Menschen gebraucht.
Betrachtet man die Lieder einen Moment lang losgelöst von ihren Texten, so findet man auch die Rückkehr alter Volkslieder und Tänze, welche im Original als Blaupause dienten. Genretechnisch ist man hier fluide: Mal kommen Einflüsse aus anderen Folk-Kontexten hinzu und die Band klingt überraschend sanft, während zwei Mitglieder mit Samba-Eiern grooven, mal geht es zurück in Richtung Metal-Härte. Bei dem Flickflack Manövern zwischen Songs, die mehr Folk als Rock sind und ihrem Gegenparts hat die Band ein Publikum, das für beides offen ist.
Die Abwechslung macht es spannend, auch weil neben bekannten Partisanenliedern auch ein „neuer“ Song dabei ist: Die Band hat in eigenen Recherche-Aktivitäten zu „Marola“ gefunden, einem weniger bekannten Lied aus mündlicher Tradition, welches zur Melodie von „Lo Spazzacamino“ zu singen ist. Der Text erzählt von einem durch deutsche Soldaten verübten Massaker zwischen den Orten Zugliano und Chiuppano, in der Heimatprovinz der Musiker. Zur jovialen Musik des eindeutig-zweideutigen Rauchfangkehrers (in Hinblick auf den Originaltext), entschied man sich, den Song mit schweren Gitarrenriffs und einer gewissen Andächtigkeit zu gestalten und darin ist wohl der größte Akt von Kritik am Partisanenlied zu finden. Zur Geschichte passt dieser Anachronismus, die Metal-Sounds zum alten Text über die letztliche Sinnlosigkeit des Todes eigentlich ganz gut.
„Nuovo canzoniere partigiano“ kann als Einladung verstanden werden, die alten Texte neu zu lesen. Kritische Distanz sollte man aber selber mitbringen. Und manchmal will man auch nur zu „Bella Ciao“ das Hirn ausschalten und tanzen, weil es eine mitreißende Melodie hat und nicht, weil man bereit ist für das eine oder andere Bild, das man von einem Nationalstaat oder seinen Idealen hat, sein Leben zu geben. Dieses Märtyrertum bedeutet auch heute etwas gänzlich anderes als noch vor 78 Jahren. Aber wenn sich mit E-Gitarren die Beteiligung an Erinnerungskultur steigern lässt, dann warum nicht?