Chronik | Aus dem Blog von Karl Gudauner

Demokratie als Mittel zum Zweck

Im Parlament in Rom ringen PD und PDL um die Inhalte der Maßnahmen, die Italien wieder aus der Talsohle helfen sollen. Die Auseinandersetzung zeigt, dass das Land sich nicht nur in einer wirtschaftlichen Talsohle befindet. Trotz der Dringlichkeit der Maßnahmen geht es sehr schleppend voran. Zentrifugale Kräfte lähmen die politische Handlungskraft und die Demokratie.
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Foto: Angelucci Giulio

Mit ungläubigem Staunen verfolge ich als Staatsbürger die politische Entwicklung in Rom. Dem gutwilligen Ministerpräsident Letta geht es als Protagonisten vermutlich genauso. Nach Bersani muss auch er erkennen, dass destruktive zentrifugale Kräfte die Dynamik bestimmen und die Absicht, mit verantwortungsvollen politischen Partnern vernünftige Reformen umzusetzen, an der Egozentrik des PDL-Sponsors Berlusconi und an der machiavellistischen Unbedarftheit des M5S scheitern. Die politische Pikanterie liegt darin, dass es die PDL-Strategen es schaffen, dank eines gefinkelten medialen Marketings iin der Öffentlichkeit als IMU-Befreier, staatstragende Statisten und Hüter der Wirtschaftskompetenz dazustehen.

Während Letta als neuer Regierungschef am Beginn seines Mandats diplomatische Zurückhaltung übte, machte Berlusconi die winning strategy der IMU-Abschaffung zum zentralen Punkt der ersten Maßnahmen der neuen Regierung. Ohne lang zu fackeln zeigte er Durchsetzungskraft und sicherte sich den dreifachen Bonus der Erfüllung des Wahlversprechens, der Aussicht auf steuerliche Entlastung und der emotionalen Zustimmung von über die Belastungswelle verärgerten SteuerzahlerInnen. Damit brachte er zudem seine Partei für die anstehenden Verwaltungswahlen ausgezeichnet in Position. Der PD stand demgegenüber offenbar ohne eine Strategie da, wie auf die vom vorangehenden Ministerpräsidenten Monti in Gang gesetzte (Spar-)Politik reagiert werden sollte.

Politische Kampfarena

An den bisherigen Ereignissen ist abzulesen, dass in Rom aller Evidenz der desolaten Lage zum Trotz Politik als ein Kampf mit Haken und Ösen betrieben wird. Auf der einen Seite stehen die, die Politik ohne Zeitdruck und ohne institutionelle Rolle als Spiel ohne Grenzen betreiben und Provokationen, Untergriffe, Simulationen und Scheinattacken fahren, um die Energien der Gegenseite zu binden, deren politische Standfestigkeit, physische Belastbarkeit und psychologische Resilienz zu testen. Auf der anderen Seite stehen die, denen der Ernst der Lage bewusst ist, die um die Nöte der Menschen und der Unternehmen wissen, den desolaten Zustand der Institutionen und der Staatskassen kennen, und versuchen, dem angeschlagenen Kreuzfahrtschiff Italien zwischen den Sirenengesängen der Lobbys und den Drohgebärden der Renditegesellschaft, der improvisationsgewohnten Trägheit und der Unfähigkeit zu Gemeinwohlethik einen Weg durch die Klippen zu bahnen. Beide Typologien sind quer durch die Fraktionen im gesamten politischen Spektrum zu finden. Menschlich, allzu menschlich. Verderblich allerdings, wenn die Kräfte des Eigennutzes und der Entgrenzung die Dynamik der öffentlichen Institutionen bestimmen.

Angeschlagene Kandidaten machen weiterhin Karriere

Den Verlautbarungen Berlusconis, wonach der PDL die Regierungsbildung unterstützen werde, stand ein heftiges Tauziehen bei der Besetzung der Ministerien und wichtiger Positionen im Parlament gegenüber. Dass er sich selbst als Leiter der Kommission für die institutionellen Reformen ins Spiel gebracht hat, zeigt die Unverfrorenheit, mit der die demokratische Legitimation des Parlaments genutzt wird. Nicht genug, dass angeschlagene politische Kandidaten den Sprung ins Parlament geschafft haben: Die Nominierung einiger Präsidenten der Kommissionen in Kammer und Senat.mit politisch belasteter Karriere beweist, dass die Bildung einer Koalition zwischen PD und PDL mit der Ausstellung eines politischen Persilscheins durch den Koalitionspartner noch auf die Spitze getrieben werden kann. Für die picconatori der Demokratie geht es nicht nur darum, den politischen Gegner als Koalitionspartner dazu zu zwingen, gegen die eigenen Überzeugungen zu handeln, sondern auch, aus der Geringschätzung jeglicher Verantwortungshaltung die Ethik des Gemeinwohls durch die formalen Gestaltungswege des Parlamentarismus ad absurdum zu führen.

Und die Öffentlichkeit?

Dennoch: Einmal gebührend staatstragend in Szene gesetzt und mit dem Mainstream des italienischen Bauchgefühls vernabelt, konnten von den PDL-Vertretern als ausführenden Arm des Cavaliere auch weitere doppelbödigere Anliegen platziert werden, ohne dass dies in der Öffentlichkeit zu einem Aufschrei der Entrüstung geführt hätte. Die Bewertung der politischen Initiativen erfolgt mit Lagermentalität. In der Kulturnation und Wiege des Katholizismus gelingt es nicht, eine unabhängige, an ethischen und demokratischen Werten orientierte und zivilgesellschaftlich hellwache öffentliche Meinung zu etablieren. Ansonsten müsste es um eine Partei schlecht bestellt sein, die folgende Ziele verfolgt: das Festhalten am verfassungswidrigen und demokratiepolitisch gefährlichen Wahlsystem des "porcellum", die x-te Neuauflage der Straffreiheit für Bausünder (Sündern kann, wie das Wort schon besagt, vergeben werden), Strafvergünstigungen für Verurteilte wegen externer Begünstigung der Mafia, drastische Einschränkungen in der Berichterstattung der Medien, Haftstrafen für die Störung von Wahlversammlungen.

Parteienfinanzierung auf welche Weise?

Ministerpräsident Letta steht unter einem gewaltigen Druck. Von seinem Erfolg hängt zu einem guten Teil das künftige Schicksal des PD ab. Wird er es schaffen, bis zum Herbst einige positive Ergebnisse vorzulegen? Gelingt es ihm, die Führungsrolle in der Koalition an sich zu reißen? Hält die Koalition die ständigen Belastungen aus? Führt das Tauziehen um politische Kompromisse zur Entleerung der Maßnahmen? Bemüht sich der neue PD-Chef überhaupt, ihm den Rücken freizuhalten? Was will eigentlich Renzi mit seinen ständigen Belehrungen erreichen? Unter solch schwierigen Bedingungen ist Ministerpräsident Letta nicht dagegen gefeit, in einen Aktionismus hineingedrängt zu werden, der kurzfristige populistische Renditen abwirft, aber nicht der Problemlösung dient. Ein Beispiel ist die Ankündigung der Abschaffung der öffentlichen Parteienfinanzierung. Allenthalben akklamiert, aber von zweifelhaftem Nutzen. Eine Neuregelung der Parteienfinanzierung ist sicher notwendig: es braucht klare Regeln für die Zuteilung der Gelder und für deren Abrechnung. Der Finanzierungsschlüssel muss eine vernünftige Relation zu den notwendigen Aufwendungen aufweisen. Mehrfachfinanzierungen, etwa durch die Koppelung an die Legislatur ohne Berücksichtigung von deren Dauer, sind zu streichen. Aber eine Form der Parteienfinanzierung braucht es. Sonst hängen die Parteien und deren politische VertreterInnen nur von der Großzügigkeit der Sponsoren ab und werden zu willfährigen Vollziehern von deren Interessen. PDL docet.

Zwischenparteiliche Empfindlichkeiten

Letta ist aber auch nicht sicher vor Querschüssen aus den eigenen Reihen. Eine politisch höchst erstaunliche Initiative hat letzthin die PD- Senatorin  Finocchiaro mit einem Gesetzentwurf lanciert, umr die politische Betätigung der politischen Bewegungen einzuschränken, die nicht eine Parteienstruktur aufweisen. Die Bewegung M5S rund um den patronalen Leader Grillo ist für den PD derzeit der Ansprechpartner schlechthin - und vom Stimmenpotential her der einzige - ist, um den PDL im Parlament bei der Umsetzung der Maßnahmen unter Druck zu setzen. Der Gesetzesvorschlag hat genau den Effekt, einen Keil zwischen den PD und den hypersensiblen M5S zu treiben, sodass möglichen Übereinkommen zu einzelnen politischen Themen jegliche Gesprächsgrundlage entzogen wird. Damit treibt Finocchiaro den PD noch mehr in die Arme des PDL. Der Klammergriff des Cavaliere scheint sowieso schon weh zu tun.

Durchaus möglich ist, dass unmittelbar die Signale aus Europa für mehr Schwung bei der Zusammenstellung des unmittelbar notwendigen Maßnahmenpakets sorgen. Am 29. Mai wird die EU-Kommission darüber entscheiden, ob das Verfahren gegen Italien wegen des Budgetdefizits eingestellt wird, und Empfehlungen zur Ausrichtung der Haushaltspolitik, der Wirtschaftsreformen und der Arbeitsmarktpolitik abgeben.