Politik | Busbahnhof

Wer will was?

SVP, M5S und Grüne fordern Überarbeitung des Art. 55/quinquies, der aus der Koalition ausgetretene Benedikter einen Kurswechsel vom BM. Spagnolli fährt weiter Zick-Zack.

Anfangs noch emotionsgeladen, sind die Reaktionen auf das Scheitern des Benko-Projekts im Bozner Gemeinderat mittlerweile überlegter und diplomatischer geworden. Einer der letzten, der noch etwas harschere Töne anschlug, war Landeshauptmann Arno Kompatscher: “Es war die Entscheidung des Gemeinderats. Und als solche ist sie zu respektieren. Aber dass man sich nun nicht mehr beschwere, dass Bozen benachteiligt sei, während anderswo im Land etwas weitergeht.” Kurz und knapp die Stellungnahme nach dem versenkten Beschluss zur Realisierung des Kaufhaus-Projekts. Als Wirtschaftslandesrat hatte sich Kompatscher stets versucht, galant aus der Diskussion herauszuhalten. Und doch war bei mehreren Gelegenheiten durchgeklungen, dass er selbst die Aufwertung des Busbahnhofareals rund um die Südtirolerstraße als eine Gelegenheit sieht, die man sich nicht entgehen lassen dürfe.

Dass es sich bei der Neugestaltung des Bahnhofsareals um eine “einmalige Chance” handelt, davon ist auch Stefan Pan überzeugt. Der Präsident des Südtiroler Unternehmerverbands fordert: “Die Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft muss auf einfachen, transparenten Regeln sowie einer klaren Verteilung der Rollen gründen. Die Privatwirtschaft bringt Ideen ein, die öffentliche Hand muss über deren Umsetzung entscheiden.” In Bozen sei man jedoch Zeugen einer “Haltung des Nicht-Entscheidens” geworden, so Pan. Diese Haltung würde jeglichen Willen der Unternehmen, am Wohlstand der Stadt beizutragen, ersticken und die Bevölkerung von der Politik entfernen. “Es hat jene Transparenz gefehlt, die gerade bei so wichtigen Entscheidungen für die Zukunft einer Stadt absolut gegeben sein muss”, ist Pan überzeugt. Ähnlich die Haltung der SVP Bozen.


Art. 55/quinquies im Visier

Auffallend still waren die Bozner SVP-Gemeinderäte während den beiden entscheidenden Sitzungen am Mittwoch und Donnerstag Abend gewesen. Außer Sylvia Hofer, die sich klar gegen das Projekt aussprach, hatte sich niemand zu Wort gemeldet. Und auch am “Tag danach” herrschte Funkstille. Persönlich war von den SVP-Räten niemand erreichbar. Schriftlich teilte die Partei schließlich mit: “Unsere Gemeinderäte haben in vollkommener politischer Souveränität entschieden. Die sechs SVP-Vertreter konnten sich frei für oder gegen den städtebaulichen Umstrukturierungsplan aussprechen.” Eine objektive Meinungsbildung sei aufgrund der immensen Medienpropaganda letzthin auch nicht mehr möglich gewesen, so die Bozner Volkspartei. Man habe sich von möglichen Szenarien nicht beirren oder sogar erpressen lassen wollen. Doch wie soll es jetzt weitergehen? “Es liegt nun an der Politik, unter Einbindung der Bürgerinnen und Bürger, dieses Areal aufzuwerten, attraktive Räume für alle zu schaffen”, so die SVP Bozen. “Wir dürfen nicht stehen bleiben, sondern müssen uns weiterentwickeln.”

Das Nein bedeute für Bozen eine “Denkpause”. Diese solle man unter anderem dafür nutzen, um den Artikel 55/quinquies des Landesraumordnungsgesetzes abzuändern. “Denn”, so die SVP Bozen weiter, “die programmatische Vereinbarung wird nur in letzter Instanz vom Gemeinderat ratifiziert. Somit werden die politischen Akteuere vor vollendete Tatsachen gestellt.” Daher müsse das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren überdacht werden. “Nun muss die Lex Benko umgeschrieben werden!”, fordern auch die Vertreter des Movimento 5Stelle im Bozner Gemeinderat. Der Art. 55/quinquies sei der Ursprung der Probleme, die um die Neugestaltung des Busbahnhofareals entstanden sind. “Paul Köllensperger hat dazu eine Tagesordnung eingebracht, die am 16. April 2015 vom Landtag genehmigt wurde”, erinnern die 5-Sterne-Vertreter. Die Tagesordnung sehe vor, dass bei städtischen Urbanistikfragen die Initiative und Regie wieder bei der öffentlichen Hand liegen soll. Weiters sollen die Gemeinderäte und die Bürger verpflichtend mehr in die Entscheidungen mit einbezogen werden (bei Projekten über einem bestimmten Budget ist ein Referendum vorgesehen). “Die 30-Tage-Frist für die Entscheidung seitens der Gemeinde wird auch verlängert, da sie ganz einfach zu knapp ist”, so die Grillini.

Die Umschreibung des kritisierten Artikels des Raumordnungsgesetzes ist auch für Grünen eine der Voraussetzungen, um sich nach der Farce am Donnerstag Abend doch noch mit Bürgermeister Spagnolli an einen Tisch zu setzen und über eine mögliche Regierungsbeteiligung zu verhandeln: “Vordringlich fordern wir auf Landesebene die sofortige Überarbeitung des Artikel 55/quinquies des Raumordnungsgesetzes. Ein derartiger Weg in die politische Sackgasse samt demokratischer Übertölpelung darf nicht mehr möglich sein”, so die Grünen Parteisekretäre, Landtagsabgeordneten und Bozner Gemeinderäte in einer Aussendung am Freitag. Sie wollen nun, wie berichtet, eine Auszeit nehmen und Ende August beraten, wie man weitermachen will.


Zick-Zack-Kurs des Bürgermeisters geht weiter

Zeit lassen will sich auch Luigi Spagnolli. In seinem “diario di bordo” schreibt er am Freitag Abend: “Was machen wir nun nach dieser Erfahrung? Nehmen wir uns die Zeit und reflektieren wir gemeinsam. Gemeinsam mit wem? Gemeinsam mit jenen, die dabei sein wollen.” Also auch mit den Grünen? Nachdem Spagnolli am Donnerstag Abend seinen ehemaligen Regierungspartnern offen ins Gesicht gesagt hatte, dass er kaum mehr Vertrauen in sie habe, scheint er nun eine erneute 180-Grad-Wendung vorgenommen zu haben. Es gehe nun nicht mehr darum, zurückzuschauen um sich unter irgendwelchen Vorwänden gegenseitige Versäumnisse vorzuwerfen. Sondern, so Spagnolli, auf die “Sachen, die uns vereinen” zu setzen.

 

Diario di bordo del 23 luglio 2015 E infine giunse il gran giorno del voto sul PRU di Via Alto Adige. Il Consiglio...

Posted by Luigi Spagnolli on Venerdì 24 luglio 2015

Er erinnerte an die zahlreichen Projekte, die in den vergangenen zehn Jahren umgesetzt wurden – “auch dank der Mannschaft, die die Stadt regiert hat”. Der Bürgermeister fragt sich, in Anspielung auf die Verstimmungen, zu denen aufgrund der Busbahnhofs-Umgestaltung innerhalb seiner Regierungskoalition gekommen war: “Können die Geschehnisse der vergangenen sechs Monaten uns all das wirklich vergessen lassen?” Sein Appell an die verloren gegangenen Bündnispartner – neben den Grünen hat Spagnolli auch Rudi Benedikter verschreckt, der die Mehrheit am Freitag verlassen, doch angedeutet hat, er werde, falls Spagnolli Taten sprechen ließe und auf Projekt Bozen zukommen würde, seine Entscheidung überdenken – : “Zeigen wir Bozen, dass wir es besser können, auch indem wir parteiübergreifend zusammenarbeiten.” Wer oder was war es, das den Bürgermeister in den letzten Wochen seinen Zick-Zack-Kurs hat fahren lassen?  Die ungewohnte Hitze in der Landeshauptstadt? Die Prognosen kündigen Abkühlung an. Es bleibt abzuwarten, ob sich nach den Temperaturen auch die politische Stimmungslagen in Bozen wieder auf ein erträgliches Niveau begeben.

Ein interessantes Gesellschaft- und Politikverständnis "Die Privatwirtschaft bringt Ideen ein, die öffentliche Hand muss über deren Umsetzung entscheiden" und ich dachte es sei umgekehrt: Die Bevölkerung (und deren politischen Vertreter_innen) zerbrechen sich gemeinsam den Kopf wie sich eine Stadt entwickeln soll und die Privatwirtschaft setzt dann um.

Sa., 25.07.2015 - 23:22 Permalink